MASOLINO UND MASACCIO
angesichts der wiedergefundenen Madonna in Novoli: »ebbi il piacere di trovarmi di-
nanzi un' opera di Masolino«, und fügt hinzu: » L'attribuzione non ha bisogno di
essere dimostrata diffusamente«, wiederholt sogar weiterhin nochmals für beide Tafeln:
» Discutere la loro attribuzione e del tutto inutile, e sarebbe ingenuo.« Richard Offner und
Bernhard Berenson waren ihm mit dem heiligen Julian vorangegangen. Als mir jetzt bei
einem Besuch im Direktorzimmer der Uffiziengalerie die Einzelfigur des Ritters mit der
traurigen Miene in seinem fürstlichen Prachtkleide als Masolino vorgestelllt ward, da
wäre ich beinaheselbst zu solchem belächelbaren »ingenuo« geworden; denn ich hattenoch
nichts von dem Vorfall gelesen, sondern nur in aller Kürze die Nachricht gehört, ging
also eben deshalb, um mit eigenen Augen zu sehen. Ich mußte mir auf die Zunge beißen,
um nicht Giovanni Poggi gegenüber herauszuplatzen: »Aber, Herr Kollege, dieser ver-
meintliche Masolino ist ja gar nichts anderes als ein beglaubigter Masaccio, und gehört
zu einem von Vasari beschriebenen Werk seiner Hand!« Ich zwang mich zum Schwei-
gen; denn mir fehlte noch der Anblick der Madonna daneben, und diesen mußte ich
mir bei Toesca zu verschaffen suchen. Wie dringend wäre zu wünschen, daß nicht allein
das gestohlene Original des Mittelbildes wiedergewonnen würde, sondern sich auch
irgendwo in der Nachbarschaft, in einem Heiligtum der Caterina »delle ruote« die zu-
gehörige Partnerin Sankt Julians zum Vorschein käme. Wendet sich doch das Knäblein
in seinem langen Kittel nach der Seite hinüber, auch wenn es zunächst sein Verlangen
nur der Mutterbrust widmet, an deren verschlossenem Latz sich seine Fingerchen zu
schaffen machen, als spielten sie nur unbewußt am Ziel des Strebens herum.
Wer auf dem Boden der philologisch-historischen Methode unserer Kunstwissenschaft
steht, müßte über den vorliegenden Fall somit zu dem Urteilspruch gelangen: Man
glaubte zwei Tafeln von Masolino entdeckt zu haben, und siehe, es war ein ausdrücklich
anerkanntes, von Albertini 1510 bezeugtes und von Vasari beschriebenes Altarwerk des
Masaccio, zu dem sie gehören. Wir sind demnach um zwei Stücke des großen Meisters
selbst reicher geworden, dessen Eigenart der Biograph noch in den kleinfigurigen Pre-
dellenbildchen mit liebevollem Verständnis begrüßt. — Die moderne Kritik aber weiß alles
besser. Sie will die beiden Maler nur unterscheiden und als Einzelpersonen charakteri-
sieren; sie setzt sich über alles hinweg, was ihr bei diesem Bestimmungsgeschäft des
reinen Kennertums im Wege steht, als ob die Kunstgeschichte als Wissenschaft in dieser
Klassifikation und Individuenaufreihung allein aufgehe. Keine Spur noch von sozialer
Auffassung und von solidarischer Gemeinschaft der Generationen!
Und doch findet sich bei Toesca ein merkwürdiges Eingeständnis, das wir herauslösen
müssen, um es in die Wagschale zu legen, die zwischen uns entscheidet, sowie die
Stimmen eben nicht mehr gezählt, sondern gewogen werden, wie es dort geziemt, wo
man die Wahrheit sucht. Er sagt von Masolino: »eine der stärksten Ursachen des
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angesichts der wiedergefundenen Madonna in Novoli: »ebbi il piacere di trovarmi di-
nanzi un' opera di Masolino«, und fügt hinzu: » L'attribuzione non ha bisogno di
essere dimostrata diffusamente«, wiederholt sogar weiterhin nochmals für beide Tafeln:
» Discutere la loro attribuzione e del tutto inutile, e sarebbe ingenuo.« Richard Offner und
Bernhard Berenson waren ihm mit dem heiligen Julian vorangegangen. Als mir jetzt bei
einem Besuch im Direktorzimmer der Uffiziengalerie die Einzelfigur des Ritters mit der
traurigen Miene in seinem fürstlichen Prachtkleide als Masolino vorgestelllt ward, da
wäre ich beinaheselbst zu solchem belächelbaren »ingenuo« geworden; denn ich hattenoch
nichts von dem Vorfall gelesen, sondern nur in aller Kürze die Nachricht gehört, ging
also eben deshalb, um mit eigenen Augen zu sehen. Ich mußte mir auf die Zunge beißen,
um nicht Giovanni Poggi gegenüber herauszuplatzen: »Aber, Herr Kollege, dieser ver-
meintliche Masolino ist ja gar nichts anderes als ein beglaubigter Masaccio, und gehört
zu einem von Vasari beschriebenen Werk seiner Hand!« Ich zwang mich zum Schwei-
gen; denn mir fehlte noch der Anblick der Madonna daneben, und diesen mußte ich
mir bei Toesca zu verschaffen suchen. Wie dringend wäre zu wünschen, daß nicht allein
das gestohlene Original des Mittelbildes wiedergewonnen würde, sondern sich auch
irgendwo in der Nachbarschaft, in einem Heiligtum der Caterina »delle ruote« die zu-
gehörige Partnerin Sankt Julians zum Vorschein käme. Wendet sich doch das Knäblein
in seinem langen Kittel nach der Seite hinüber, auch wenn es zunächst sein Verlangen
nur der Mutterbrust widmet, an deren verschlossenem Latz sich seine Fingerchen zu
schaffen machen, als spielten sie nur unbewußt am Ziel des Strebens herum.
Wer auf dem Boden der philologisch-historischen Methode unserer Kunstwissenschaft
steht, müßte über den vorliegenden Fall somit zu dem Urteilspruch gelangen: Man
glaubte zwei Tafeln von Masolino entdeckt zu haben, und siehe, es war ein ausdrücklich
anerkanntes, von Albertini 1510 bezeugtes und von Vasari beschriebenes Altarwerk des
Masaccio, zu dem sie gehören. Wir sind demnach um zwei Stücke des großen Meisters
selbst reicher geworden, dessen Eigenart der Biograph noch in den kleinfigurigen Pre-
dellenbildchen mit liebevollem Verständnis begrüßt. — Die moderne Kritik aber weiß alles
besser. Sie will die beiden Maler nur unterscheiden und als Einzelpersonen charakteri-
sieren; sie setzt sich über alles hinweg, was ihr bei diesem Bestimmungsgeschäft des
reinen Kennertums im Wege steht, als ob die Kunstgeschichte als Wissenschaft in dieser
Klassifikation und Individuenaufreihung allein aufgehe. Keine Spur noch von sozialer
Auffassung und von solidarischer Gemeinschaft der Generationen!
Und doch findet sich bei Toesca ein merkwürdiges Eingeständnis, das wir herauslösen
müssen, um es in die Wagschale zu legen, die zwischen uns entscheidet, sowie die
Stimmen eben nicht mehr gezählt, sondern gewogen werden, wie es dort geziemt, wo
man die Wahrheit sucht. Er sagt von Masolino: »eine der stärksten Ursachen des
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