IGNAZ SCHLOSSER
italienischer Kunst) zur nordischen (englischen) Porträtau ffassung gelangte; aber wir sehen
aucli den Unterschied, der ihn von Mengs trennt, für den an erster Stelle sein vorbildliches
Dreigestirn stellt, für den ein Naturstudium nicht in Frage kommt, weil die Natur nicht
imstande sei, etwas absolut Schönes hervorzubringen.
Das Bildnis der Gräfin Pauline Salm-Reifferscheidt, 1786 (Abb. 2, Wien, Doktor
A. Figdor). Es ist die verkörperte Grazie, diese Frauengestalt, sie macht den Eindruck außer-
ordentlicher Leichtigkeit, Beweglichkeit; dieser Eindruck kann nicht einmal durch das
Monstrum von Kopfbedeckung zerstört werden. Erst wenn man diese Kopfbedeckung für
sich allein betrachtet, erstaunt man über die Ungeheuerlichkeit dieses Aufbaues.
Im Körper sind nur zwei Bewegungsmomente gegeben, die Arme sind über der Brust
gekreuzt, die sichtbare Rechte hält in zierlicher Weise das Taschentuch und den Mantel
gefaßt. Die Augen blicken sinnend in die Ferne und um den kleinen Mund beginnt ein
zartes Lächeln zu erblühen.
Man betrachte Frauenporträts des geschätztesten französischen Frauenmalers aus der
ersten Hälfte des Jahrhunderts, Bildnisse von Jean-Marc Nattier, und vergleiche das
Lächeln dort und hier. Wie mit einem Ruck werden bei Nattier die Partien des Gesichtes
so zurecht gelegt, wie es für ein Lächeln notwendig ist, die Dargestellte hat zu reprä-
sentieren, die spezielle Forderung verlangt, daß sie lächle; hier ist etwas ganz anderes
gegeben: das Lächeln gehört zur Persönlichkeit der Dargestellten und wächst organisch
aus ihr hervor; hier haben wir wieder die tiefe Kluft zwischen nordischer und italienischer
Kunst: Aktion und Zustand.
Aber noch in einer anderen Hinsicht ist eine Veränderung eingetreten. Bei der Königin
von Neapel von 1778 gab Füger eine präzise stoffliche Charakterisierung, beim
Andrea Perula hatte er bereits darauf verzichtet und es bei ganz allgemeinen Dar-
stellungen bewenden lassen, hier geht er einen Schritt weiter, das Problem der Auf-
lockerung des Materiellen durch das Atmosphärische (Licht und Luft) beginnt ihn
zu beschäftigen. Nirgends mehr ist auf diesem Porträt das Streben nach einer Indivi-
dualisierung des Stoffes zu sehen, sondern was gegeben wird, ist der optische Zu-
sammenklang von Luft und Materie. Doch wir wissen, daß dieses Problem der ganzen
Zeit angehörte.
Jedenfalls erscheint mit dem Porträt von 1786 eine Entwicklungsperiode abgeschlossen,
die Zeit des Überganges.
Das französische Porträt und mit ihm die italienischen Spezialprobleme sind überwunden
und Füger steht ganz auf dem Boden des englischen Porträts. Gibt uns schon die Art
und Weise, wie sich bei Füger diese Wandlung organisch vollzog, einen hohen Begriff
von seiner Künstlerschaft, so wird derselbe noch gesteigert durch den Weg, den Füger
von nun an im Porträt noch zurücklegt, Porträtschöpfungeri persönlichster Eigenart.
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italienischer Kunst) zur nordischen (englischen) Porträtau ffassung gelangte; aber wir sehen
aucli den Unterschied, der ihn von Mengs trennt, für den an erster Stelle sein vorbildliches
Dreigestirn stellt, für den ein Naturstudium nicht in Frage kommt, weil die Natur nicht
imstande sei, etwas absolut Schönes hervorzubringen.
Das Bildnis der Gräfin Pauline Salm-Reifferscheidt, 1786 (Abb. 2, Wien, Doktor
A. Figdor). Es ist die verkörperte Grazie, diese Frauengestalt, sie macht den Eindruck außer-
ordentlicher Leichtigkeit, Beweglichkeit; dieser Eindruck kann nicht einmal durch das
Monstrum von Kopfbedeckung zerstört werden. Erst wenn man diese Kopfbedeckung für
sich allein betrachtet, erstaunt man über die Ungeheuerlichkeit dieses Aufbaues.
Im Körper sind nur zwei Bewegungsmomente gegeben, die Arme sind über der Brust
gekreuzt, die sichtbare Rechte hält in zierlicher Weise das Taschentuch und den Mantel
gefaßt. Die Augen blicken sinnend in die Ferne und um den kleinen Mund beginnt ein
zartes Lächeln zu erblühen.
Man betrachte Frauenporträts des geschätztesten französischen Frauenmalers aus der
ersten Hälfte des Jahrhunderts, Bildnisse von Jean-Marc Nattier, und vergleiche das
Lächeln dort und hier. Wie mit einem Ruck werden bei Nattier die Partien des Gesichtes
so zurecht gelegt, wie es für ein Lächeln notwendig ist, die Dargestellte hat zu reprä-
sentieren, die spezielle Forderung verlangt, daß sie lächle; hier ist etwas ganz anderes
gegeben: das Lächeln gehört zur Persönlichkeit der Dargestellten und wächst organisch
aus ihr hervor; hier haben wir wieder die tiefe Kluft zwischen nordischer und italienischer
Kunst: Aktion und Zustand.
Aber noch in einer anderen Hinsicht ist eine Veränderung eingetreten. Bei der Königin
von Neapel von 1778 gab Füger eine präzise stoffliche Charakterisierung, beim
Andrea Perula hatte er bereits darauf verzichtet und es bei ganz allgemeinen Dar-
stellungen bewenden lassen, hier geht er einen Schritt weiter, das Problem der Auf-
lockerung des Materiellen durch das Atmosphärische (Licht und Luft) beginnt ihn
zu beschäftigen. Nirgends mehr ist auf diesem Porträt das Streben nach einer Indivi-
dualisierung des Stoffes zu sehen, sondern was gegeben wird, ist der optische Zu-
sammenklang von Luft und Materie. Doch wir wissen, daß dieses Problem der ganzen
Zeit angehörte.
Jedenfalls erscheint mit dem Porträt von 1786 eine Entwicklungsperiode abgeschlossen,
die Zeit des Überganges.
Das französische Porträt und mit ihm die italienischen Spezialprobleme sind überwunden
und Füger steht ganz auf dem Boden des englischen Porträts. Gibt uns schon die Art
und Weise, wie sich bei Füger diese Wandlung organisch vollzog, einen hohen Begriff
von seiner Künstlerschaft, so wird derselbe noch gesteigert durch den Weg, den Füger
von nun an im Porträt noch zurücklegt, Porträtschöpfungeri persönlichster Eigenart.
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