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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 28.1893

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Heft 23
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https://doi.org/10.11588/diglit.42908#0538
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Hcst W. JUnskvirte Famikien-Deitnng. I»hrg «




„Lassen wir das!" sagte er kurz. „Dein Bedauern
kann nns leider wenig helfen, und ich bin natürlich
nicht bei einbrechender Nacht hierher geeilt, nur um
Dich von dem Geschehenen in Kenntnis; zu setzen. Es
ist etwas Anderes, was ich mit Dir zu besprechen habe;
aber bist Du auch ganz sicher, das; Niemand uns in
diesem Zimmer belauschen kann?"
„Ganz sicher, lieber Vater! Die Herren, welche sich
um diese Zeit im Klub einfinden, pflegen mehr Interesse
für das Kartenspiel als für die Literatur zu haben.
Keinem von ihnen wird es in den Sinn kommen, uns
hier zu stören."
Trotz dieser Versicherung zog der Bankier seinen
Sohn soweit als möglich mit sich aus der Nähe der Thür
hinweg, und seine Stimme war bis zum leisesten Flüster-
töne gedämpft, als er sagte: „Wir brauchen nothwcndig
in den nächsten Tagen ein größeres Kapital in barem
Getde, und die Beschaffung desselben muß möglichst un-
auffällig geschehen. Glaubst Du, daß Alexandra sich
bereit finden wird, uns aus ihrem Vermögen eine
Summe von mindestens einer halben Million Mark zur
Verfügung zu stellen?"

Keorge Zi. Aavis.
Generaldirektor der Weltausstellung in Chicago. (S. 550)

Bruno wich in; ersten Augenblick ganz entsetzt zurück;
dann aber ging es wie ein mitleidiges Lächeln über-
sein Gesicht. „Welch' ein Gedanke, lieber Vater! Ich
würde mich wohl hüten, ein solches Ansinnen an meine
Frau zrr stellen. Im günstigsten Falle würde sie mir
in'S Gesicht lachen — Du weißt ja, wie sie über diesen
Punkt denkt."
„Sie hat mir allerdings einen beleidigenden Beweis
ihres Mißtrauens gegeben, als sie bei eurer Ehe-
schließung darauf bestand, ihr Vermögen in eigener
Verwaltung zu behalten, obwohl sie dasselbe in meinem
Bankhause ungleich vortheilhafter hätte anlegen können.
Damals konnte ich mit einem Achselzucken über ihre
Laune hinweggehen; heute aber liegen die Verhältnisse
anders als vor zwei Jahren — heute hat Deine Frau
geradezu die Pflicht, uns über eine Verlegenheit hinweg
zu helfen, die zwar sicherlich nur eine vorübergehende
ist, die uns aber nichtsdestoweniger verhnngnißvoll
werden kann, wenn wir sie nicht rechtzeitig abzuwenden
vermögen."
Bruno schüttelte zweifelnd den Kopf. Trotz der
verstörten Miene seines Vaters und trotz der unver-
kennbaren Erregung desselben nahm er die
Sache augenscheinlich nicht allzu ernst.
„Aber das ist ja ganz unmöglich, Vater,"
sagte er in überlegen begütigendem Tone.
„Ich weiß wohl, daß wir in den letzten Mo-
naten allerlei Verluste gehabt haben; doch wer
wäre in diesen schlechten Zeiten davon wohl
ganz verschont geblieben! Und bei einem Hause,
wie es das unserige ist, müßten doch wohl ganz
andere Ereignisse eintrcten, ehe von verhäng-
nißvollen Verlegenheiten die Nede sein kann."
Mit einem halb schmerzlichen und halb
geringschätzigen Blick streifte der Bankier über
die elegante Gestalt seines Sohnes hin. „Tu
glaubst also wirklich, Dir ein llrtheil über
unsere Lage erlauben zu dürfen, Du, der
weniger Einblick in dieselbe hat, als der jüngste
- meiner Lehrlinge? Weil cs Dir gefällt, Dich
täglich ein paar Stunden lang in Deinem
Schreibsessel zu dehnen und vielleicht zwischen
der fünften und sechsten Cigarette, wenn Dich
nicht gerade der amüsante Besuch eines Freun-
des daran hindert, irgend einen gleichgiltigcn
Brief zu schreiben, weil Du Dir auf meine
dringenden Vorhaltungen wenigstens dem Per-
sonal gegenüber den lügnerischen Anschein eincr
Thätigkeit gibst — wähnst Du Dich darum
auch gegen in ich zu so hochtönenden Worten
berechtigt?"
Bruno hatte während dieser väterlichen
Zurechtweisung die Livpen zusammengekniffen.
Mit so rücksichtslosen Worten war er denn
doch noch niemals auf die Zwecklosigkeit und
den Müßiggang in seiner Lebensführung hin-
gewiesen worden. In einer trotzigen Auf-
wallung erhob er, als sein Vater geendigt
hatte, den Kopf.
„Warum hast Du mich denn in diesen wider-
wärtigen Beruf hineingezwungen? Ich sagte
Tir's ja voraus, daß ich darin niemals et-
was leisten würde. Meine Neigungen waren

Vom Wege verirrt.

Roman
von
Lothar Vrrnkendvrf.

(Fortsetzung.)

(Nachdruck verboten.)
rnst Flemming trocknete sich den Schweiß
von der> Stirn, und seine Augen flogen
unstät in dem Zimmer umher. .„Du wirst
also nicht kommen?" sagte er zu Alexandra.
„Nun wohl, so mögen sie daheim zusehen, j
wie sie fertig werden. Ich muß vor Allem
Deinen Mann sprechen. Glaubst Du, daß
er bald nach Hause zurückkehren wird?"
Frau Alexandra lachte bitter auf. „Nein, das glanbe
ich nicht," sagte sie scharf. „Wenigstens würde das
ganz gegen seine sonstige Gewohnheit sein. Aber
wenn Du ihn sprechen mußt, so suche ihn
doch im Klub. Ich bin sicher, daß Du ihn
da an irgend einem Kartentische findest."
Diese Erwiederung schien ihn ebenso wenig
zu befremden, als Alcxandra's herzlose Wei
gerung, eine fast selbstverständliche Pflicht der
Menschlichkeit zu erfüllen. Irgend ein Ge-
danke , von dein er ausschließlich beherrscht
wurde, mußte ihm wohl alles Andere neben
sächlich und bedeutungslos erscheinen lassen.
„So werde ich dahin fahren," sagte cr:
„denn wer weiß, ob Bruno kommen würde,
wenn man nach ihm schickte."
Die junge Frau gab durch eine Geberdc
zu erkennen, wie vollständig sie diesen Zwei-
fel theilte, und mit einigen freundlichen Wor¬
ten, die er anscheinend gar nicht mehr hörte,
geleitete sie ihren Schwiegervater zur Thür.
Ueber die Gewohnheiten ihres Gatten aber
mußte Frau Alexandra ziemlich genau unter-
richtet sein; denn in der That erhob sich Herr-
Bruno Flemming mit recht verdrießlicher Miene
von cinein der kleinen Spieltische, als ihm der
Klubdiencr meldete, daß ihn Jemand, der seinen
Namen nicht nennen wolle, in dringender An-
gelegenheit sogleich zu sprechen wünsche. Sein
Erstaunen war nicht gering, als er sich in dein
Lesezimmer, dem einzigen Raume, welcher um
diese Zeit ganz leer zu sein pflegte, seinem
Vater gegenüber sah. Er wollte sein Unbeha
gen hinter einer gezwungen scherzenden Frage
Herbergen; aber die banale Redensart erstarb
ihm ans den Lippen, als er aufmerksamer in
das Gesicht des Anderen blickte.
Mit hastig hcrvorgestoßenen Worten berich-
tete Ernst Flemming von Hertha's schwerer
Erkrankung; doch als Bruno sich anschickte,
seiner Theilnahme an diesem Unglück über-
schwenglichen Ausdruck zu geben, schnitt er
jhm mit einer ungeduldigen Handbewegung die
Weiterrede ab.
 
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