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546

Das B u ch f ü r All e.

eben von jeher auf eine ganz andere Thätigkeit ge-
richtet."
„Jawohl, auf eine Thätigkeit wie die, bei welcher
ich Dich auch heute Abend aufsuchen mußte," sagte
Flemming bitter. „Hätte ich Dich Offizier werden
lassen, wie Du es so sehr wünschtest, so hättest Du
Einen von uns sicherlich längst ruinirt, wenn nicht uns
Beide."
Bruno zuckte mit den Achseln. „Was soll ich Dir
darauf antworten, und was hilft es, von Dingen zu
reden, die möglicherweise hätten geschehen können! Das;
ich mich als der Sohn eines reichen Mannes jetzt jeden-
falls nicht verpflichtet fühle, im Schweiße meines An-
gesichts ivic ein Taglöhner zu arbeiten, gestehe ich Dir
ganz offen zu."
„Aber der Tag könnte eintreten, an welchem Du
plötzlich aufgehört hättest, der Sohn eines reichen Mannes
zu sein. Und wir sind diesem Tage vielleicht sogar
verzweifelt nahe, wenn es uns nicht gelingt, die Gefahr
abzuwenden, welche jetzt über unseren Köpfen schwebt.
Noch einmal also sage ich Dir: Alexandra muß mir
ihr Vermögen in das Geschäft geben, und ich bin bereit,
ihr höhere Zinsen dafür zu zahlen, als sie sie von irgend
einem anderen Bankier erhalten kann."
„Ein solches Anerbieten wäre bei ihrer mißtrauischen
Natur sicherlich das Allerletzte, was sie geneigt machen
könnte, Deinen Wünschen zu willfahren. Und, rund
heraus gesagt, Vater, ich kann ihr diesen Vorschlag
nicht machen. Ich habe nicht den Muth dazu, weil es
für mich auch nicht dem leisesten Zweifel unterliegt,
daß sie ohne Besinnen Nein sagen würde."
„Aber sie soll es doch nicht so sehr für mich, als
um Deinetwillen thun, Bruno! Ein Schlag, der mich
vernichtet, müßte doch auch Dich treffen, und aus Liebe
zu Dir sollte sie —"
Abwehrend erhob der Gatte der schönen Alexandra
die Hand. „Du mußt sie wahrlich sehr wenig kennen,
wenn Du glaubst, daß mit solchen Sentimentalitäten
etwas bei ihr zu erreichen sei. Aus Liebe für mich
würde sie nicht einmal auf eine neue Toilette verzichten,
um wie viel weniger könnte ich ihr zumuthen, deshalb
ihr Vermögen aufs Spiel zu setzen! Meine Frau liebt
auf der ganzen Welt nichts Anderes, als sich selbst;
sie hat mir nachgerade Beweise genug dafür gegeben.
Ich nehme ihr das auch gar nicht weiter übel, denn
wenn wir ehrlich sein wollen, befinden wir uns ja doch
Alle in der nämlichen Lage. Aber warum soll ich eine
theatralische Scene herbeiführen, von deren Zweck-
losigkeit ich im Voraus überzeugt bin, und bei der ich
selber jedenfalls nur eine recht klägliche und lächerliche
Figur abgeben könnte! Ich muß Deiner besseren Ein-
sicht wohl Glauben schenken, wenn Du sagst, daß wir
uns in einer peinlichen Verlegenheit befinden; aber ich
werde mich nicht so leicht davon überzeugen lassen, daß
es gar kein anderes Auskunftsmittel geben sollte, als
eines von so verzweifelter Art."
Für einen Moment hatte es den Anschein, als ob
der Bankier seinem Sohne noch eine bedeutsame Mit-
theilung machen wolle, denn er legte die Hand schwer
auf seine Schulter und neigte sich dicht zu seinem Ohr.
Aber noch ehe er die Lippen geöffnet hatte, mußte er
wieder anderen Sinnes geworden sein, denn er ließ
den Arm sinken und fragte nur kurz: „Du würdest
also lieber das Schlimmste über uns hereinbrechen
sehen, ehe Du Dich entschlössest, einen solchen Versuch
zu unternehmen?"
„Offen gestanden — ja," bekannte der junge Lebe-
mann sreimüthig. „Auf der ganzen Welt ist mir kein
Ton so sehr verhaßt, als Alexandras spöttisches Lachen.
Ich bin gewiß nicht leicht aus der Fassung zu bringen,
aber wenn ich diesen Ton noch einmal hören sollte und
namentlich bei solchem Anlasse — ich glaube, ich würde
zu irgend einer verhängnißvollen Uebereilung fähig
sein."
Ernst Flemming wandte sich schweigend ab. Er
dachte an die entschiedene Weigerung der jungen Frau,
eine einzige Nacht am Bette ihrer todkranken Freundin
zu durchwachen, und vielleicht war es gerade diese Er-
innerung, welche ihn von allen weiteren Ueberredungs-
versuchen abstehen ließ.
Ohne Gruß wollte er davon gehen; doch Bruno hielt
ihn noch zurück.
„Du sollst darum nicht an meinem guten Willen
zweifeln, lieber Vater," sagte er sichtlich erleichtert, daß
der Bankier nicht länger auf seinem Verlangen be-
harrte. „Sei versichert, daß es mir gar nicht schwer
fallen wird, auf andere Weise Rath zu schaffen. Ich
habe ja so viele gute Freunde, und es wäre unerhört,
wenn sie uns jetzt nicht aus der Verlegenheit helfen
wollten. Da ist zum Beispiel der Kommerzienrath
Schwarzkopf, mit dem ich noch soeben eine Parthie
Ecarts gespielt habe. Der Mann ist ein zehnfacher
Millionär, und für ihn wäre es eine Kleinigkeit,
uns beizuspringen. Wenn ich ihm ein gutes Wort
gäbe —"
Ernst Flemming packte seinen Sohn am Arme, und
seine Augen blitzten ihn an, daß Jener ganz erschrocken
zurückwich.

„Bist Du von Sinnen?" stieß er zornig hervor.
„Hast Du in all' diesen Jahren noch nicht einmal so
viel gelernt, um zu wissen, daß der geschäftliche Ruf eines
Hauses das kostbarste seiner Besitzthümer ist, daß jeder
andere Verlust wieder eingebracht werden kann, nur
nicht ein Verlust an Kredit und kaufmännischem An-
sehen? Wahrlich, ich möchte den Tag nicht erleben, an
welchem ich nur noch durch die Hilfe Deiner Freunde
gerettet werden könnte, und an welchem Du diese Hilfe
vielleicht gar am Spieltisch von ihnen erbitten müßtest.
Bemühe Dich gefälligst nicht weiter, mir beizustehen.
Geh' hinein und bringe Deine Parthie zu Ende! Ich
sehe wohl, daß da drinnen der rechte Platz für Dich
ist, und daß es eine vermessene Selbsttäuschung war,
wenn ich jemals hoffen konnte, mir eine Stütze für
meine alten Tage und einen Nachfolger in Dir zu er-
ziehen."
Er eilte davon, die Thür heftig hinter sich in's
Schloß werfend. Bruno blickte ihm erst ein paar Se-
kunden lang verdutzt nach; dann aber wandte er sich
kopfschüttelnd um.
Eine Viertelstunde später mteressirte ihn der Stand
seiner Parthie unverkennbar viel lebhafter als die Lage
des Bankhauses, mit welchem die Ehre seines Namens
untrennbar verknüpft war.
Mitternacht war längst vorüber, als Ernst Flemming
nach Hause zurückkehrte. Er mußte wohl lange in den
Straßen umhergewandert sein, denn er war völlig
durchnäßt, obwohl draußen nur ein feiner Sprühregen
fiel. In Hertha's Zimmer fand er Werner, der in
sich zusammengesuuken auf einein der kleinen Sessel saß.
Als der Assessor bei seines Vaters Eintritt den
Kopf erhob, erschien sein Gesicht verfallen und um
Jahre gealtert. Durch eine Handbewegung bedeutete er
den Bankier, vorsichtig aufzutreten, und indem er nach
der Thür des Krankenzimmers hinüberwies, flüsterte
er: „Sie schläft, wir müssen behutsam sein, um sie
nicht zu wecken."
Selbst seine Stimme schien sich in dieser kurzen Zeit
verändert zu haben, und wie vollständig auch Ernst
Flemming von seinen eigenen Sorgen in Anspruch ge
nommcn sein mochte, vor dem erschütternden Anblick,
welche ihm diese Gebrochenheit seines sonst so gleich-
mäßig ruhigen Sohnes gewährte, verschwand für den
Moment doch alles Andere aus seinen Gedanken.
„Mein armer Werner," sagte er, den Arm so zärtlich
um seine» Nacken legend, wie er es seit den Tagen
seiner Kindheit nicht mehr gethan; „willst Du Dich
denn nicht jetzt ebenfalls zur Ruhe begeben?"
Aber der Assessor schüttelte nut Entschiedenheit den
Kopf. „Zur Ruhe?" fragte er, wie wenn man ihm
etwas Beleidigendes zugemuthet hätte. „Wo sollte ich
jetzt Ruhe finden — jetzt!"
„Nimmst Du Dir ihre Leiden so sehr zu Herzen?
Und ich nmr in diesen letzten Monaten fast im Zweifel
darüber, ob Du sie wirklich aufrichtig liebtest."
„Ob ich sic liebe —" und ein furchtbarer, fassungs-
loser Schmerz war es, der aus diesen Worten hervorbrach.
„Ach, Vater, ich möchte ja gerne mein Leben hingeben,
um daS ihrige zu retten!"
Der Bankier neigte sich über ihn, um ihn aus seiner
Gebrochenheit aufzurichten, und wie er so nach Worten
der Ermuthigung für den Verzweifelnden suchte, begann
sich auch in einem Winkel seines eigenen Herzens die
fast schon erstorbene Hoffnung wieder zu regen. Je
öfter er seinem Sohne das tröstende Wort wiederholte:
„Sei standhaft und muthig — sie wird ja nicht sterben,"
desto verheißungsvoller klang es trotz der düsteren
Voraussage des Arztes allgemach auch in seiner eigenen
Brust: „Sei standhaft und muthig — sie wird ja nicht
sterben!"

Sechstes Kapitel.
Es war ein warmer, windstiller Sommermorgen
gegen Ende des Juni. Ein feiner Nebeldunst ver-
schleierte noch die strahlende Bläue des Himmels und
ließ alle Gegenstände der Landschaft in einem eigen-
thümlich flimmernden und zitternden Lichte erscheinen.
Der weite Stadtpark, dessen prächtige, wohlgepflegte
Anlagen einen besonderen Stolz der Einwohnerschaft
bildeten, war um diese Stunde fast noch ganz menschen-
leer. Ein Aufseher, der über den Kiesweg dahin
schlenderte, lüftete höflich grüßend seine Mütze gegen
die schlanke dunkle Gestalt einer jungen Dame, welche
sich auf eine der Bänke am Ufer des kleinen künstlichen
See's niedergelassen hatte. Der Mann hatte seiner
Zeit in einem Regiment gedient, dessen Chef der da-
malige Oberst v. Dönninghaus gewesen war, und bei
der Beliebtheit, welche dieser bei seinen Mannschaften
genossen, war es nicht wunderbar, daß auch seine
Tochter noch heute einen Gegenstand besonderer Ver-
ehrung für den alten Soldaten bildete.
Freilich hatte der Mann, da Hertha vor etwa
vierzehn Tagen in Begleitung der Frau Flemming
zum ersten Male hier im Stadtpark erschienen wär,
Mühe gehabt, in dem bleichen, schmalen Gesichtchen,

Ljeft 2.4.
aus welchen! die schönen Augen fast überirdisch groß
hervorleuchteten, die Züge des in blühender Gesundheit
und Frische prangenden Geueralstöchterchens wieder zu
finden.
Aber bereits während dieser kurzen vierzehn Tage
war in Hertha's Aussehen eine merkliche Wandlung
zum Besseren eingetreten. Ihre Wangen begannen sich
wieder zu runden, ein zartrosiger Schimmer kehrte aus
dieselben zurück, und nun war sie zur stillen Freude
des Aufsehers heute sogar ohne jede Begleitung in den
Stadtpark gekommen.
Ein so feiner Seelenkenner war der ehemalige
Grenadier ja allerdings nicht, daß er hätte wahrnehmen
sollen, ivie trotz aller Anzeichen wiederkehrender Gesund-
heit nichts von jener glücklichen Heiterkeit, welche sonst
den Gesichtern Genesender eigenthümlich zu sein pflegt,
auf dem zarten Antlitz der jungen Dame lag. Selbst
das freundliche Lächeln, mit welchem sie den ehrerbietigen
Gruß erwiederte, hatte noch etwas von jenem tief
schwermüthigen Ernst, der aus dem Blick ihrer Augen
und aus den kleinen Leidenslinien in ihren Mundwinkeln
sprach.
In träumerisches Nachsinnen verloren sah sie un-
verwandt auf den schimmernden, kaum bewegten Wasser-
spiegel zu ihren Füßen nieder, auf dem ein schwarzer
Schwan mit stolz geblähten Flügeln einsam seine stillen
Kreise zog. Sie hatte in ihrer Versunkenheit das
langsam naher kommende Geräusch von Rädern, die
sich kreischend über dem Kiessand bewegten, wohl nicht
vernommen, und erst, als der kleine Krankenwagen
kaum noch um zehn Schritte von ihr entfernt war,
blickte sie auf.
Und nach einer Sekunde des Schreckens, des Zweifelns,
des stockenden Herzschlags hatten sie einander erkannt,
die beiden jugendlichen Menschenkinder, die sich vor kaum
Jahresfrist zum letzten Male in der vollen Blüthe der
Kraft und Schönheit gegenübergestanden. Welch' ein
Wiedersehen war dies. Fast zum Skelett abgemagert,
mit gelblich gefärbtem, scheinbar um Jahrzehnte gealtertem
Gesicht ruhte Erwin v. Hersdorff matt und gebrochen
in den Polstern des bequemen Stuhlwagens, trotz der
linden Luft des Junimorgens vorsorglich in dicke, wollene
Decken eingehüllt. Nichts mehr war von dem Bilde
des prächtigen, strahlenden Offiziers in dieser hinfälligen
Gestalt, als der martialische Schnurrbart und der feu-
rige Blick der kühnen, falkenscharfen Augen. Mit sicht-
licher Anstrengung erhob er die Hand zu seinem Hute,
und trotz aller Selbstbeherrschung verrieth ein gewisses
unwillkürliches Zucken in seinem Gesicht, daß es ihm
nur unter großer körperlicher Oual möglich war, sich
zu einer strafferen Haltung empor zu richten, die ihm
in Hertha's Augen wohl noch einen trügerischen An-
schein der Kraft geben sollte und die doch nur gar
wehmüthig an seine stählerne Elastizität aus einer un-
wiederbringlich entschwundenen Zeit gemahnte.
Er hätte es wohl nicht gewagt, sie anzureden; aber
Hertha v. Dönninghaus erhob sich und reichte ihm,
ohne ihre Bewegung ganz verbergen zu kennen, die
Hand.
„Welch' eine Ueberraschung, Herr v. Hersdorss!"
sagte sie. „Es hat Sie also doch wieder in die alte
Heimath zurückgezogen? Ich heiße Sie von Herzen darin
willkommen."
Mit der Ritterlichkeit der alten Tage führte er die
schlanken, behandschuhten Finger an seine blutlosen
Lippep. Und als er dann den Blick zu ihrem Gesicht
erhob, schimmerte es feucht in seinen Augen.
„Es gibt Worte, gnädige Frau," erwiederte er leise,
„die köstlicher sind, als alle Schätze der Welt und heil-
samer, als alle Arzneien. Der Gruß, welchen Sie
mir eben vergönnten, war ein solches Wort, und ich
danke Ihnen dafür aus der Tiefe meiner Seele."
Wie seltsam unterschied sich doch diese weichmüthige
Art von der übersprudelnden Frische, die einst in
jedem seiner Worte gewesen war! Ein Gefühl tief-
innigen Mitleids, wie sie es in gleich überwältigender
Mächtigkeit noch nie zuvor bei dem-Anblick eines leiden
den menschlichen Wesens empfunden hatte, erfüllte
Hertha's Brust.
„Ich möchte mir wohl ein wenig von Ihren Er-
lebnissen erzählen lassen, Herr v. Hersdorff," sagte sie,
„aber wenn ich fürchten müßte, daß das Sprechen
Ihnen schadet oder Ihnen auch nur Anstrengung ver-
ursacht —"
Mit einer hastig abwehrenden Bewegung fiel er ihr
in's Wort. „Und wenn ich die unverhoffte Freude,
mich noch einmal mit Ihnen unterhalten zu dürfen,
auch mit meinem Leben erkaufen müßte, gnädige Frau,
so würde ich sie doch wahrlich nicht als zu theuer be-
zahlt erachten. Doch es ist nichts derartiges zu fürchten.
Die Aerzte haben mir zwar alles Mögliche verboten,
das Athmen und das Sprechen jedoch sind mir zum
Glück noch gestattet. Vielleicht erlauben Sie, daß ich
mich an jene Bank dort heranfahren lasse, denn aus
diesem meinem Marterstuhle vermag ich mich leider nicht
zu erheben."
Er ertheilte dem Manne, welcher den Kranken-
wagen schob, einen bezüglichen Befehl und bedeutete
 
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