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Heft 2. JUnstvivtc Fttrlrilien-Deitnng. Iahrtz. W3.




Kran v. Kochenkurger.
Nach einer Originalaufnahme des Hofphotographen I. C Sch aarw achter in Berlin. (S. 35)

manches liebe Mal glücklich beieinander saßen. Oder
widerstrebt es Dir, Seite an Seite mit mir zn sitzen?"
Der schneidende Ton der letzten Bemerkung fand
einen harschen Nachhall in Lionel's Gemüth. Er kannte
kein Zaudern, kein Zagen mehr.
„Im Gegentheil," erwiederte er, „ich heiße die Ge-
legenheit willkommen, obwohl ich sie nicht gesucht hätte,
mich offen vor Dir auszusprechen, Dir zu betheuern,
daß meine Empfindungen für Dich keine Abschwächung
erfuhren, ich mich aber vor mir selber schämen müßte,
wollte ich nach den jüngsten Erfahrungen das zwischen
uns schwebende Verhältniß noch weiter fortbestehen
lassen. Gedenken wir daher der vergangenen Tage
ivie eines holden Traumes, dem vom Geschick keine Ver-
wirklichung beschieden gewesen. Gedenken wir aber auch

Einer des Anderen versöhnlich und in Freundschaft,
oder vielmehr ebenfalls wie sich verflüchtigender Traum-
gebilde."
„Du verlangst viel," erwiederte Konstanze erzwungen
ruhig, während es sie doch kalt durchrieselte, „aber auch
diesen Aussprnch ertrage ich geduldig, weil er nicht in
Deinem Herzen, sondern in den erwähnten Erfahrungen
seinen Ursprung fand. Es sei denn, alle Deine früheren
Betheuerungen wären Falschheit gewesen, und das traue
ich Dir nicht zu."
„Wollte Gott, ich dürfte das Gegentheil beweisen,"
stieß Lionel förmlich hervor.
„Was hindert Dich denn?"
„Was mich hindert? Nicht mehr und nicht weniger,
als daß meine Tage hier gezählt sind."
„So hatte mein Vater Recht, als er
behauptete, Du trügest Dich mit der Absicht,
außer Landes zu gehen," versetzte Konstanze.
Sie lachte leise aber mißtönend vor sich
hin und fuhr fort: „Wunderbar, wie wir
geschäftlich über Dinge sprechen , die uns
so lange das Heiligste unter der Sonne
gewesen; und doch darf Keiner von uns
Beiden dafür verantwortlich gemacht wer-
den — hier ist die Bank." Sie ließ sich
nieder, Lionel durch eine Handbewegung
einladend, neben ihr Platz zu nehmen.
Dieser leistete Folge, nachdem er den
Zügel über die Banklehne geworfen hatte,
und hob an: „Nein, Konstanze, wir nicht,
wenn ich jetzt geschäftlich — mit Wider-
streben bediene ich mich des von Dir ge-
wühlten harten Wortes — also geschäft-
lich erkläre, daß ich zum letzten Male hier
sitze, zum letzten Male Deine vertraute
Stimme höre, zum letzten Male, wie in
den goldenen Zeiten, meine geheimsten
Gedanken rückhaltlos vor Dir enthülle."
„Du willst gehen, ohne zuvor zu prü-
fen, ob das Mißgeschick nicht müde ge-
worden, Dich zu verfolgen, und sich an-
schickt, seine bisherigen Launen in das Ge-
gentheil umzuwandeln?" fragte Konstanze,
und mit tödtlicher Spannung hingen ihre
Augen an dem geneigten Antlitz des Ge-
liebten. „Ohne zu prüfen, ob Du nicht
Freunde besitzest, die gerne bereit wären,
Dich in Deinem ehrlichen Ringen nach
Unabhängigkeit zu unterstützen?"
Lionel richtete sich stolz auf. Was in
des sichtbar zagenden Mädchens Worten
lag, er errieth es leicht. Es kostete ihn
daher keine Ueberwindung, zu entgegnen:
„Forderte ich das Geschick nicht gegen
mich heraus, so habe ich auch keine Ursache,
dessen Lannen zu prüfen. Ebenso wenig
könnten andere Umstände mich dazu be-
wegen, meinen Aufbruch weiter hinaus-
zuschieben, als die nothdürftigsten Reise-
vorkehrungen erheischen. Der Würfel ist
gefallen; es gibt keine Umkehr. Und so
erübrigt mir nur, Dir Dein Wort zurück-
zugeben, Dich zu bitten, es hinzunehmen

Der Talisman.
Roman
von
Balduin Müllhausvn.
(Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten.)
M as stehst Tu da, als wolltest Tu
p>,mich für das Verhängniß strafen, das
uf Dich hereingebrochen ist?" ries
ie Tochter Waterfuhr's Lionel zu.
Glaube mir, lebten die alten Er-
innerungen nicht un
verweltlich in mir fort,
so würde ich jetzt, an¬
gesichts Deiner Em¬
pfindungslosigkeit, mein
Pferd wenden und so schnell davon-
seiten, wie es auszugreifen vermöchte.
Statt dessen verzeihe ich Dir die meiner-
seits sicher nicht verdiente Unfreundlichkeit.
Pertraut mit Deiner augenblicklichen Lage,
stnde ich Deine Stimmung sogar natürlich,
oder ich Hütte mich seit Deiner, durch er-
schütternde Ursachen bedingten Heimkehr
nicht peinlich bedachtsam außerhalb Dei-
nes Gesichtskreises gehalten — ich wieder-
hole: weshalb stehst Du so starr und
empfindungslos? Sind die Tage denn
gänzlich vergessen, an denen Du mich nur
zu sehen brauchtest, um herbei zu eilen und
nur aus dem Sattel zu helfen?"
So lange Konstanze mit glühendem
Eifer sprach, hatte Lionel sich kaum ge-
rührt. Die Brauen gerunzelt, sah er finster
vor sich nieder. Er schien die Blicke zu
fürchten, die ihn so oft berauschten, die
ganze übrige Welt für ihn versinken lie-
ßen; aber auch zu fürchten für seinen
Muth, das auszuführen, wozu er sich blu-
tenden, aber auch verbitterten Herzens
entschlossen hatte. Auf ihr letztes Wort
trat er indessen neben sie hin. Mit der
linken Hand in den Zaum greifend, nahm
er mit der rechten ihren Fuß in Empfang,
und gleich darauf stand sie an seiner Seite.
Er mochte den fragenden Blick fühlen,
Mit dem sie zu ihm aufsah; denn anstatt
sie in gewohnter inniger Weise zu be-
grüßen, nahm er den Trensenzügel vom
Halse des Pferdes, und ihn über den
Arm hängend, schickte er sich an, mit ihr
weiter zu gehen. Und noch immer mied
er ihre Augen. Es wäre ihm sonst schwer-
lich entgangen, daß sie im Zorn funkelten,
böser Hohn um ihre Lippen zuckte.
„Wohin?" fragte er eintönig.
„Wohin anders, als nach der Bank,
die Hubert auf mein Geheiß für uns her-
richtete! Nach der Bank, auf der wir so



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