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Heft 26. Ilinstvii7te Fttrnilion-Deltung. Lahrg. IW




so erschreckend hinfällig ausgesehen, als jetzt in dem
viel zu weit gewordenen Waffenrock mit seinen blanken
Tressen und Epaulettes und mit dem für persönliche
Tapferkeit verliehenen Orden auf der eingesunkenen
Brust. Hersdorff hatte denn auch die Lippen zu einem
bitteren Lächeln verzogen, als er nach beendeter Toilette
einen Blick in den vorgehaltenen Spiegel geworfen;
aber trotz des erschreckenden Eindrucks, welchen das
Bild seiner äußeren Erscheinung auf ihn selbst noth-
wendig hervorgebracht haben mußte, hatte er doch schon
wenige Minuten später zu dem Diener, als ihm derselbe
eine Handreichung thun wollte, gesagt: „Bemühen Sie
sich damit nicht, mein Lieber! Ich kann mir das jetzt
schon ganz gut selbst machen, denn meine Kräfte haben
sich in diesen letzten Wochen bedeutend gehoben. Finden
Sie denn nicht auch, daß es jetzt schon sehr viel besser
mit mir steht als zu der Zeit, da Sie Ihren Dienst
antraten?"
Der Diener hatte natürlich eine bejahende Antwort
gegeben; aber als er sich dann umwandte, war es ihm
deutlich genug auf dem Gesicht geschrieben
gewesen, daß er im Grunde seines Herzens
ganz anderer Meinung war.
Freilich, wenn eine fast übergroße Ge-
schäftigkeit in Worten und Geberden als
ein Zeichen wiederkehrender Genesung zu
nehmen ivar, so konnte man wohl an eine
günstige Wendung in Hersdorff's Befinden
glauben; denn er wurde nicht müde, dem
Diener in einem fast heiteren Ton die ver-
schiedenartigsten Befehle in Bezug auf die
Ausschmückung des Zimmers zu ertheilen,
und seine glänzenden Augen überwachten
die sorgfältige Ausführung derselben mit
aufmerksamem Blick.
Nun endlich war in dem schön nusgestat-
teten Salon Alles nach seinen: Wunsche
geordnet, und mit einem freundlichen Worte
hatte Hertzdorff den Diener entlassen.
Müde in seinen Sessel zurückgelehnt und
die hageren, wachsbleichen Hände auf der
seidenen Decke gefaltet, die seine Kniee ein-
hüllte, erwartete er das Herannahen des
feierlichen Augenblicks, der Hertha v. Dön-
niughaus zu seinem Weibe machen sollte.
Unvorhergesehene Hindernisse bei der Be-
schaffung eines für die Eheschließung er-
forderlichen Dokuments hatten das Erschei-
nen dieses von ihm heiß ersehnten Tages
länger hinausgezögert, als es ursprünglich
anzunehmen gewesen war, und wenn auch
die Zeit, welche seit ihrer seltsamen Unter-
redung in dem armseligen Hotel garni ver-
strichen war, nur erst nach Wochen zählte,
so war doch jeder einzelne Tag für den
Kranken eine schier unerträgliche Kette von
Stunden gewesen, in denen himmelhoch
jauchzende Hoffnung mit fast verzweifelter
Niedergeschlagenheit beständig gewechselt
hatte.
Hertha war, da er seines Zustandes
wegen nur sehr langsam und mit mehreren
Unterbrechungen reisen konnte, fast gleich-

Vom Wege verirrt.
Roman
von
Lothar Vrenkendorf.
(Fortsetzung.)
it einem Abglanz hohen Glückes auf
dem verwüsteten Gesicht hörte der Kranke
Hertha zu. Seine leuchtenden Augen
tranken die Worte von ihren Lippen, s
und nur durch ein stummes Neigen des i
Hauptes gab er seine Zustimmung zu !
jedem ihrer Vorschläge zu erkennen, i
Schon nach kurzer Zeit aber stellte sich j
ein neuer und noch heftigerer Anfall i
jener Herzbeklemmung und Athemnoth ein,
welche Hertha vorhin erschreckt hatte, und
diesmal ließ sie sich nicht abhalten, zu
klingeln.
Die verdrossene Magd, welche nach einer
gerauuien Weile erschien und noch giftigere
Blicke als vorhin auf die schöne junge
Dame warf, erklärte gleichgiltig, die
Tropfen, welche der Herr Lieutenant bei
diesen AnMlcn zu nehmen pflege, stünden
ja neben ihm auf dem Tischchen, und
etwas Weiteres wisse auch sie dabei nicht
zu thun.
Mit zitternden Fingern reichte Hertha
selbst dem Kranken die Arznei, und nach
Verlauf einiger banger Minuten schien die
Macht des Anfalls in der That gebrochen
zu sein. Mit einem matten Lächeln streichelte
Hersdorff ihre auf der Armlehne seines
Kraukenstuhles liegende Hand und sagte
leise: „Du mußt jetzt gehen, mein theures
Mädchen, denn es könnte leicht zu viel für
Deine Nerven werden. Auch pflegt die
Arznei in der Regel einschläfernd zu wirken,
Und es ist darum auch für mich wohl am
besten, wenn ich ein wenig mir selbst über-
lassen bleibe. Sei versichert, daß Du mich
viel gesünder und kräftiger finden wirst,
wenn Du wicderkommst. Und Du wirst
doch nach einmal wiederkommen, ehe ich
abreise, nicht wahr?"
Sie versprach es ihm als etwas ganz
Selbstverständliches, und da sie in der That
wahrzunehmen glaubte, daß er nur noch
Wit Anstrengung die Augen offen hielt, so
leistete sie seinem Verlangen, sich zu ent-
fernen, nach kurzem Zaudern Folge.
Draußen auf der Straße aber mußte
sie minutenlang neben der Hausthüre stehen
bleiben, weil ein Schwindel sie befiel und
die Füße ihr den Dienst zu versagen drohten.
Als sie dann endlich müden und lang-
samen Schrittes den Rückweg nach dem

Hause der Frau v. Schwind antrat, war in ihrem
Innern Alles todt und erstorben, und nichts von jener
muthigen Freudigkeit, die sich sonst im Gefolge eines
hochherzigen Entschlusses einzustelleu pflegt, war in
ihrem Herzen. _
AeHntes Kapitel?
Blumenduft erfüllte das hohe Gemach, dessen Fenster
ebenso wie die breite Flügclthür weit geöffnet standen.
Von dem bequemen Rollstuhl aus, in welchem Erwin
v. Hersdorff ruhte, konnte der Blick ungehindert über
die blühende Herrlichkeit des Gartens mit seiner bei-
nahe tropischen Pracht au leuchtenden Farben und
mannigfaltigen Formen dahinschweifen, und der laue
Sommerwind, welcher draußen die Blätter leise rauschen
und flüstern machte, streifte mit seinem sanften, würzigen
Hauch kosend über die Stirn des Kranken hin.
Der Diener hatte den jungen Offizier heute in
seine Uniform kleiden müssen, und die abgezehrte Ge-
stalt mit dem mageren, gelben Gesicht hatte niemals

Kürst Adoks E>eorg zu Schnumvurg-Lippe ff. (S. 622)
 
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