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Hest >7. Iiinstiäivte Fniliilien-Deitnrrst. 2»hrg. >«.


Der Talisinan.
Roman
Baldniu MvUlzauIrn-
ehr verstand ich nicht," erzählte Lionel wei-
ter, „indem sie, Vincenti den Arm um
Marion's Schultern gelegt, das Gärtchen
verließen und der Einfahrt zuschritten.
Da weckte Labour mich aus meinen
freundlichen Betrachtungen nut den Wor-
ten: ,Wer hätte dem Schlingel so viel
Sanftmuth zugetraut. Er ist wahrhaftig
I ein Anderer geworden und wird es auch
bleiben unter der Herrschaft des verständigen Kindes.
Äste er selber manchen Mustang mit Sporen und Peitsche
brach, bändigte Marion ihn mit ihren: kleinen
Herzen, und das ist nicht rückgängig zu machen.
Aber keine Silbe davon, daß wir sie belauschten:
es möchte für Beide beschämend sein.'
Leichteren Herzens, als wir gekommen waren,
legten wir den Weg durch die höhlenartigen
Räume zurück. Aber beinah eine Stunde hatten
wir erwartungsvoll vor den: lodernden Kamin-
feuer gesessen, bevor das junge Paar eintraf.
,Das hat ziemlich lange gedauert,' grollte La-
boup scheinbar, um unseren Verrath zu verheim-
lichen. Kräftig schüttelte er Vincenti, dein Marion
Kir Leite schritt, die Hand, indem er hinzufügte:
-Deshalb sollst Du mir aber nicht weniger herzlich
"ullkommen sein.'
,Als ganz mittelloser Main: kehre ich zurück,'
antwortete Vincenti förmlich schüchtern, ,mein Ver-
wögen schenkte ich Marion. Geben Sie mir das
Kind nicht zur Frau, so bleibt mir nichts An-
beres übrig, als zu den Biberfallen zu greifen.'
„Es braucht doch nicht heut oder morgen zu
sein,' versetzte Labour grimmig, aber seine Stimme
Ktterte verdächtig, als er in dem bräunlichen Ge-
l'cht seiner Tochter eine Welt der Glückseligkeit
entdeckte; ,doch immerhin: auch als Schwiegersohn
"pachte ich Dich nicht. Und jetzt, Marion, rühre
Dich, daß wir endlich ein ordentliches Mahl vor
"Ns auf dem Tisch dampfen sehen.'
Damit war die Verlobung geschlossen, eine
echt westliche Verlobung. Einfach, wie Alles er-
ledigt wurde, übte sie doch einen unauslöschlichen
b-'ndruck auf mich aus. Mit der stillen Feier
üaud im Einklang die charakteristische Umgebung,
"er klare, prächtig erleuchtete Sternenhimmel, der
ssch über das zerklüftete Hochland und das stille
Fort wölbte.
Es bleibt mir nur noch wenig hinzuzusügcn,"
"nhm Lionel nach kurzen: Säumen seine Mitthei-
tttugen wieder auf. „Schon am folgenden Tage
Üellte der Winter sich mit voller Strenge ein.
Dem Frost folgten Schnecstürme, was nicht wenig

dazu beitrug, den. düsteren Räumen des Forts mit den
lodernden Scheiterhaufen in den Kaminen einen gewissen
Ausdruck des Behaglichen zu verleihen. Eine Freude
ivar es für mich, die beiden jungen Leute im Verkehr
unter sich und mit den: alten Labour zu beobachten;
aber auch eine innige Herzensfreude, immer wieder zu
hören, wie man einen gewissen Eareworn als den Be-
gründer so vielen Glückes segnete und mich um das
Wiedersehen mit ihn: beneidete.
Sobald Labour glaubte, es ohne größere Gefahren
unternehmen zu können, traten wir, unter Benutzung
eines flinken Maulthiertrains, mit dein jungen Paar
die Reise nach dem Missouri an. Da Vincenti dem
Alten die Verwaltung seines Vermögens übertragen
hatte, zögerte dieser nicht, in St. Joseph eine auf den
westlichen Handel berechnete Faktorei zu begründen und
Vincenti als deren Chef einzusetzen. Vincenti selbst be-
wies auch auf diesem Felde großen Scharfsinn und un-
ermüdlichen Fleiß, so daß seine und Marion's Zukunft
als unerschütterlich gesichert betrachtet werden darf. In
St. Joseph wartete ich nur noch die Hochzeit der beiden
jungen Leute ab, die, wie die Firma, fortan den Namen


Prinzessin Mnrie Non .Holsrnzollcrn, geb. Prinzessin Non vdinluirq,
tScmMin deS rumänische» TlironsoüzcrS. )S. 407)


Laboup führen sollten. Einer der lustigsten Gäste war
der getreue Vilandrie, der gerade dort überwintert hatte.
Dann wendete ich mich östlich, so schnell Eisenbahnen
und Dampfschiffe es nur ermöglichten. Soviel von
Vincenti. Mögen die Aufschlüsse, die ich über ihn er-
theilen konnte, Sie befriedigen. Ich füge nur noch
hinzu, daß, wenn nach den Schicksalsschlägen das Glück
ihn wirklich in ungeahnter Weise begünstigte, er sich
dessen nie unwürdig zeigte. So bezweifle ich auch nicht,
daß der Druck, der zeitweise vielleicht noch auf seinem
Gemüth lastet, unter dein Einfluß der lieblichen Marion
endlich spurlos verschwindet."
Und abermals reichte Jonas Lionel die Hand.
„Die letzte schwere Bürde nahmen Sie von meiner
Seele," sprach er, ihm ernst in's Auge blickend, „und
getrösteter mag ich hinfort jener beklagenswerthen Mär-
tyrerin gedenken. Wie die Stunden uns unter den Hän-
den entflohen! Der Morgen naht, und der Körper
verlangt sein Recht. Ich selbst werde wohl nicht viel
Lchlas finden. Aber immerhin: die Ruhe ist auch mir
willkommen, um in dem Buche, das Sie vor meinen
geistigen Blicken aufschlugen, zu lesen, mir zu vergegen-
wärtigen jene fernen Zeiten, in denen das Geschick
mich zum Spielball seiner böswilligsten Launen er-
koren zu haben schien." Er erhob sich und fuhr
fort: „Morgen, wenn auch erst wieder unter dem
Schutz nächtlicher Stille, sollen die Schleier von
Ihren Augen fallen. Es trägt mich die Hoffnung,
daß Sie dann noch weniger bereuen werden, die,
von mir vorgeschriebenen Wege gewandelt zu sein.
Was durch Sie für mich geschah, kann Ihnen nie
vergolten werden. Wie Sie mich einst aus den
Händen elender Strandräuber retteten, haben Sie
jetzt den vielgemarterten Geist aus den Banden
trüber Grübeleien erlöst, eine neue, eine freund-
liche Zukunft für mich geschaffen."
„Nichts bereue ich," versetzte Lionel aus vollem
Herzen, „reiche Vergeltung aber finde ich in den:
Bewußtsein, das in mich gesetzte Vertrauen ge-
rechtfertigt zu haben."
Mit einem Händedruck schieden sie von ein-
ander. Bald darauf verdunkelten sich Lionel's
Fenster. Hinter den beiden anderen aber brannte
noch lange die Lampe- Tie beleuchtete Jonas, der
tief über den Tisch geneigt dasaß. Die Blicke hatte
er regungslos auf die vcr ihm liegende Haarlocke
mit den sie umringenden Blumenresten gerichtet.
Zuweilen war es, als hätten Thränen in den
schwermüthig schauenden Augen zusammenrinnen
wollen. Stille herrschte auf dem Gehöft, tiefe
Stille in dessen Umgebung. Die Morgenbrisc
war erwacht und sang zwischen den Nadeln der
Tannenwipfel. Es klang wie langgedehnte, melan-
cholisch zitternde Akkorde von Aeolsharfen. Das
Meer schlief, aber im Traum schnarchte es bald
lauter, bald leiser, je nachdem die matten Dünungen
nach dem Strande hinaufrollten und, den Nach-
folgerinnen Raum gebend, sich träge überstürzten.

Dvoi n r: ö> d u o i h i g st o s Ft <n p i t o k.
Dem arbeitsreichen Tage folgte ein heiterer
Abend. Eva beherrschte die Stimmung des Hauses,
 
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