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HestL4. IRnftvirte Farnil^ien-Deitnrrg. Äahrg^lW.




der gewaltigen Kluft, welche zwischen Deinen Anschauun-
gen und den ineinigen besteht, mit erschreckender Deutlich-
keit vor weine Seele.
Ich wiederhole Dir, Werner, daß ich mich dieser
Erkenntnis; nicht leicht gefangen gegeben, daß ich mich
gegen sie gesträubt habe, so lange ich es vermochte. Und
ich würde mich selber vielleicht zuletzt wirklich darüber
hinweggetäuscht haben, trotz jenes schrecklichen Briefes aus
Kairo, der all' meine quälenden Zweifel von Neuem
wachgerufen, wenn mir nicht endlich heute die Rückkehr
des Todtgeglaubten und sein mitleidswürdiger Anblick
volle Gewißheit darüber gegeben hätte, daß ich Dein
Weib nicht werden kann, ohne mich einer Lüge schuldig
zu machen. Denn ich kann meine Herkunft und meine
Erziehung nicht verleugnen und ich kann Dir nicht Ge-
horsam und Unterwerfung geloben mit der offenen Auf-
lehnung und dem mächtigen Widerstreben im Herzen.
Und wie sollten nur auch jemals hoffen, glücklich zu
werden, so lange das Bild dieses unglücklichen, an Leib
und Seele gebrochenen Mannes zwischen
uns steht! Ich weiß nicht, wem von
uns der größere Antheil zufüllt an der
Herbeiführung seines Geschickes; aber ich
weiß, daß keine Klügeleien und keine Be-
rufung auf unerschütterliche Grundsätze
unser Genüssen ganz zu entlasten vermö-
gen. Die Erinnerung an diese Schuld würde
von der ersten Stunde an den Frieden
unseres Hauses zerstören, und sie würde
vielleicht nur um so schwerer auf uns lasten,
je ängstlicher Jeder von uns eS vermeiden
würde, der Anklage Worte zu geben, die
sich auf dem Grunde seines Herzens gegen
den Anderen erhebt.
Darum bitte ich Dich noch einmal,
Werner: gib mich frei! In Deiner Hand
allein liegt die Entscheidung über die Zu-
kunft und das Lebensschicksal dreier Men-
schen ; denn ich werde meines Vaters eben-
bürtige Tochter auch darin sein, daß ich
meinem einmal gegebenen Versprechen un-
verbrüchlich treu bleibe, sofern Du mich des-
selben nicht ausdrücklich entbindest. Aber
ich fürchte nicht, daß Du die Macht, welche
ich Dir hiermit über mich cinräume, dazu
gebrauchen wirst, meine Fesseln noch fester
zu schmieden. Die Verantwortung, welche
Du damit auf Dich nähmest, müßte Dich
eines Tages zu Boden drücken, denn es
handelt sich ja nicht nur um Dich und um
mich, sondern; noch viel mehr um das Schick-
sal eines Dritten, an dem ich, soweit
Menschenkrüfte reichen, wieder gut machen
möchte, was er durch unsere Schuld ge-
litten hat.
Und das ist das Letzte, Werner, was
ich Dir in diesem langen und doch so un-
vollständigen Briese noch zu sagen habe:
Hersdorff ist ganz allein, und die Sorgen
der Armuth lasten auf ihm kaum minder
schwer, als die Qualen seines körperlichen
Leidens. Er ist zu stolz, um die Gesell-
schaft seiner ehemaligen Freunde zu suchen,

theilcn solle, keinen Augenblick darüber im Zweifel,
daß die Folge einer solchen Mittheilung nur ein
Duell zwischen Dir und Hersdorff sein könne. Es war
ein furchtbarer Gedanke! Die Vorstellung, daß Du
in diesen; Zweikampfe fallen könntest, brachte auch dem
Wahnsinn nahe, und wenn ich nur meinem liebenden
Herzen hätte folgen dürfen, so würde ich sicherlich ge-
schwiegen haben. Aber ich wähnte, daß Deine Mannes-
ehre in meine Hand gegeben sei, und ich wäre Deiner
Achtung nicht länger würdig gewesen, wenn ich dies
kostbare Gut meiner selbstsüchtigen Furcht zum Opfer
gebracht hätte. So sagte ich Dir Alles. Als ich dann
aus Deinen; eigenen Munde erfuhr, daß all' meine
Angst und Sorge vollkommen überflüssig gewesen sei,
daß Du überhaupt nicht einen Augenblick die Absicht
gehabt hattest, Dich mit Hersdorff zu schlagen, da durch-
strömte es mich wohl für einen Moment wie eine Em-
pfindung unbeschreiblicher Erleichterung und Freude;
aber in der nächsten Sekunde schon trat die Erkenntnis;

Akeran-er I-, König von Scrvien. (S. 574)

Vom Wege verirrt.

Roman

Lothar Vrentrendorf.

(Fortsetzung.)

(Nachdruck verboten.)
ch rang und kämpfte mit dein Feinde ii;
meinem Herzcn," las der Staatsanwalt
weiter in dem Briefe Hertha's, „und ich
hoffte von Tag zu Tag, das; ich endlich
doch den Sieg "über ihn davontragen würde.
Vielleicht war dies die einzige Ursache mei-
ner Krankheit, und vielleicht wäre es besser
für uns Alle gewesen, wenn mir die Kunst
des Arztes und die hingehende Pflege Dei¬
ner Mutter nicht über diese Krankheit hin¬
weggeholfen hätten. Denn selbst im An-
gesicht des Todes habe ich den unsicht¬
baren Feind meines Glückes nicht zum
Schweiget; bringen können; ich kämpfte mit
ihm in meinen Fieberphantasien, und er
war es, der meinen ersten klaren Gedanken
Nach überwundener Krisis beherrschte.
Ich glaube an Deinen; hochherzigen
Sinn; dein; ich kenne ja Deine warme
Empfänglichkeit für alles Gute und Große
zz- ich halte Dich keiner niedrigen Handlung
fähig, und doch kann ich nicht über die
schreckliche Thatsache hinweg, Werner, das;
Du mit voller Ueberzeugung etwas gethan
hast, was ich meinem Gefühl- nach für
falsch, meiner Erziehung nach sür verächtlich
halten muß — und daß Du in jeder ähn¬
lichen Lage immer wieder von Neuen; eben¬
so handeln würdest. Ich bin die Tochter
eines Soldaten, und vielleicht alle meine
Männlichen Vorfahren sind Soldaten ge¬
wesen ; mein Vater wurde in drei Kriegen
verwundet, und mein einziger Bruder, den
ich kaum gekannt, ließ ^als siebzehnjähriger
Fähnrich mit einem Hurrahrufe auf den
Tippe;; bei Spichern sein Leben. Während
Meiner ganzen Jugend habe ich nach den
Eindrücken, von denen ich umgeben war,
unerschrockenen, persönlichen Muth nur für
mne ganz selbstverständliche Eigenschaft jedes
uchtungswerthen Mannes halten können.
Es wäre mir jederzeit als ganz undenkbar
^schienen, daß irgend einer von den Man¬
dern, die meines Vaters Freundschaft ge¬
dosten, sich selbst oder ein Wesen, das sei¬
dene Schutze unterstellt war, hätte be¬
schimpfen lassen können, ohne von dem Be-
widiger ritterliche Genugtuung mit den
Waffen zu fordern.
. So war ich auch in jener Nacht, da
A. schwer mit mir selber kämpfte, ob ich
Dir den Verrath Deines Freundes nut-
 
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