Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 28.1893

DOI Heft:
Heft 27
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42908#0650
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
662

Das Buch für All e.

Hrft 27.

schickte Art und Weise, in welcher nunmehr die Ein-
brecher den Panzer angriffen. Mittelst einer sogenannten
Neibeahle, einem spitzen, unten scharfkantigen Instru-
mente aus feinstem englischen Stahl, wurde eine ganz
kleine Oeffnung in diejenige Stelle der Vorderwand ge-
bohrt, hinter welcher der Tresor belegen ist. Dieses
Loch bildete den Stützpunkt eines Winkeleisens, das die
Form eines großen Zirkels hat. Am anderen Arme
des Eisens war eine Kreissäge, ungefähr einen halben
Zoll breit, aus feinstem englischen Stahl eingespannt.
Diese Säge wurde mittelst einer Schraubvorrichtung auf
die Wand des Geldschrankes gedrückt und dann durch
eine an dem oberen Arm der Eisenstange angebrachte
Drehvorrichtung in kreisförmige Bewegung gesetzt. Inner-
halb einer staunenswerth kurzen Zeit schnitt die Kreis-
säge die Panzerplatte durch, dann wurde das Winkel-
eisen verstellt, und es wurde nach anderer Richtung hin
gesägt, bis in die Panzerung ein viereckiges Loch ge-
schnitten war, durch welches man mit der Hand in den
Tresor greifen konnte. Die Arbeit war so sauber, daß
selbst die Geldschrankfabrikantcn erstaunten. Bei der
Härte der Panzerplatten sprangen sehr oft die Kreissägen
während der Arbeit entzwei, die „Arnheimer" waren
aber darauf vorbereitet und führten immer eine Anzahl
von Neservesägen bei sich.
Es gelang der Berliner Kriminalpolizei nach vieler
Mühe, diejenigen „Arnheimer", die diese neue Art an-
wendeten, zu verhaften und unschädlich zu machen.
Das neue System des Angriffs schien in der That
allein das Geheimnis; der verhaßten „Arnheimer" ge-
wesen zu sein, denn eine Zeitlang wurden die Panzer-
tresors nicht mehr angegriffen. Vor ungefähr drei
Jahren aber begannen sich die Geldschrankeinbrüche in
Deutschland wieder in auffallender Weise zu mehren,
und zwar richteten die Diebe ihre Angriffe wieder gegen
die Hinterwand der Geldschrünke. Die Polizei und die
Beamten erstaunten über die Möglichkeit des Einbruchs.
Man fand die mit stärkster Stahlhaut versehenen Panzer-
platten der Rückseiten angebohrt und durch Hehelkraft
aufgebrochen. Man konnte sich gar nicht vorstellen, mit
welchen Instrumenten diese neuesten Einbrüche verübt
worden waren, und erst als es gelang, die ersten Ein-
brecher dieser Art dingfest zu machen, erfuhr man den
Hergang.
Die Instrumente stammten aus Amerika, und die
Einbrecher waren reisende amerikanische und englische
Geldschrankdiebe. Die Kriminalpolizei erfuhr auch, daß
in dem freien Amerika eine richtige Fabrik existirt, welche
für ihre Waaren reißenden Absatz hat und nichts An-
deres anfertigt, als Instrumente zum Einbruch in Geld-
schränke und andere verschließbare Behälter. Eine der-
artige Spezinlisirung des Verbrechens, eine derartige
Fabrik für Diebsinstrumente dürfte es wohl vorher in
der Welt noch nicht gegeben haben.
Die Geldschrankfabrikanten haben sich seit jener Zeit
bemüht, die Panzerung immer noch massiger, härter und
sicherer zu machen. Man hat auch in der allerletzten
Zeit nichts von größeren GeldschrankeinbrUchcn gehört.
Es liegt dies daran, daß die hauptsächlichsten „Arn-
heimer", gewissermaßen die Virtuosen des Fachs und
die leistungsfähigsten Leute, sämmtlich „gekappt", d. h. er-
griffen und in das Zuchthaus gesteckt worden sind. Dann
aber ist bei den Besitzern von Geldschränken das Ver-
trauen auf die „Diebessicherhcit" des Geldschrankes doch
einigermaßen geschwunden. In großen Bankinstituten,
in Juweliergeschäften, in Pfandleihanstalten, kurz über-
all dort, wo man Geld, Gold- und Silbersachen, Bril-
lanten u. s. w. in größeren Mengen verwahrt, verläßt
man sich eben nicht mehr auf den Schrank allein,
sondern sorgt in den Zeiten, in denen das Geschäft
nicht geöffnet ist, für eine sorgfältige Ucbcrwachung.
In den Banken patrouilliren alle halbe Stunden oder
spätestens alle Stunden bewaffnete Diener, um nach-
zusehen, ob Alles in Ordnung ist; und in den Juwelier-
geschäften läßt man ebenfalls, insbesondere ipenn zwei
aufeinanderfolgende Feiertage eintreten, durch den Por-
tier oder einen Angestellten in Pausen von mehreren
Stunden im Geschäft selbst Umschau halten. Die „Arn-
heimer" brauchen trotz aller Geschicklichkeit zum Er-
brechen eines Geldschrankes viele Stunden und werden
natürlich durch derartige Revisionen gestört und ver-
scheucht.
Vor einigen Monaten bemächtigte sich vieler Geld-
schrankbesitzer und auch der Geldschrankfabrikanten ein
neuer Schrecken, als verlautete, es sei einem englischen
Geldschrankdiebe gelungen, eine neue Art des Einbruchs
vermittelst Wasserstoffgas zu bewerkstelligen. Der Gauner,
der mit der modernen Wissenschaft nicht unbekannt war,
hatte Wasserstoffgas fabrizirt und dies in einem Gummi-
ballon verwahrt. Aus diesem führte ein Gummiröhrchcn
in einen Apparat, in den das Gas strömte und ent-
zündet wurde. Der Apparat erzeugte eine Stichflamme
des Wasserstoffgases, eine ähnliche Flamme, wie sie vor
dem Löthrohr entsteht, und mit dieser kolossal schmelz-
kräftigen Flamme wurde binnen kurzer Zeit ein Loch
in die Panzerung gebrannt. Dieses war aber lange
nicht groß genug, um mit der Hand in den Tresor
hineingreifen zu können. Hätte der Dieb ein genügend

großes Loch in die Panzerung schmelzen wollen, so hätte
er einen ungeheuren Ballon mit Wasserstoffgas mit-
schleppen müssen, und da dies natürlich nicht angängig
war, ist der Versuch als gescheitert zu betrachten. Es
verursacht außerdem die Beschaffung von Wasserstoffgas
so viel Umständlichkeiten und Kosten, daß höchst wahr-
scheinlich auch die deutschen „Arnheimer" diese neue
Methode nicht versuchen werden.
Vor dem Wasserstoffgas. brauchen also die Geld-
schrankbesitzcr vorläufig keine Angst zu haben; dagegen
mögen sie sich davor hüten, ihren Geldschränken gar zu
viel zu vertrauen. Es gibt unter den „Arnheimern",
auch unter dem jungen Nachwuchs, Leute, die vor keiner
Schwierigkeit zurückschrecken und die den Ehrgeiz besitzen,
immer wieder den Kamps mit den Schutzvorrichtungen
der Fabrikanten anfzunehmen.
Und so wird wahrscheinlich der Kampf zwischen Geld-
schranksabrikanten und „Arnheimern" so leicht nicht auf-
hören, wenn auch naturgemäß durch die Einsperrung
der „tüchtigsten Kräfte" dieses verbrecherischen Spezial-
gebietes hin und wieder Stillstände darin eintreten.

s

Pathanische Blutrache.
Sittenbild ans Afghanistan,
von
Friedrich Berner.
Obschon die Bewohner des nordöstlichen Afgha-
^A.nistan, die Pathanen, zu den halbcivilisirten
-Völkern gerechnet werden müssen, so übertrifft
dennoch kein anderes Volk der Erde dieselben
an Wildheit und Rauhheit der Sitten. Sie
sind die strenggläubigsten Moslims, von den
Vorschriften des Propheten befolgen sie jedoch nur
solche, die ihren Anschauungen entsprechen. Die Aus-
rottung der Ungläubigen ist ihnen eine mit Enthusias-
mus begrüßte Pflicht, dagegen wird der Befehl, sich
täglich zu reinigen und zu waschen, hartnäckig ignorirt.
Möglich, daß der unabhängige Pathane diese Zumuthung
als einen unberechtigten Eingriff in sein Privatleben
betrachtet.
Das Auge des Pathanen ist groß, dunkel, aber un-
stät; auf seinen harten, tief markirten Zügen hat der
Ausdruck menschlicher Empfindung keinen Platz. Das
Kind schon blickt finster und schlägt um sich; der Mann
denkt an nichts, als an Raub und Blutvergießen.
Wohl hört man oft genug sein rohes, abstoßendes Ge-
lächter, noch Keiner aber hat den afghanischen Land-
bewohner lächeln sehen.
Pathanen nennen sich diejenigen Bewohner Afgha-
nistans, die in den nach Indien abfallenden Thälern
Hausen. Man darf nach dem oben Gesagten nicht etwa
annehmen, daß der Pathane für alle Zeit der Civili-
sation unzugänglich sein werde; was er heute ist, ist
er durch den Zwang der Umstände geworden. Seit
Menschengedenken kennt er nur Kampf und Streit.
Kampf und Empörung gegen die Landesregierung, blutige
Fehden zwischen den Stämmen, den Dörfern oder den
einzelnen Familien, Bruderzwist und Brudermord —
das ist das Leben des Pathanen, unter solchen Umstünden
gewöhnlich nur ein kurzes.
Sobald er im Stande ist, ein Gewehr zu erheben,
wird er Anderen gefährlich und geräth selber in Gefahr.
Die Dörfer einer Gegend stehen miteinander sozu-
sagen in immerwährender Abrechnung wegen gegensei-
tiger Blutschuld, und ganz ähnlich ist zumeist auch das
Verhältnis; zwischen Nachbar und Nachbar. Sind in
einer Familie mehrere Brüder, so ist eine Blutfehde
auch unter diesen nichts Seltenes; in Ermangelung
von Brüdern gibt's vielleicht Vettern oder einen Onkel
oder gar den Vater selber, mit dem der Pathane in
Zwist gerathen kann, und Zwist bedeutet stets Blut-
vergießen.
Nirgends auf dem weiten Erdenrund herrschen in
dieser Beziehung solche Zustände, wie in Afghanistan.
Auch andere Völkerschaften sind blutdürstig und ver-
rätherisch, aber der Brudermord gilt bei ihnen doch nicht
als etwas Alltägliches. Die gewöhnlichen Tagesneuig-
keiten in afghanischen Ortschaften sind Mord und immer
wieder Mord. Kaum lernt ein Knabe denken, so lehrt
die Mutter ihn schon, welche Familien er zu hassen
habe; kaum ist er halbwegs herangewachsen, so unter-
weist der Vater ihn in den Handgriffen des Tödtens.
Generationen auf Generationen sind unter solchen Ein-
flüssen herangewachsen; ist's da ein Wunder, daß die
heutigen Pathanen das roheste Volk der Erde sind?
Bon allen Tugenden, die von der Menschheit hoch ge-
halten werden, ist ihnen nur eine einzige geblieben —
die Gastfreundschaft, aber auch diese nur in enger Be-
grenzung.
Die unter den Korsen geübte Blutrache ist bekannt
und berüchtigt; die Geschichte jener Insel weiß viel
Schlimmes davon zu erzählen. Aber die korsische Ven-


detta überstürzt sich nicht, sie weiß ihre Zeit abzuwarten,,
jahrelang, jahrzehntelang. Die pathanische Blutrache
jedoch überlegt nicht erst, sie fordert ihr Opfer sogleich,
bei erster Gelegenheit. Klima und Lebensart in Afgha-
nistan leisten ihr dabei Vorschub. Man hält sich dort
zumeist im Freien auf, die Häuser und Hütten haben
mehrere Thüren und viele Fenster, die selten verschlossen
werden, auch nicht während der Schlafenszeit.
. In einer nicht weit von Peschawar gelegenen patha-
nischen Ortschaft wohnte vor etwa fünfzehn Jahren ein
wohlhabender Mann mit Namen Sadok; derselbe war
der angesehenste Grundbesitzer auf Meilen in der Runde.
Er hatte mehrere Söhne und eine Tochter, die Letztere
ein hübsches Kind von vierzehn Jahren, also gerade in
deni Alter, in dem nach pathanischer Ansicht die Mädchen
heirathsfähig werden.
Der alte Sadok hegte allerlei ehrgeizige Pläne in
Bezug auf den Zukünftigen seines Töchterchens, aber
auch er mußte die Erfahrung machen, daß die Haupt-
betheiligten mit solchen väterlichen Plänen zuweilen
nicht einverstanden sind.
Fasilla, Sadok's Tochter, hatte bereits ihr Herz
verloren an Abdal, einen jungen Mann von zwanzig
Jahren, einen armen Teufel, der nichts sein eigen
nannte, als seine gesunden Arme und die Hacke, mit
der er die Felder der Wohlhabenderen bestellte; denn
Abdal war nichts als ein gewöhnlicher Landarbeiter.
Sie waren einander zuerst begegnet, als Fasilla,
dem alten Brauch entsprechend, in der Morgenfrühe
nach dem Dorfbrunnen gegangen war, um das für den
Tag im Haushalt nöthige Wasser herbeizuholen. Der
Wind hatte ihren Schleier zur Seite geweht, und der
Anblick ihres liebreizenden, in der vollen Frische der
Jugend prangenden Gesichtes war hinreichend gewesen,
des jungen Mannes Herz mit heißer Liebesgluth zu
erfüllen.
Die Bewunderung, die aus seinen Augen blitzte,
sein männlich schönes Antlitz und seine athletische Ge-
stalt verfehlten nicht, auch auf Sadok's Tochter einen
sehr günstigen Eindruck zu machen. Worte wurden nicht
gewechselt; das wäre ein Verstoß gegen das Herkommen
gewesen, der nur durch Blut gesühnt werden konnte.
Wo jedoch andere Mittel des Gedankenaustausches fehlen,
da wissen die Augen eine gar beredte Sprache zu führen,
besonders, wenn die Liebe sich zu erkennen geben will.
Jeden Morgen um dieselbe Stunde stellte sich der Jüng-
ling auf demselben Platze ein, am Wege, der zum
Dorfbrunnen führte, wo sie einander zuerst gesehen
hatten; ebenso regelmäßig erschien das junge Mädchen,
und es fügte sich, daß der Wind jedesmal den Schleier
ein wenig lüftete, wenn Abdal's sehnende Augen den
ihrigen zu begegnen suchten. Nur auf Sekunden senkten
sich ihre Blicke ineinander, dann setzten sie ihren Weg
fort in dem seligen Bewußtsein, lieben zu dürfen und
wiedergeliebt zu werden.
Nach kurzem, in der Natur der Sache liegendem
Zögern suchte Abdal keck und kühn den alten Sadok
auf und forderte von demselben die Hand seiner Tochter.
Armuth ist in jenen östlichen Ländern keineswegs
so verächtlich, wie in unseren civilisirten und christlichen
Ländern, allein besonders wünschenswerth erscheint sie
auch dort nicht.
Der pathanische Dorfkrösus hatte kaum das An-
sinnen des jungen Landarbeiters begriffen, als er auch
schon in den heftigsten Zorn gerieth. Es erging Abdal,
wie es ihm unter ähnlichen Umstünden bei uns auch
ergangen wäre; er wurde zum Hause hinausgeworfen.
Fasilla aber durfte fortan nicht mehr zum Brunnen
wandern, und jede ihrer Bewegungen wurde argwöhnisch
überwacht.
Noch nie aber hat sich die Liebe durch Schloß und
Riegel einkerkern oder ausschließen lassen. Abdal und
Fasilla wußten miteinander in Verkehr zu bleiben und
sich Botschaften zukommen zu lassen, obgleich Keines von
ihnen zu schreiben oder zu lesen verstand, denn bei den
Pathanen kennt man noch keine Schule.
Eines Morgens, als man sich in Sadok's Hause
vom Schlafe erhob, war Fasilla nirgends zu finden.
Bald stellte sich heraus, daß nuch Abdal während der
Nacht aus dem Dorfe verschwunden war und mit ihm
das beste Roß aus Sadok's Stall. Es war zweifellos,
alle Drei hatten zusammen das Weite gesucht; der Lieb-
haber hatte seine Erwählte auf ihres Vaters Pferd
entführt. Bereits vor Tagesanbruch mußten sie die
nahe Grenze erreicht haben.
Jede Familie von Bedeutung verfügt über einige
erfahrene und erprobte Fährtensucher; in einem Lande,
wo die Blutrache mit Fanatismus betrieben wird, sind
solche Fährtensucher nothwendig. Es wurde festgestellt,
daß die Ausreißer sich auf englisch-indisches Gebiet ge-
flüchtet hatten.
Nicht lange nachher traf auch die Kunde von der
Verheirathung der Liebesleute ein. Sie hatten einen
Mullah gefunden, der gegen einen bescheidenen Entgelt
die einfache Ceremonie einer mohammedanischen Ehe-
schließung mit ihnen vollzog. Sie waren daher jetzt
unwiderruflich und in allen Ehren verbunden und weder
 
Annotationen