Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 35.1900

DOI Heft:
Heft 14
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56331#0325
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
*

326

Das Buch fur Alle:

geſt 14.



daß ein Gefühl errötender Unſicherheit über ſie kam.
Schnell hufchte ſie wieder an Käthes Seite, die, der
Freundin Arm unter den ihren ziehend, mit einem
inſpornenden: „Auf nach VBalencia alfo!“ mit Anita
leichtfüßig loszumarſchieren begann.

„Hat das Fräulein Haterd gemeint, es ginge zu
einein Koſtümfeſte?“ bemerkte Margarete, an der Seite
ihres Bräutigams ein wenig langſamer hinter den
beiden herſchreitend.

Seine Anſicht ſtand in einem wohlgefälligen Lächeln,
mit dem er nach der Kleinen hinſah ;
Zwar ſaß ihr das oviginelle, gleichſam aus einer
einzigen leuchtenden Mohnblume geformte Hütchen ein
weniß keck auf dem krauſen Haar und die roten


Traͤcht aber als Geſamtbild wirkten dieſe kleinen Ertra-
yaganzen harmoniſch zu dem einfachen ſtrohgelben
Kleide. ;

„Sch finde, die leuchtende Farbenfrohheit dieſer
kleinen Tropenblume paßt ſehr hübſch in unſeren hellen
Sommertag hinein.“

Die auf ſeinem Arm ruhende Hand zuckte leiſe.
Margaretes Blick ſenkte ſich auf ihren eigenen, ſchmuck-
los dunklen Anzug hinab.

Hatten ſeine Worte ihr weh gethan? Mit raſcher
Zärtlichkeit, die noch geſteigert würde durch das plötz-


waͤllen gegen ſie ein Unrecht begangen zu haben, zog
er ihre Hand an ſeine Lippen.

Du ſſelber trägſt ja ein noch weit helleres Leuchten
in den Sommertag hinein, Liebſte. Dein Goldhaar
ſpinnt Sonnenflimmer.“

Seine zartſinnigen Worte, ihr inniger Klang wur-
den ausnahmsweiſe einmal wieder fruchtbar auf dem
ſprödgewordenen Boden ihres Inneren und ſchufen ein


Gemüt am meiſten mied, wenn ſie von anderen auf
ſie eindrang! Ihr Gang wurde elaſtiſchex e begann
teilzunehmen am Geplauder der jungen Mädchen und
hin und wieder kam ſogar ein Lachen über ihre Lippen.

Oldenhofen hörte das Lachen, aber er hörte es
nicht mehr ausſchließlich, wie e& geweſen wäre in all
den vergangenen, einſam miteinander verlebten Stun-
den, da er fih ſo oft umſonſt bemüht hatte, ihr dies
leiſe Lachen zu entlocken! Jetzt hörte ev es plötzlich
nicht mehr allein, ſondern ein anderes klang hinein,
ein Lerchentrillern, dem ſein Herz lauſchte, ohne es zu


Anita lachte. Sie hatte am Wieſenrande ein ganzes



„Teilen!“ rief Käthe und zupfte ſich einen Strauß
Glockenbkumen und Gräſer daraus hervor, um ihn
ins Hutband zu klemmen.

„Für Sie Ihre Namensſchweſtern, Fräulein Mar-
garete.“

Im Gürtel der Braut fanden die weißen Margue-
riten ihren Platz! Für ſich ſelber behielt die Kleine
den Mohn, den ſie vereinzelt gefunden und ſteckte ihn
ſich an die Bruſt.

Und ich ſoll leer ausgehen?“ Haſſos Augen zaͤhlten
die Blüten, und ohne ihrẽ Antwort abzuwarten, ſtreckte
er die Hand aus nach dem dort flatternden, flammen-
den Feuer. Doch da kam ſie ihm zuvor und reichte
ihm eine halberblühte Knoſpe.

„Ich gebe Ihnen lieber gutwillig, was Sie mir
ja doch nehmen würden,“ ſagle ſie lächelnd

Er reckle die Schultern in die Höhe, als habe die
holde Schwäche da ihm erſt ſo recht das Empfinden
feiner eigenen, ſtarken Mannheit gegeben. Behutſam
die erhaltene Blume im Knopfloch befeſtigend, neckte
er: „Shre Farbe Fräulein Anita Flammenrot,
Und — vieleidht auch Ihr Symbol — Flattermohn?“

Ganz erſchrocken wollte ſie abwehren ſchaute hin-
ein in ſeine ſchelmiſch zwinkernden Augen, und beide
lachten ſich an.

Der Waldeseingang that ſich vor ihnen auf, ein-
gebettet in märchengrünes Dämmerlicht, umwoben vom
Dufthauch ſeines eigenen Odems. Mehrere Pfade
zweigten ſich hier ab, ſie wählten den am Waldesrande
entlang führenden, der herrliche Ausblicke eröffnete auf


ihre mächtigen Nücken ſich anlehnenden Dörfer.

Welcher weiße Rieſenpilz leuchtet denn dort auf
der Wieſe? rief Oldenhofen plötzlich und blieb ſtehen,
die Augen mit der Hand beſchattend.

Anita und Käthe liefen neugierig ſpähend herzu,
Margarete ging ſchweigend weiter, wieder einmal
ſchmerzlich an das Zwielicht gemahnt, das auf ihr
Daſein ſich geſenkt hatte.

„Ein Schirm iſt's — ein Malerſchirm!“

Daß Käthe nach ihren Worten ſofort das Geſicht
abwandte, um deſſen glühende Röte zu verbergen, half
nichts mehr. Anita hatte ſie gewahrt und ahnungs-
voll vief ſie: „Mein Bruder!“

Dann ſtürmten die beiden im Laufſchritt voran und
ſtanden alsbald vor dem ſehr überraſcht von ſeinem
Skizzenbuche aufſchauenden Antonio Hatera.



„Du?“ ſtaunte die Schweſter. „Und in dieſer Aus-
rüſtung?“

Ihre verwunderten Augen wieſen auf den aufge-
ſtellten mächtigen Drellſchirm, ein gaſtlich ausgebreitetes
Plaid, darauf ein anſcheinend wohlgefüllter Ruckſack
lag, an dem Käthe herumtaſtete, bis fie mit Entdecker-
ſtolz erklärte: „’8 iſt was Eßbares darin“

„Jawohl,“ ſagte der lange Maler ſeelenruhig und
machte ſich daran, ſein Bündel aufzuſchnüren. Habe
mich tüchtig verproviantiert.“

„Ja, wozu denn, warum denn, wohin?“

Er ſtemmte die Arme in die Seiten und lachte
ſeine Schweſter vergnügt und verſchmitzt an. „Wollte
mich mal ſo über die Fiſcherhütte bis zum Waldſee
durcheſſen und durchmalen. “

Die beiden Mädchen ſahen ſich an und verſtanden
einander. Käthe, die ſich bisher doch nur um den
Ruckſack bekümmert hatte, hielt ſogar in irgend einem
überſtrömenden Freudenempfinden mit einemmal Anitas
Köpfchen zwiſchen den Händen und küßte es herzhaft ab.

Haben Sie denn ſolchen Hunger, Fräulein Käthe?“
Der junge Hatera blinzelte ſehr unſchuldig nach ſei-
nem Vorrat. „Daß Sie mich hier ſo — zufällig ge-
troffen, intereſſierte Sie ja noch gar nicht, nur mein
Ruckſack. Ich habe mich zwar nicht auf Damen ein-
gerichtet, nur grobe Koſt — immerhin — bitte ſehr,
bitte, hitte, ohne Umſtände —“

Und in ſeiner trockenen Weiſe enthüllte er eine
roſenrote Schachtel in Form eines Herzens und präſen-


„D Sie — Sie!”

Wie war das wortſchnelle Mädchen hier ſo gar
ſtill, als es das Herz entgegennahm mit ſeinem ſüßen
Marzipaninhalt! Was war das für ein Blick, der wie
eine Lavaflut über das Geſicht des Malers ſchoß und
dieſes in Flammen ſetzte? Ueber Anitas Haupt war
er hingegangen, und ſie hatte ſein Sengen gefühlt und
war wie in plötzlichem, heißem Schreck darüber erblaßt.
Eine Angſt überkam ſie vor etwas, das ſie nicht kannte,
nicht verſtand Und als wolle ſie einer Gefahr ent-
laufen oder Hilfe herbeiholen, haſtete ſie zurück, bei-
nahe Oldenhofen und Margarete in die Arme.

„Mein Bruder malt dort,“ ſagte ſie verſtört.

Niemand fiel das Verängſtigte ihres Weſens auf.

Haſſo freute ſich über den vermeintlichen Zufall, Mar-
garete ſchwieg.
Als ſie zu dreien bei dem Maler anlangten, mar
dieſer dabei, Käthe, die auf dem Plaid lagerte, die
4 ſeiner Küche in drollig ſcherzender Weiſe zu
machen.

Und das junge Mädchen langte in ſo tapfer harm-
loſer Weiſe ſeinen mitgebrachten Leckerbiſſen zu und ſah
ſo zufrieden ruhig dabei aus, daß es Anita war, alg
habe ſie vorhin nur geträumt, da ſie gemeint, über
ihrem Haupte ſeien zwei Glutſtröme ineinander ge-
flutet. Das Herz wurde ihr wieder leicht, und ſie
wagte ſogar den Vorſchlag, doch hier eine kurze Raſt
zu machen. Man war damit einverſtanden, und es
ſtellte ſich heraus, daß Hateras Plaid Raum, und ſein
Ruckſack Speije und Trank für alle hatte. Die Stim-
mung der kleinen Geſellſchaft hob ſich zu gemütlichſter
Fröhlichkeit; man hatte ſogar bereits verſucht, die
Lorelei zu ſingen.

„Daß die Deutſchen mit Vorliebe traurige Lieder
wählen, wenn ſie meinen, ſo recht vergnügt zu ſein.“

„Ja,“ ſtimmte Käthe dem Maler bei, „als wären
ſie dem alles endenden Tode ſo viel näher als andere
Völker.“

„Dem Tode?“ Anita ſchaute mit ahnungsvollem
Blick ins Blaue hHinauf. „Dem Tode, nein — aber
der Weisheit. Eine Thräne im Glück, eine Thräne
im Leid — ſolch Tröpfchen mildert alles, Da giebt's
kein Verbrennen, kein Erſtarren.“

Und plötzlich flog ſie in die Höhe, ließ ihre Finger
über dem Kopfe einander berühren und drehle ſich
ausgelaſſen um ſich ſelber.

„Du, Annie, den Bolero!“

„Mh, Sie tanzen?“ Margaretes Haltung ſtraffte
ſich, auch über Oldenhofens Geſicht glitk ein Schatten.

Da lachte die Kleine filberhell. „MNatürlich tanz’
ich, wenn ich luſtig bin. Und am liebſten für mich
allein, wenn's keiner ſieht.“

Der Schatten auf Haſſos Antlitz verflog. „Iebt
ſind Sie doch Iuftig,“ ſagte er herzlih. „Alfo tanzen
Sie, bitte, bitte.“

Sie legte die Hände an die zierliche Taille und
wiegte unſchlüſſig den Kopf.

Da ſprang ihr Bruder empor, begann eine Melodie
zu pfeifen und ahmte dazu mit ſchnalzenden Fingern
das Kaſtagnettengeklapper nach.

„Anita, Ia Mexicana!“ feuerte Käthe an,

Den Bolero, rief Tonio.

Und ſie nahm das Hütchen vom Kopf, warf es
weg, klatſchte in die Hände und ſang ein paar Träller-
worte:

„Dansez ma fille, dansez ma fille!“ *)



*) Tanze, meine Tochter




Jedes Glied ihres anınutigen Körperchens geriet in
Bewegung, löſte ſich auf in holde Grazie. Ihr Ge-
ſicht rötele ſich nicht beim Tanze, im SGegenteil, es
ſchien bleicher zu werden, durchſichtiger, nur die Lippen,
deren obere ſo gern von den Zähnen zurückglitt, färbten
ſich höher/ wie heiß und flammend geküßt.

Und ſie hatte noch einen Partner bei dem neckend
wilden Spiele, einen ebenſo beweglichen Tänzer wie
ſie ſelber, der ihr nachhüpfte, ihr zuweilen auf die
roten Schuhchen ſprang und ihr dann plötzlich abbittend
das dunkle Kraushaar, die roten Blumen an der Bruſt
und die Augen mit Küſſen liebkoſte.

Ein Sonnenſtrahl mar’8, der bis dahin einſam auf
der Wieſe geſpielt hatte.

„Dansez ma fille, dansez —*“

Die Kaſtagnetten klapperten wilder; Anita ſchwang
ſich ſchneller und raſender, in jener graziöſen Läſſigkeit
der Südländerin, die ſo ſelten die Grenzen der Schön-
heit überſchreitet.

„Bühnenblut!“ gab Margarete ihrer Anſicht kurzen
Ausdruck. „So etwas tanzt ſich durchs Leben und
bleibt auf des Daſeins Oberfläche.“

Ihr wurde keine Antwort. Haſſo ſaß weit vor-
gebeugt und ſtarrte irgendwo hinein — in ein Frem-
des, Wunderbares. Rote, flammende Kreiſe drehten
ſich um ihn, und wie Anita ſich drehte und neigte,
neigten und bewegten auch ſie ſich um ihn, und mitten
drinnen tanzten und wirbelten ein paar rote Schuhchen
immer toller, immer raſender.! Plötzlich trippelten ſie
auf ihn zu, näher, ganz nahe und dann mit einem,
raſchen Sprunge hüpften ſie in ſein Herz hinein Dort
drinnen ſtanden ſie ſtill, die roten Schuhchen.

Was war das? Er fuhr zuſammen Seine Hand
hatte ſchwer gegen ſeine Bruſt geſchlagen und das
Mohnknöſpchen daran zerdrückt, beinahe vernichtet. Er
ſtrich darüber hin und blickte, wie aus einem Traume
erwaͤchend, um ſich, nun die anderen bravorufend in
die Hände klatſchten.

Anita hörte in lächelnder Ruhe den Lobeserhebungen
Käthes zu, denen ſich ſogar Margarete anſchloß, indem
ſie meinte: „Warum gehen Sie nicht zur Bühne? Sie
würden auf den Brettern Ihr Glück machen, Fräulein
Hatera. “

„Mein Glück?“ Die Kleine bewegte abwehrend
den Kopf und ſchloß ſekundenlang die Lider über der
ſehnſüchtig zärtlichen Frage, die in ihren Augen ſtand.
Mein Glück? Ein Glück, wie ich mir's denke? Ach
nein!“ Und ihrem träumenden Tone ſchnell eine hellere
Färbung gebend, fuhr ſie leichthin fort: „Aber ich
meine, wir müſſen jetzt doch ans Weiterwandern denken,
wenn wir heute überhaupt noch den Waldſee erreichen
wollen.“

Die Reſte der Mahlzeit wurden in des Malers
Ruckſack verpackt, und der liebenswürdige Spender blieb
ſelbſtverſtändlich nicht einſam mit dieſen wehmütigen
Erinnerungen zurück, ſondern wurde mitſamt ſeinem
Proviant und Drellſchirm mit auf den Weitermarſch
genommen. Er fügte ſich dieſem Gewaltakte auch mit
freundlicher Nachgiebigkeit.

Haſſo hatte für Anita noch kein Wort gefunden,
obwohl es ihn drängte, ihr irgend etwas Anerkennen-
des zu ſagen. Aber es hätte auch zugleich etwas Be-
ſonderes fein müſſen, und da ihm dafür der rechte
Ausdruck nicht kam, umſpannte eine ſeltſame Beklem-
mung ſein ganzes Weſen! So ſchwieg er weiter gegen
ſie und widmete ſeine ganze Aufmerkſamkeit ſeiner
Braut. Doch ſo angelegentlich er auch mit Margarete
plauderte, ſeine Blicke hafteten nicht an ihr, ſondern
haſteten umher und zuckten, ſo oft es anging, zu Anita
hin, die nach ihrem vorherigen Fröhlichkeitsausbruch
recht ſtill geworden war, gleichſam als fehle ihr etwas.
Vielleicht das Wort von ihm, das er nicht zu ſprechen
vermochte?

Cr wußte nicht, warum ihm gerade dieſe Vermutung
in den Sinn kam und warum es ihn ſo wunderbar
froh ſtimmte, daß dies fremde, kleine Mädchen immer
ſchweigſamer wurde, je mehr er ſelber mit den anderen
ſcherzte und lachte. Sie ſchritten, um das Ziel ihrer
Wanderung zu erreichen, jetzt ziemlich ſchnell voran,
einen gewundenen Weg, mitten durch den Buchenwald. ,
Da plötzlich klang in die laute, fröhliche Unterhaltung
hinein ein Ton, der ſie alle mit einem Schlage ver-

ſtummen ließ.
Ein Stöhnen, ein Wimmern — ein Fall.
Was mar das? Man ſah einander beſtürzt an
und ſtand lauſchend ſtill.
Wieder ſolch ein Klagelaut.
Es kommt von dort!” rief Oldenhofen und deutete
Sie eilten vorwärts und er-
blickten ſeitlich des Pfades am Boden liegen eine toten:
blaſſe Frau, der Blut von der Stirn rieſelte.
Käthe, die mit dem jungen Maler vorangeſtürzt
war, padte im erſten Schrecken deſſen Arm und rief
ratlos: „Ein Unglück!“
Auch Oldenhoͤfen fühlte ſeine Hand von einer an-
deren heftig umklammert.
„Ich kann dergleichen nicht ſehen,“ſagte ſeine Braut
 
Annotationen