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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 35.1900

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Heft 28
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https://doi.org/10.11588/diglit.56331#0654
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Heft 28.

das Buch für Alle

663



Kellner.„Das junge Fräulein von Nummer 94 iſt
krank geworden. Wir mußten den Arzt holen. Magen-
krämpfe, Kopfſchmerzen und ſo weiter. Jetzt ſoll e&
aber ſchon wieder etwas beſſer gehen. Die Herrſchaften
wollten frühzeitig abreiſen, aber nun bleiben ſie bis
morgen!“ ;

Nun, hoffentlich wird die junge Dame bis dahin
ganz gejund!“ bemerkte Eugen.

Der Kellner iſt redeluſtig und hat das Bedürfnis,
über die Ereigniſſe der Nacht zu plaudern.

„Das war ein Hin und Her heute nacht, man kam
gar nicht zur Ruhe. Unten im erſten Stock wohnt
ein Baron Courtier.
Damen abreiſen. Den mußte ich auf Veranlaſſung
der älteren Dame von Nummer I4 wecken und herauf-
holen. Sie hatte im Korridor mit ihm eine lange
Unterredung. Der Herr Baron iſt um fünf dreiviertel
Uhr früh abgereiſt.“

„Der Baron Courtier iſt abgereift?“ fragt Eugen
mit mühſam beherrſchter Erregung.

„3a. Er ließ ſich um fünf Uhr wecken und um
fünf dreiviertel Uhr fuhr er mit der Droſchke nach
dem Venloer Bahnhof. Ih glaube, er wollte nach
Amiſterdam. Jetzt ift er ſchon lange unterwegs! Der
* ging um ſechs Ubhr. — Ich bringe den Kaffee
3 ei *

Der Kellner verließ eilig das Zimmer und Eugen
ließ ſich kraftlos in einen Seſſel fallen. Die Beine
verſagten ihm den Dienft. Es war ihm, als habe er
einen betäubenden Schlag an den Kopf erhalten.

Der Gauner war entwiſcht!

Entwiſcht waͤhrend Eugen geſchlafen hatte! Und
Günther? Der haͤtte ſich wahrfcheinlich auch auf die
Krankheitskomodie verlaſſen und war überzeugt, daß
der Gauner ohne Frau Martens nicht abreifen würde.
Und nun war er doch fort. Er muͤßte eine Ahnung
gehabt haben, daß ihm Gefahr drohe.

Der Kellner kam mit dem Kaffee. -

Mit einem letzten Reſt von Hoffnung fragte Cugen :
Sind Sie ſicher, daß der Baron Coürtier abgereiſt
iſt. Haben Sie ſich auch nicht geirrt?“

Nein, Herr Baron! Ich waͤr gerade im Veſtibül
unten, weil ich ein Medikament für das Fräulein
von Nummer 94 dort in Empfang zu nehmen hatte.


Droſchke begleitet und ſah ihn nach dem Bahnhof zu
abfahren!“ *
Es mar kein Zweifel, der Gauner war entkommen.
Der Kellner ging, kam aber nach wenigen Minuten
wieder, um Cugen ein Telegramm zu übergeben.
Dasſelbe kam aus Wien und lautete: „Wir kommen


Fritzi und Mama, Wilfing.“

Zu ſpät! Jetzt erklärte ſich auch die Verzögerung
in Budapeſt. Fritzi und ihre Mutter waren anſcheinend
gar nicht in Budaͤpeſt, ſondern in Wien gewefen und
hatten erſt durch Wilfing von der Sache erfahren.

Zu ſpät!

Eugen kleidele ſich an, trank einen Schluck Kaffee
und ging, um Günther aufzuſuchen! Als er in das


zubemühen. Hier fand Eugen einen Hamburger Kri-
minalinſpektor mit einigen Detektives welche ſoeben
gekommen waren, um den angeblichen Baron Courtier
zu verhaften Sie handelten auf Antrag der Kriminal-
polizei von Wien und in der Depeſche war angegeben,
* Eugen v. Staray den Gauner näher bezeichnen
önne.

Zu ſpät!

Der „Baron Courtier! war abergläubiſch, wie alle
Verbrecher. So änderte er nie Keijepläne, weil er
übexzeugt war, daß ihm das Unglück bringe! Als er
nachts geweckt mwurde und mit Frau Martens die
Unterredung im Korridor hatte, erklärte er ſofort, er
für ſeine Berfon müſſe auf alle Fälle reiſen. Er
hatte ſich Frau Martens gegenüber auch wieder für
einen Geſandtſchaftsattaché ausgegeben und ihr geſagt,
er hahe dienſtlich dringend in Brüſſel zu thun.' Ihm
hatte daran gelegen, dus Hamburg fortzukommen! Die
deutſchen Behörden waren ihm zu ſcharf, und er wollte
nichts mit ihnen zu thun haben. Er fühlte ſich am
wohlſten in London, wo ihn kein Menſch nach Legi-
timationen fragte. Nach Hamburg war er nur ge-
kommen, um während der Kennen am Totalifator zu
wetten. Zufälligerweiſe lernte er Frau Martens ken-
nen, welche eine große Summe bei ſich hatte, um dieſe
als Heiraiskaution für Eva bei der Reichsbankfiliale
in Hamburg zu deponiexen. Sie ſprach zu dem
Schwindlex don dem Gelde, und diefer war ſofort
bereit, ſich dieſes Geldes zu bemächtigen. Er machte
dex guten Dame den Hof und hHatte alänzenden Er-
folg, ja er war ihrer ſo ſicher, daß er e8 ſeiner Mei-
nung nach wagen kannte, ohne ſie von Hamburg ab-
zureiſen nachdem Eva fatalerweiſe ſo ſchwer erkrankt
war. Er konnte ſicher ſein, daß Frau Martens ihm,
ſobald als möglich, nach Brüffel nächkam, wie er mit





aus Vorſicht gefagt, er reiſe nach Amſterdam.

Der Baron Courtier wurde pünktlich um fünf Uhr
geweckt, kleidete ſich an, trank ſeinen Thee und fuhr
in der Droſchke zum Bahnhof.

Als er in der Droſchke ſaß, und dieſe vom Hotel
abfuhr, war es ihm ordentlich mohl. Der Kutfcher
nahm den richtigen Weg nach dem Venloer Bahnhof,
bog aber nach einigen Minuten in eine enge Seiten-
gaſſe ein. Der „Baron“ war überzeugt, daß der
Kutſcher einen näheren Weg durch dieſe Gaſſe wähle,
oder eine Straße, in welcher gepflaͤſtert würde, um-
fahren wolle Plötzlich wurde cs ganz dunkel im In-
neren der Droſchke und an dem lauten Geraͤuſch merkte
der Inſaſſe, daß er ſich in einem Tunnel oder großen
Thorweg befand. Es wurde wieder hell, der „Baron“
ſah, daß er ſich auf einem von düſteren Gebäuden
umgebenen Hof befand. Die Droſchke hielt.

Der Kulſcher ſtieg vom Bock und trat an den
Wagenſchlag. Plötzlich wurde auch der andere Wagen-
ſchlag aufgexiſſen, ftarfe Arme packten den „Baron“
und zogen ihn ſehr unſanft aus der Droſchke heraus.
Ehe er ſich nur beſinnen konnte, waren ſeine Hände
mit Haͤndſchellen gefeſſelt und man drängte ihn in
einen Raum, wo einige Männer anweſend waren.

„Marquis Gordon oder Baron Courtier, Sie ſind
verhaftet!! ſagte Günther, denn er hatte mit ſeinen
Leuten dieſe Gefangennehmung ins Werk geſetzt! Er
haͤtte gefürchtet, daß der Gauner trotz der Erkraͤnkung
Evas abreiſen würde und hatte ſeine Vorkehrungen
demgemäß getroffen. Einer der Beamten Günthers
wurde in das Köſtüm eines Droſchkenkutſchers geſteckt
und beſtieg den Bock einer für einige Stunden ge-
mieteten Droſchke. Durch ſeine Verbindungen im Hotel
erfuhr Günther daß der „Baron“ in der That um
Jünf dreiviertel Uhr früh zum Bahnhofe fahren wolle
In der Naͤhe des Hotels ſtanden um jene Zeit fünf-
Frühdroſchken. Günther ließ dieſe durch ſeine Beamten
zu Fahrten engagieren, ſo daß ſie vom Hotel fort-
famen. Als der „Baron“ zum Venloer Bahnhof
fahren wollte, ſtand nur eine Droſchke zur Verfügung,
die, auf deren Bock der Beamte Günthers jaß. So
war die Verhaftung prompt von ſtatten gegangen.

Günther trat eben hinaus auf den Laͤgerhöf, um
jeinem erſten Beamten noch einige Befehle zu geben,
als dieſer kopfſchüttelnd meinte: „Teufel noch einmal,
Herx Direktor Was wir da mit dem Schwindler ge-
macht haben, iſt eigentlich Freiheitsberaubung, welche
ſtrafbar iſt!“

Ich übernehme die Verantwortung !“ erklärte Gün-
ther beftimmt. „Wir können den Kerl doch nicht ein-
fach durchbrennen laffen. Der telegraphiſche Haftbefehl
muß jeden Augenblick eintreffen, und iſt dieſer erſt da,
und mir liefern den Lumpen der Polizei aus, ſo denkt
niemand mehr daran, uns zu belangen. Wir haben
der Oeffentlichkeit und der Behörde im Gegenteil einen
Dienſt erwieſen! Bewachen Sie nur den Burſchen gut,
ich will einmal nach der Polizei und anfragen, ob der
Haftbefehl noch nicht da iſt!“

Um neun Uhr vormittags ſaß der „Baron“ im
Gewahrſam der Hamburger Kriminalpolizei. Um die-
ſelbe Zeit wurde Fräulein Eva gefund, ihre Tante
aber krank vor Schreck, Scham und Entſetzen. Sie er-
holte ſich glücklicherweiſe ſo weit, um am nächſten


Bräutigam, dem Leutnant Wegener, die Heiratskaution
zu ſchenken.! Am liebſten waͤre Frau Martens von
Hamburg ſofort abgereiſt, aber ſie mußte ſich erft
als Zeugin gegen den „Baron“ vernehmen laſſen.
Derſelbe wurde erft in Hamburg wegen verſuchten
Betruges beſtraft, dann aber naͤch Oeſterreich aus:
geliefert. /

Auf der zwei Yahre ſpäter ſtattfindenden Hochzeit
Fritzis und Eugens erſchienen als Gäſte au der
Leutnant Wegener mit feiner jungen Frau. Frau
Martens fanı nicht. Sie ſchämte ſich noch immer.

En dee-

Der Jagerſepp und ſein Dirndl.

Siehe die 2 Bilder auf Seite 661.)

wei unverfälſchte Typen der ſüddeutſchen Bergbewohner
ſind es, die uns AU. Schröder auf den beiden, S. 661

und ſein Divndl“ vorführt. Wer in den Bergen bekaunt ift,
wird ihre „Echtheit“ auf den erſten Blick erkennen und die
Naturwahrheit loben, mit der der Künſtler jedes von beiden
in ſeiner Eigenart aufgefaßt und zur Anſchauung gebracht
hat. Ein ſchimucker Forftgehilfe iſt der Jagerſepp und ſchneidig
dazu, wie es in den Bergen nötig iſt, um allen Anforderungen
ſeines Berufes gerecht zu werden. Taͤgelang müſſen der Förſter
und ſeine Gehilfen oft draußen ſein, um einer Beute zu
folgen, die vielleicht erſt in ſtundenweitex Entfernung erlegt
wird. Nach ſchärfere Arbeit machen zeitweilig die Wildſchützen,








Felſen giebt es Rudel von Gemſen; im Thal wechſeln Reh-
wild und Edelhirſch, und in den gelichteten Holzſchlägen „falzt“
im Frühjahr der Auerhahn oder Spielhahn. Mit den er-
legten prächtigen Vögein kommt der FJagerſepp heim und
ſchon von fern lacht er dem „Dirndl“ entgegen. Es heißt
ja im Liede:

„Wenn der Spielhahn d’Genna kleinweis zu ihm bringt,
Wenn er grugelt, wenn er tanzt und ſpringt,

Und dann lern’ is von dem Spielhahn droben halt,
Was im Thal herunt die Dirndlun a’ fallt.“

Daß er der Nofel „g’fallt“, iſt kein Zweifel; das lieſt man
deutlich genug in ihrem Geſicht, als fie ihn herankommen
ſieht. Der Schelm lacht dabei aus den Grübchen in ihren
Wangen, und wenn der Sepp auch ihr gegenüber einmal den
„Schneidigen“ herauskehren will, dann ſingt fie ſpottend:

„Und a Fager, der ſieht gut,
Aber d Lieb macht ihn blind,
Und da fangt oft den größten
A klein's Dirndl g'ſchwind.“

Die höchſte Lrüche in den Alpen.
Siehe das Bild auf Seite 664.)

D Arlbergbahn, obwohl techniſch eine großartige Leiſtung,
ſteht in Bezug auf Naturſchönheiten den übrigen Alpen-
bahnen nach Ziemlich einförmig und ohne beſondere Schau-
ſtücke ſind die Zugangsſtrecken öſtlich und weſtlich zum Arl-
berg, nämlich einerſeits Innsbruck Laͤndeck, andererfeits Bre-
genz —Bludenz. Kommt man von Bludenz herauf, ſo führt
die Strecke hoch an der Berglehne in dem einförmigen Kloͤſtẽr-
thal aufwärts und nur gaͤnz flüchtige Blicke hat man hie
und da auf ein von ferne herabblickendes Gletſcherhaupt.
Von den koloſſalen Schwierigkeiten des Bahnbaues gerade
auf dieſer Strecke, die äußerſt lawinengefährlich und faſt in
jedem Winter einigemal unterbrochen iſt, hat natürlich der
Laie keine Ahnung. Dann geht es in den großen Tunnel
hinein, und jenſeits im hochalpinen Stanzerthal abwärts nach
Landeck Nun wird die Reiſegeſellſchaft aufmerkſam, denn
jetzt kommt die intereſſanteſte Strecke der ganzen Bahn-
Station Flirſch iſt paſfiert, man nähert ſich der Station
Strengen. Zwiſchen dieſer und Landeck ſind alle Glanz-
punkte auf engem Raume zuſammengedrängt, der Blick auf
den Riffler, die Thialſpitze und die ſtarren Felshäupter der
ſchön geformten Parſeiergruppe. Und während noch der Blick
bewundernd darauf haftet, erſchallt der Ruf: „Aufgepaßt,
jetzt kommt die Triſannabrücke!“ Und alle Köpfe fahren aus
den Fenſtern, um von dieſem großartigſten Bau der Arlberg-
bahn, zugleich der höchſten Brücke in den Alpen überhaußt,
im Darüberfahren möglichſt viel zu genießen. Der Zug hat
ſeine ohnehin ſchon langſame Gangart noch mehr ermäßigt,
faſt im Schritt geht es über die Brücke, die S6 Meter hodh
über der aus dem Paznaunthale kommenden Triſanna hin-
wegführt (ſiehe das Bild auf S. 664). Einen ſchwindelnden
Blick wirft man in die Tiefe, ein ſtaunendes Gefühl über
die Kühnheit der Anlage bemächtigt ſich der Reiſenden,
manchen erfaßt auch ein leiſes Gruſeln; aber niemand hat
Zeit, ſich dem Anblick wie ſeinen Empfindungen hinzugeben,
denn ſchon iſt die 195 Meter lange Fahrbahn durchlaufen
und der Zug wieder auf feſtem Boden angelangt. Einen
beſonderen landſchaftlichen Reiz erhält das Bild der Triſanna-
brücke, das ſich anı ſchönſten und packendſten natürlich von
unten ausnimmt, noch durch das am öſtlichen Ende des Via-
dukts aufragende alte Schloß Wiesberg. Hier iſt Halteſtelle
Wer Zeit hat, ſollte ausſteigen und zum Ufer der Triſanna
hinuntergehen! Ein Blick durch den luftigen 120 Meter
breiten Mittelbogen der Triſannabrücke auf die dahinter auf-
ragenden Bergrieſen, dazu die maleriſche Umrahmung des
groͤßartigen Bauwerks machen einen Eindruck, der zu den
bedeutendſten einer Alpenreiſe gehört. Um das Geſtein, auf
deſſen Spitze das Schloß Wiesberg ſteht, zieht ſich ein röt-
licher Gangſteig dahin, der allmählich im Fichtenwalde ver-
ſchwindet. Wer ihn weiter verfolgt, kommt auf ihm in das
Paznaunthal, das von der Triſanna durchfloſſen wird, die
mit der Roſanna die bei Landeck mündende Sanna bildet.
Paznaun iſt eine ſehr abgelegene Landſchaft, die in ihrem
innerſten Winkel an Vorarlberg und das Engadin ſtößt. Bei


das Stanzerthal und gewährt rechts noch einmal einen Rück-
blick auf die Triſannabrücke.

die Mitglieder der fremden Geſandtſchaften
in Peking.
Siehe das Bild auf Seite (65,)

Ba der gegenwärtigen Lage der Dinge in China wird
unſer Bild auf S. 665 von beſonderem Intereſſe ſein.
Es ſtellt die Mitglieder der fremden Geſandtſchaften mit


die gemacht wurde, als die Diplomaten und ihre Damen
einem Wettrennen bei Peking zuſchauten. Das Perſonal
der deutſchen Geſandtſchaft beſtand damals, abgeſehen von
Herrn v. Ketteler und ſeiner Gemahlin, aus dem erften
Sekretär v, Below⸗Saleske, dem zweiten Sekretär v. Bergen,
dem zur Geſandtſchaft kommandierten Leutnant ä la suite
des Dragonerregiments König Friedrich III. (2. Schleſi-
ſches Nr. 8 v. Loeſch, dem zweiten Dolmetſcher Cordes
ler war erſt vor kurzem vom Urlaub nach Peking zurück-
gekehrt und wurde ſchon bei dem Angriff auf Herrn v. Kette-


ſchreiber kommandierten Seeſoldaten Koch vom Gouvernement
 
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