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662

Das Dud Ae

Heft 28.



durch die Aufforderung eines Fremden in das Zimmer,
in dem ſich Günther befand.

„Sie haben mir durch den Kellner ſoeben ſagen
laſſen, daß Sie mich in einer höchſt dringenden An-
gelegenheit zu ſprechen wünſchen,“ begann er. „Was
bedeutet das, mein Herr? Ich habe nicht die Ehre,
Sie zu fennen. “

„Geſtatten Sie, daß ich mich Ihnen vorſtelle, hier
iſt meine Karte.“

Der Fremde betrachtete die Karte mit mißtrauiſchen
Augen. „Direktor eines Detektiveinſtituts? — Was
wünſchen Sie von mir?“

„Wollen Sie die Güte haben, mir zu ſagen, wen
ich vor mir habe?“ verſetzte Günther „Geſtaͤtten Sie
mir vorläufig nur die Andeutung, daß ſich hier nebenan
in dem kleinen Speiſeſaal auf der Eſtrade gegenüber
der Eingangsthür ein Tiſch befindet, an dem Perſonen
ſitzen, welche ein Intereſſe erwecken nicht nur für Sie,
ſondern auch für mich.“

Der Fremde ſchien beſtürzt. „Ich weiß nicht, was
Sie damit ſagen wollen. Sie ſcheinen in einem Irr-
tum befangen.“

„Das bin ich nicht. Wenn Sie nur die Freund-
44 haben woͤllen, mir zu ſagen, wen ich vor mir
habe.“

Der Angeredete ſchien noch einen Augenblick zu
zögern. Dann ſagte er: „Nun ... ich weiß aller-
dings noch nicht, was Sie wollen ... aber Ihließlich
iſt meine Perſönlichkeit kein Geheimnis! Ich bin der
Leutnant Wegener, augenblicklich auf Urlaub hier in
Hamburg.“ /

„Sie ſind aktiver Offizier, Herr Leutnant?“

Jawohl.“

Wollen Sie die Güte haben, ſich einen Augen-
blick zu ſetzen

Leutnant Wegener nahm immer noch mit einem
mißtraͤuiſchen Blick auf Günther Platz. Aber ſchon
nach wenigen Minuten, nachdem ihm Günther vor-
ſichtig eine Zeitlang ins Ohr geflüſtert hatte, veränderte
ſich fein Geſicht durchaus.

Nachdem Günther ſeine Mitteilung beendet hatte,
ſagte Wegener: „In dex That, mein Herr, dann ſind
wir Bundesgenoſſen. Offenheit gegen Offenheit! Ich
intereſſiere mich ſehr für die junge Dame da, für
Fräulein Eva. Ich habe die Dame vor einigen Mo-
naten zufälligerweife in Berlin kennen gelernt bei einem
Beſuch, den ich bei Verwandten machte. Ich habe
mich auch mit der jungen Dame heimlich verlobt, und
die Tante war mit unſerer Verlobung einverſtanden
und auch bereit, da Eva mittellos und von der Tante
abhängig iſt, die nötige Heiratskaution herzugeben.
Tante und Nichte waren hier nach Hamburg gekommen,
und ich kam aus meiner Garniſon, die im Oſten des
Reichs liegt, ebenfalls hierher, um die Vexlobung mit
CEva zu feiern. Frau Martens wollte die Heirats-
kaution bei einem Bankier deponieren, und ich ſollte
dann mit Berufung auf das Vorhandenſein der Kau-
tion um den Heiratskonſens einkommen. Nachdem
dieſer eingetroffen war, konnte die Verlobung veröffent-
licht werden. Ich hielt mich auf der Hierherreiſe noch
in Berlin auf, und dort bekam ich eine Depeſche von
Eva, die mir mitteilte, es ſei alles verloren und ich
ſolle ſo ſchnell wie möglich nach Hamburg kommen und
hier eine heimliche Unterredung mit ihr herbeiführen-
In dieſer Unterredung teilte mir nun Eva mit, daß
Frau Martens einen Baron Courtier kennen gelernt
habe, den ſie durchaus heiraten wolle. Um alle
Weiterungen zu vermeiden und um in der Heimat nicht
unnützes Aufſehen zu machen, will ſie ſich mit dem
Baron in London trauen laſſen. Die Tante hat Eva
gleichzeitig erklärt, nun könne ſie nicht daran denken,
die Heiralskaution herzugeben, denn ſie brauche ihr
Geld allein, da ſie als Baronin ſtandesgemäß auf-
treten müſſe. So ſind mit einem Schlag Evas und
meine Hoffnungen zerſtört.“

„Kennt Sie Frau Martens nicht?“ fragte Günther.

Nein, ſie kennt mich nicht, ſie hat mich nie ge-
ſehen. Ich habe heute einen Augenblick mit Eva eine
Zuſammenkunft gehabt, und ſie hat mir mitgeteilt,
daß ſie morgen früh mit der Tante nach London reiſen
muß! Das hat mich ſehr deprimiert. Ich bin ſtunden-
lang wie ein Verzweifelter herumgelaufen und nur
hierher gekommen, um wenigſtens noch einen Abſchieds-
gruß heimlich mit Eva zu wechfeln.“

„So haben wir alfo das gleiche Intereſſe. Es
muß uns daran liegen, die Abreiſe zu verhindern.
Sobald der Schwindler entlarvt und verhaftet iſt, denkt
natürlich Frau Martens nicht mehr an eine Heirat
mit dem Kerl. Sie wird ſich entſetzlich blamiert fühlen
und wahrſcheinlich ohne weiteres die Heiratskaution
hergeben. Ich möchte mich ſogar dafür perbürgen,
Herr Leutnant. Doch müſſen wir es veranlaſſen, daß
Eva nicht reiſt, und dazu können Sie helfen.“

„Ich?“ fragte Wegener erſtaunt. „Ia, wenn ich
das könnte, werter Herr! Ich habe mir ja ſchon
ſtundenlang den Kopf zerbrochen, ob ich nicht irgend

was zur Verhinderung der Abreiſe Evas thun könnte.“

Günther zog aus ſeinem Notizbuch ein dünnes



Blättchen Seidenpapier und einen Bleiſtift heraus und
4* : „Herr Leutnant, Fräulein Eva kennt Ihre Hand-
rift?“ ;

„Natürlich. Ich habe ihr wohl an die dreihundert
Briefe geſchrieben!“

„Gut. Dann ſchreiben Sie auf dieſes Stückchen
Papier folgendes:

„Du müßt heute nacht unter allen Umſtänden ſchwer
erkranken, damit morgen die Abreiſe verhindert wird.
Allerwichtigſte Dinge hängen davon ab.“ Nun ſetzen
Sie die Anfangsbuchſtaben Ihres Namens darunter,
oder Ihren Vornamen.“

„Dieſer Zettel ſoll Eva zugeſteckt werden?“ fragte
Wegener. „Wie wollen Sie das machen?“

„O, ſehr einfach.“ Damit rief Günther einen
Kellner herbei und ſagte zu ihm: „Beſter Freund, hier
haben Sie zehn Mark. Nehmen Sie drüben von dem
Tiſch die „Fliegenden Blätter“, gehen Sie zu der
Dame drüben auf der Eſtrade, die ich Ihnen noch
näher beſchreiben werde und übergeben Sie ihr die
„Fliegenden Blätter“ mit den Worten: Hier iſt die
beſtellle Zeitung. Dabei ſtecken Sie ihr gleichzeitig auch
dieſen zuſammengefalteten Zettel zu.“ G

Der Kellner lächelte verſtändnisvoll und verbeugte

ſich. „Ich verftehe ſchon,“ fagte er, „ich habe ſolche
Sachen ſchon öfter gemacht. Es ſoll beſtens beſorgt
werden.“

„Warten Sie noch einen Augenblick,! ſagte Günther.
Dann wandte er ſich zu Wegener. „Sie gehen wieder
auf Ihren Platz, Herr Leutnant und warken das Zei-
chen der Zuſtimmung von Fräulein Eva ab. Iſt dieſes
Zeichen erfolgt, ſo entfernen Sie ſich aus dem Lokal.
Vielleicht wäre es doch von Wert, wenn wir noch ge-
meinſam konferierten, aber natürlich können wir uns
hier nicht zuſammenſetzen. Im ſechſten Haus in der
Nachbarſträße Neuerwall befindet ſich ein ſehr gutes
Bierreſtaurant, vielleicht haben Sie die Freundlichkeit,
mich mit meinem Begleiter dort zu erwarten. Ich
verlaſſe in zehn Minuten mit ihm das Lokal.“

Dann ging Günther mit dem Kellner bis an die
Eingangsthür zur Eſtrade und hezeichnete ihm heimlich
Eval BFer Kellner vergewiſſerte ſich, welches die richtige


Eſtrade und fetzte ſich auf ſeinen Platz. Bald darauf
erſchien Günther und nahm wieder neben Eugen Platz,
ihm zuflüſternd: „Das iſt brillant gelungen, wir haben
zwei Bundesgenoſſen.“

Einige Minuten ſpäter trat der Kellner mit den
„Fliegenden Blättern“ an Eva heran, und obgleich
das junge Mädchen im erſten Augenblick verwundert
ſchien, wohl weil ſie den Zettel in den Fingern des
Kellners entdeckte, nahm ſie ihm doch die Zeitung und
auch den Zettel ab. Baron Courtier tuſchelte mit
Frau Martens, die ganz geiſtesabweſend ſchien, derartig
angelegentlich, daß ſie gär nicht merkten, was mit Eva
vorging. Eva las die „Fliegenden Blätter“ anſcheinend
mit Intereſſe, entfaltete den Zettel, und, nachdem ſie
ſeinen Inhalt geleſen hatte, ließ ſie das illuſtrierte
Blatt ſinken, ſah nach Leutnant Wegener hinüber und
nickte ganz energiſch mit dem Kopf. Wegener dankte
ihr ebenfalls durch ein Kopfnicken, dann rief er den
44 bezahlte ſeine Zeche und verließ den Speiſe-
aal. ;

Zehn Minuten ſpäter folgten ihm Eugen und
Günther. In dem Augenblick, in dem ſie das Hotel
verlaſſen wollten, kam ein Depeſchenbote, und in ſeiner
Nervoſität fragte Eugen, ob eine Depeſche für ihn da
ſei. Der Bote hatte in der That eine Depeſche für


des Hotels, das Eugen zu ſeiner Legitimation mit dem
Depeſchenboten auffuchen mußte. Das Telegramm kam
von Wilfing aus Wien und ſein Inhalt lautete:
„Heute abſolut nichts mehr zu machen. Morgen
in früheſter Stunde wird Sache eingeleitet. Wilfing.“

Erſt gegen elf Uhr nachts kehrte Eugen mit Günther
nach dem „Hamburger Hof“ zurück. Sie hatten ſich mit
Leutnant Wegener ſehr gut unterhalten, hatten mit
ihm, der durch die Hoffnung, ſeine liebe Eva doch
noch erringen zu können, ganz glückſelig war, für den
nächſten Tag, ſchon in den erſten Morgenſtunden, wie-
der eine Zuſammenkunft verabredet.

Auf dem Wege zum Hotel ſagte Eugen zu Günther:
„Wenn dieſes Fräulein Eva nur die nötige Routine
beſitzt, um eine Krankheit zu ſimulieren.
ſehr großes ſchauſpieleriſches Talent gehören.“

Dieſes Talent haben alle Frauen,“ antwortete
lachend Günther. „Das iſt ihnen angeboren, und es
giebt wohl kaum eine Frau, die nicht im ſtande wäre,
die ſchwerſten Krankheitsſymptome zu extemporieren,
wenn das in ihren Kram paßt. Ich möchte meinen
Kopf darauf verwetten, daß Fräulein Cva ihre Rolle
glänzend durchführen wird.“ —

„Ich könnte es nicht! bemerkte Eugen.

„Das glaube ich Ihnen gern. Wir Männer ſind






in der Anwendung und Durchführung ſolcher Komödien
ſehr ungeſchickt, während die Frauen das meiſterhaft

verſtehen. Da drüben ſtehen meine Detektives, der
Dienſtmann und der Arbeiter. Wir wollen an ihnen
vorübergehen!“

Während Günther vorüberſchritt, ſagte ihm in der
unauffälligſten Weiſe der Detektive in der Verkleidung
des Dienſtmannes: „Er iſt im Hotel!“

Günther blieb nicht einen Augenblick ſtehen, ſon-
dern ging an ſeinen beiden Beamten vorüber, alg
wären es Fremde.

Fugen holte ſich an der Portierloge ſeinen Zimmer-
ſchlüſſel und fragte vergeblich nach einem Telegramm.
Es war nichts gekommen.

Günther tröſtete ihn. „Gehen Sie nur ſchlafen,
Herr Baron, es wird ſchon alles gut werden. Ruhen
Sie ſich ordentlich aus, Sie brauchen morgen noch Ihre
Kräfte. Sie finden mich morgen früh wieder auf dem
Poſten!“

Eugen ſtieg langſam die Treppen hinauf. Er wohnte
in der zweiten Etage, auf einem Flur mit Frau
Martens und ihrer Nichte. Als er an der erſten Etage
vorbeikam, faßte er unwillkürlich nach dem Schlag-
ring in ſeiner Taſche. That er nicht am beſten, wenn
er in das Zimmer des Schwindlers eindrang und
dieſen niederſchlug? War es nicht fürchterlich daß
gegen dieſen Schurken nur aus formellen Gründen ge-
ſetzlich nichts unternommen werden konnte?

Eugen beſann ſich dann aber doch, daß er Günther
hatte verſprechen müſſen, keine Gewaltthätigkeiten zu
begehen, und ſtieg zur zweiten Etage empor. Die
dicken Teppichläufer in den Korridoren machten ſeinen
Schritt unhörbar. Vor der Thür des Zimmers Num-
mer 94, in welchem Frau Martens mit ihrer Nichte
wohnte, blieb er einen Augenblick lauſchend ſtehen,
aber er hörte aus dem Zimmer keinen Laut.

Endlich erreichte Eugen ſein Zimmer, drehte das
elektriſche Licht auf und fing an, ruhelos auf und ab
zu gehen. Er dachte nicht an das Schlafengehen, er
wußte doch, e& war ihm in ſeiner Aufregung unmög-

lich zu ſchlafen.

Es iſt zwei Uhr nachts geworden.

Noch immer hat Eugen v. Staray keine Ruhe ge-
funden. Er ſitzt am Tiſch des Zimmers und ſchreibt
einen langen Brief an ſeinen Freund, den Oberleutnant
Wilfing in Wien. Er muß ihm doch Nachricht geben,
wie alles gekommen iſt, wie er auf der Momentphoto-
graphie von der Rennbahn den Gauner erkannt, wie
er ihn gefunden hat, und welche Gefahr droht, weil
der Burſche nahe daran iſt, wieder zu entſchlüpfen.

Draußen auf dem Korridor ſchrillt plötzlich die
elektriſche Klingel. Sie läutet ſehr lange, und kaum
hat ſie aufgehört, ſo beginnt ſie von neuem zu tönen.
Es iſt ein nervöſes, beängſtigendes Klingeln, als wolle
jemand Hilfe herbeirufen. Immer und immer wieder
könt dieſes Klingeln!

Man hört Hin- und Herlaufen im Korridor, wenn
der Schall der Schritte auch gedämpft iſt. Eugen iſt
unwillkürlich an ſeine Stubenthür getreten und horcht
auf das, was draußen im Korridor geſchieht. Eine
männliche und eine weibliche Stimme, wohl die des
Etagenkellners und des Stubenmädchens, wechſeln
haſtige, kurze Reden.

„Es ſoll ſofort ein Arzt geholt werden. Das
Fräulein von Nummer 94 iſt ſehr krank geworden!“

Ein Lächeln gleitet über Eugens Geſicht! Das hat
das kleine Fräulein gut gemacht. Sie iſt nicht gleich
abends krank geworden, ſondern erſt gegen Morgen,
an eine Abreiſe iſt nun nicht zu denken!“

So murmelt Eugen und nun, da er weiß, daß ſich
der Plan verwirklicht, kommt es wie Ruhe über ihn.
Jetzt merkt er auch erſt, wie abgeſpannt, wie müde ‚er
ijt. Den ganzen Tag war er auf »den Beinen, faſt
nichts hat er gegeſſen, ſeine Nerven waren in fort-
währender Erregung und Spannung, jetzt kommt die
Reaktion.

Draußen im Korridor dauert die Unruhe, das Hin-
und Herlaufen fort, aber dieſes Geräuſch hat für
44 etwas Beruhigendes, er weiß ja, was das be-
eutet.

Nur auf einen Augenblick wirft er ſich angekleidet
auf die Chaiſelongue im Zimmer.

Aus tiefem Schlaf erwaͤcht er, als es ſchon heller
* iſt. Sein erſter ängſtlicher Griff iſt nach der

*

Sieben Uhr dreißig Minuten!

Eugen ſpringt auf. Was iſt das? Günther wollte
doch vor ſechs Uhr da fein. Jetzt iſt es ſchon halb
Acht! Warum wurde er nicht geweckt?

Er dreht vor allem das elektriſche Licht ab, welches
bis jetzt gebrannt hat. Er wirft die Oberkleider ab
und wäſcht ſich, dann klingelt er nach dem Kellner.

Dieſer kommt ſofort.

„Was war denn heute nacht los? fragt Eugen.
„Das mar ja eine rieſige Unruhe im Korridor!“
„Ja, das war eine ſchlimme Nacht!“ antwortet der
 
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