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Jahrg. 1900.





Gezeichnet.

Roman von Hedwig Schmeckebier⸗Exrlin.

(Forffekung und Sıchluß.)

Nachdruck verboten.)

va, es iſt Zeit!?

„Ja, liebe Tante.“

Die Kleine dehnt die verſchlafenen
Glieder und ſucht beim Lampenlicht, das
mit dem anbrechenden Morgen kämpft,
Wihre Sachen zuſammen.

Bewegungslos verharrt Margarete inmitten des
Bimmers. Wohin ihr Auge ſchaut, gepackte Koffer,
derhüllte, zum Transport hergerichtete Möbel, leere
Schränke! Das Heim iſt abgebrochen, und die in der
Küche draußen ſchluchzend den ſchönen Traum von
ihrer Herrin Hochzeit begrabende Hanne hat nur noch
nötig, deren Befehl abzuwarten, um unverzüglich mit
dem geſamten Hausſtand nachzureiſen.

Wieder und wieder gleitet Margaretes Blick ab-
ſchiednehmend von einem Gegenſtand des Gemaches
zum anderen. Wie fremd ſie ihr erſcheinen im fahlen,
falten Morgengrauen. Nicht im hellen, klaren Licht
des Tages durfte ſie gehen, da hätte man ihr das
Geleit gegeben, hätte ihr das Lebewohl erſchwert —
und Haſſös Antlitz wäre es vielleicht geweſen, auf dem
ihr letzter Abſchiedsblick geruht. Das aber durfte
nicht ſein Nicht mit feinem Bilde vor Augen wollte
ſie den Weg zum Frieden beginnen.

In Kraft und Feſtigkeit mußte ſie ſich löſen von
allem, was vom Einſt noch in ihr lebte.

Keine Wehmutsreſte einer abgeſchloſſenen Ver-
gangenheit durfte ſie als Ballaſt mitnehmen in
ihr neues Leben. Frei fühlen mußte ſie ſich von
allem, was ſchwer werden, was drücken könnte.
Die Wanderung zum Ziele der Pflichterfüllung
würde ihr ohnedies noch manchmal Hinderniſſe vor
die Füße legen, das wußte ſie gar wohl.

Und darum keine weitere Erinnerung an jene
unvergeßliche Stunde, da ſie droben auf Oldenhofen
ihres Herzens Lebewohl auf ewig geſyrochen.

Der Brief dort auf dem Tiſche neben dem Käſt⸗—
chen erklärte ihnen, wenn ſie famen, ihr einſames
Aufbrechen vor Sonnenaufgang! Ehe Margarete
den Umſchlag des Schreibens ſchließt, nimmt ſies
noch einmal auf und ſchaut hHinein. Sein Inhalt.
lautet ſchlicht und herzlich:

„Heimlich im Dunkel bin ich gegangen, weil es
ſe geſchehen mußte. Im Dunkel dieſex einſamen Ub- -
ſchiedsſtunde ſoll mir einzig und allein das Licht

des Herzens den Pfad erleuchten, und iſt es geſchehen,
will ich verſuchen all mein Lehen lang in ſeiner
Helligkeit zu wandern. Habt Dank, daß ihr geholfen,

z in mir anzuzünden, mich ſehend zu mächen. Habt
Dank für alle eure Liebe und lebt wohl.

Du aber, Haſſo, laß die kleine Anita nicht länger
waxten auf das Glück, und wenn ſie den goldenen
Reif an ihrer Rechten trägt, dann ein Wiederſehen!

Margarete.“



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Still legt ſie den Brief zurück an ſeinen Platz.
Sekuͤndenlang zögert ihre Hand vor den im Käſtchen
geſammelten Andenken von ihm; ſoll ſie nicht wenigſtens
eine8 davon mitnehmen?

Nein, auch dieſe Verſuchung iſt überwunden, und
kurz entſchloſſen kehrt ſie dem Tiſch den Rücken und ruft
ins Nebenzimmer hinein: „Ich bin bereit, Eva, komm.“

Während Hanne einen Wagen herbeiholt, ſchreitet
Margarete, daͤs Kind an der Hand, langſam zum
Haufe hinaus. Ihre Lippen ſind feſt aufeinandex ge-
preßt, ihr Atem geht tief und mühſam, kein Wort
ſpricht ihr Mund. Draußen im Gärtchen wallen die
Frühnebel über dem jungen Grün, wonniger Frühlings-
duft quillt ihr entgegen und haucht ihr ſchmerzliche Er-
innerungen zu. „Weißt du nach, wie oft du hier von
ſeinem Arm umſchlungen geſeſſen — und wie du hart
und lieblos warſt?“


wildẽ Lied von Groll und Liebe verklungen. Dumpf
ſchlägt die Gartenpforte hinter ihr zu. Margarete fährt
fröſtelnd zufammen; ſo klang es, als die erſte Erden-
ſchaufel auf ihres Vaters Sarg gefallen. Mit ſtummen
Kopfneigen wendet ſie ſich zurück — zum letztenmal.




erlagsbuchhäudler aul Kröner F.

Noch ein rajhes, haſtiges Lebewohl für die alte
Dienerin, und der Wagen raſſelt davon.
Der Frühzug nach Norden iſt wenig beſetzt; Margarete
bleibt mit Cva allein., Die Kleine hat ihr Köpfchen an
ſie gelehnt und ſchaut erwartungsvoll in die Ferne.




dem ſie gegangen. Niemand ſteht dort und hlickt ihr
nach, niemand hat ihr ein Wort der Liebe mit in die
Ferne gegeben Sie hat es ſo gewollt, ſie wollte ſtark
fein, und ſie iſt es, wird es ſein für alle Zeit ; auch dann,
wenn Haſſo und Anita glücklich vereint ſein werden.

Ihr Haupt ſenkt ſich hernieder, ihre Wange
feuchtet ſich.

Da, ein grelles Pfeifen, und faſt zugleich mit dem
erſten Fortbewegungsruck des Zuges tönt der helle Ruf
von Edas Lippen: „D ſieh doch, Tante, dort, das
Licht — das Licht!“

Margaretes Kopf wendet ſich ab von dem, was
hinter ihr liegt. Ihr Blick ſchaut voran und hebt ſich
aufwärts, zum Himmel empor, den es im Oſten glut-
rot überflammt, ſo voll und leuchtend, daß auch zu
ihrem Auge ein roſiges Strahlen dringt.

Das Morgenrot — der Tag! Dem Licht entgegen,
in der Morgenröte eines neuen Seins!

Es rauſcht und klingt und blüht in ihr empor —
das Hoffen, das Ahnen, das Schauen einer lichwollen
Zukunft! Mit tiefem, befreitem Aufſchluchzen hat ſie
das Kind, ihr Kind, ans Herz geriſſen!

„Die Sonne iſt's, mein Liebling, die dort vom

Schlummer auferſteht — die Sonne!“

Sehsundzwanzigkies Kapitel.

„Laß die kleine Anita nicht warten auf das
Glück.“

Haſſo hat die Worte Margaretes geleſen, wieder
und wieder haben ſie mahnend zu ihm gefprochen :
Heute noch gehe hin zu ihr, und ſei es auch nur,
um ihr tief in die Wunderaugen zu ſchauen.“

Dennoch hat er es bisher nicht vermocht im Ge-
danken an Margaretes einſamen Abſchied! Die
ſchmerzvolle Erinnerung an ſie iſt immer noch
mächtiger in ihm geweſen, als al die Sehnſucht
ſeines Glück verlangenden und Glück geben wollen-
den Herzens. — 8

Da, eines Morgens lacht der Lenz ſo lockend,
ſo ſtrahlend zu ihm ins Zimmer hinein, daß ſein
junges, heißes Leben wie toll in den Pulſen zu
pochen beginnt. Drängendes, ſtürmendes Wünſchen,
ſein Liebſtes zu ſehen, wogt in ihm auf, bis er
hinauseilt in die leuchtende, blühende Pracht, bis er
dem füßen, blaſſen Geſichtchen folgt, das vor ihm
hergeht, mit leiſem, heimlichem Winken.

Hin — hin zu ihr! „AMnita, Anita! Ihren
Namen in die laue, koſende Luft hineinflüſternd,
lenkt er die Schritte zu ihr, ohne Zaudern, ohne
Beſinnen, als könne es nicht anders ſein.

Wie man ſein Kommen aufnehmen wird, wie ſie
ſelber ihm entgegenſtaunen würde, die kleine Annie,
an all dies denkt er nicht. Nur ihre dunklen Sammet-
augen ſchauen hinein in ſeine Gedankenträume, und
die rufen ſehnſüchtig: „Komm doch, komm, wir warten
aufs Slüd !” — ; ;

Mit flinken Sätzen ſpringt er die Treppe zu ihrer
Wohnung empor, als ihn vom Garten heraufſchallendes
Stimmenklingen aufhorchen und ſofort wieder um-
kehren läßt.

Anita!! So iſt drunten gerufen worden.

Durch Blütenbüſche windet ſich ein ſchmaler Pfad,
 
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