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ll



heft d.

Jahrg. 1900.





Im ewigen Schnee.
Roman von Paul Dakar Pöcker.

(Forffekung.)

(Nachdruck verboten.)

za conard preßte die Hände gegen die
| Stirn. „Mein Goth mein Gott — aber
: NS | das3 iſt ja ſo abenteuerlich — 1o un-
— 44 * 4 2
Z @l mie gelangte fie in Ihre Hände?“ fragte
— * 4 Dame
Ich kam kurz nach Fridas Tod dazu, enigeg-
nete Frau Lugenz, „wie mein Sohn ſie vom Tiſch auf-
nahın und in den Schrank ſtellte. An jener Stelle
verblieb ſie, bis ich den Schrank heute früh öffnete und














Ich bin kein Chemiker, aber ich weiß in der Küche
mit den Metalikeſſeln und ſo weiter Beſcheid und
ſo wußte ich auch ſogleich, daß es ſich hier um eine
farke Bleilöſung handelm mußte. Auf dem Rezept,
das/ von der Hand meines Sohnes geſchrieben, da-
neben lag, las ich aber kein Wort, das mit
„Blei“ zu überſetzen geweſen wäre, und
ich habe Zeichen fuͤr Zeichen in dem medi-
ziniſchen Hilfsbuch nachgeſchlagen, das ſich noch
von früher her unter den Studienbüchern mei-
nes Sohnes vorfand. Dort liegt das Rezept
— leſen Sie ſelbſt.“

Der Richter hatte den länglichen Papier-
ſtreifen aufgenommen und Leonaxd zugereicht,
der mit diifterer Miene darauf hinſtarrte,

„Sa, foll einem das alle8,“ fuhr Frau
Lugenz fort, „den entſetzlichen Verdacht nicht
geradezu aufzwingen, daß der Tod des un-
Flücklichen Kindes gewaltſam herbeigeführt“
worden iſt?!“

Meunier hatte ſeine Wanderung durchs
Zimmer wieder aufgenommen. Bei den letzten
Worten der alten Dame blieb er ſtehen und
wandle ſich nach der Sprecherin um. „Haben
Sie ſchon einmal Ihrem Herrn Sohn gegen-
über dieſen Verdacht zum Ausdruck gebracht?“

„5a, An dem Daoe, an dem mein
Sohn von hier fortzog, um fein neugepach-
tetes Landhaus auf der anderen Seite von
Siders zu beziehen.“

„Hatten. Sie denn ſchon damals eine Ah-
nung von der wahren Todesurſache Ihrer
Enkelin?“

„Nein. Aber es trieb mich ein dumpfer
Verdacht, den jähen, unerwarteten Tod der
Kleinen mit der übertriehenen Haſt ihrer
Stiefmutter, die nicht ſchnell genug die Pflege
des Kindes in ihre Hände allein bekommen
konnte, in Verbindung zu bringen. Ich deutete
meinem Sohn gegenüber ſogar an, daß ich
vermutete, Frau Marianne habe es bewußt
oder unbewußt an irgend etwas in der Pflege
fehlen laſſen! Ich dachte damals zunächſt nur




an ihre mir unausſtehliche Gewohnheit, immer die
Fenſter aufzureißen. Gewiß, mein Sohn ſagt ja,
friſche Luft ſei den Krapken dienlicher als Wärme,
womit man in früherer Zeit alles kurierte, aber ich
gab ihm doch zu bedenken, ob es etwa dienlich ge-
weſen ſei, wenn zum Beiſpiel Frau Marignne die Fieber-
kranke ohne jeden weiteren Schutz der kalten Nachtluft
direkt am offenen Fenſter ausgeſetzt hätte!“

„Aber an eine folche Grauſamkeit werden Sie doch
nicht im Ernſt gedaͤcht haben?“ rief Hubert, der ſeine
Karbe noch immer nicht wiedergefunden hatte. „Wenn
ich mir denke, wie Stephan unter einer ſolchen Vor-
ſtellung gelitten haben muß!“

Die alte Dame ſeufzte auf. „Ja, das weiß Gott,
er hat ſchwer darunter gelitten, wenn er mir auch
zuſchwor, daß ich mich taͤuſche, mich nur von meinem
Haͤß fortreißen laſſe. Wenn ihn dieſe Vorſtellung nicht
felbſt ſo ſchrecklich gequalt hätke, ſo würde er ſich wohl
doch wieder einmal bei mir haben blicken laſſen,
worauf ich von Tag zu Tag hoffte.“

Meunier hatte ſcharf aufgepaßt. Sie ſind der
Meinung, daß Ihr Herr Sohn trotz ſeines energiſchen
Proteſted von det Schuldloſigkeit ſeiner Gattin inner-
lich doͤch nicht ſo felſenfeſt überzeugt iſt? Sie glauben,




4 * Beſtätigung Ihres Verdachts gefunden haben
önnte?“!

Nein, das iſt wohl ausgeſchloſſen, denn ſonſt würde
er doch auf dem Totenſchein nicht die urſprüngliche
Krankheit als Todesurſache angegeben hHaben. Freilich
— die Leiche erſchien mir, wenn ich auch nicht viel
davon verſtehe, höchſt ſeltſam verändext. Stephan ließ
den Sara aber ſo bald nach der Einbettung ſchließen,
daß man dieſem Punkt, noch dazu in der erſten Ergriffen-
heit, nicht die gebührende Aufmerkſamkeit ſchenkte.!

„So, ſo,“ ließ ſich der Richter vernehmen, „Ihr
Hert Sohn ordnete die Schließung des Sarges raſcher
als üblich an? Und die Veränderung der Leiche er-
ſchien Ihnen auffällig? Haben Sie Ihren Herrn Sohn
denn einmal darauf aufmerkſam gemacht?“

Frau Lugenz ſchüttelte den Kopf. „Nicdht daß ich
wüßle. Ich war ja wie von Sinnen vor Verzweiflung
und vor — — vor Wut!!

Die beiden Männer blickten überraſcht auf.
„Ja, ja,“ fuhr die alte Dame leidenſchaftlich fort,
„c8 mag unchriſtlich klingen, aber mächtiger nach als
mein Schmerz über den ſähen Verluſt meiner Enkelin
war meine Empörung über jene junge Frau, die nach
meinem Urteil die Urheberin all des unendlichen Leides





Der Nichter hHatte ſeine Aufmerkſamkeit
wieder der als Beweisſtück geltenden Flaſche
zugewandt. Auch ihm war die Bedeutung
der beiden als Brandzeichen ſichtbaren Buch-
ſtaben H. F. unbekannt, wie er ohne wei-
teres zugah.

„Darüber vermag ich Ihnen Aufklärung
zu geben,“ ſagte Leonard mit erkünſtelter
Kuhe, „die Buͤchſtaben ſind die Abkürzung
des Ur]prungsortes — Hütte Fortung.“

„Wie ſollte Frau Marianne aber — ge-
ſetzt einmal den Fall, daß es ihr wirklich
auf ein Verbrechen angekommen wäre — fich
in den Beſitz dieſer Flaſche geſetzt haben?“

Leonard trug eine finſtere Miene zur Schau.
„Mein Schwager Stephan,“ berichtete er,
war ſelbſt im Beſitz ſolcher Flaſchen. Er
hatte ſie bei den Velhandlungen über das
Bleibergwerk aus Chabrys gffizinellem La-
boratorium von der Hütte Fortuna mitge-
bracht, um chemiſche Untexſuchungen anzu-
ſtellen. Er wollte dies mehr aus alter Lieb-
haberei thun, denn mit dem Ertrag des Berg-
werks hatte dieſe Prüfung auf die Richtigkeit
der Analyſe nichts zu thun Ich hatte ihn
hierher bẽgleitet und glaube mich zu erinnern,
daß er ein paar ſolcher Flaſchen — vier oder
fünf waren's — auf ſeinen Schreibtiſch nie-
derſetzte.“

„Ja, richtig,“ fiel Frau Lugenz ein, „Dort
hHabe ich ſie gleichfalls gefehen! Viex Flaſchen
ſah ich aber nur ſie trugen alle den Glas-
jtempel H. F. Vor dem Umzug hat mein
Sohn ſie noch eigenhändig eingepackt, um ſie
mit anderem Kram nach der neuen Woh-
nung bringen zu laſſen.“

Das ſind Dinge von höchſter Wichtig-
feit !“ ſagte Meunier. „Aljo am Tag vor






 
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