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Zahrg. 1900:



Heft 4.



Am ewigen Schner.
„ Koman von Paul Dakar Bürker,

(Forffekung.)



it dem Schwager in dieſer Stunde über
die Vermögensangelegenheiten Fridas
zu reden, erſchien Stephan durchaus
unangebracht, überhaupt vollkommen
wertlos. All dieſe Dinge ſollten ſich ja
nun von Grund aus ändern. Aber es
war nicht nötig, damit jetzt ſchon herauszukommen.
Vtorgen gedachte er ſowohl mit Leonard als auch mit
ſeiner Mutter eine Beſprechung abzuhalten, um fie von
ſeinen neueſten, unwandelbaren Entſchlüſſen in Kennt-
nis zu ſetzen! Denn was er mit Marianne vorhin
abgemacht, ſollte ihm heilig wie ein Gelöbnis ſein.

Marianne wandelte nur noch wie im
Traume! Die ganze Tour hatte gegen vier-
zehn Stunden gedauert. Sie halte ſie als
ungeübte Bergſteigerin mit Bravour zurück-
gelegt; mehr als die körperliche Ausdauer,
die ſie bewieſen, war die Willenskraft, die
ihr der Ehrgeiz verliehen hatte, zu bewun-
dern.

Als man ungefähr um neun Uhr in
das bereits im nächtlichen Schweigen da-
liegende Alpendorf gelangte, war ſie aber ſo
hinfällig, daß es ihr gar nicht möglich war,
an der von Stephan ſchon beim Ausmarſch
erbetenen kleinen Mahlzeit im Pfarrhaus
teilzunehmen. *

Die alte Wirtſchafterin des Geiſtlichen
geleitete ſie in ein ſauberes Stübchen, half
ihr bei der Toilette, bei der Douche, rieb
ſie mit Franzbranntwein ein und päckte ſie
ins Bett. Kaum fünf Minuten, nachdem
das Licht gelöſcht war, lag ſie bereits in tie-
fem Schlaf. Stephan kam leiſe herein und
überzeugte ſich von ihren regelmäßigen Atem-
zügen, ihrem normalen Pulsſchlag! Befrie-
digt mit dem Kopf nickend verließ er das
Zimmer dann wieder auf den Fußſpitzen.!

Die Herren blieben nach dem beſcheide-
nen Mahl noch ein Stündchen beim Heiden-
wein und der Veveyzigarre beifammen. Leo-
nard war der erſte, der ſich zurückzag! es
war ihm verdrießlich, ſich des Pfarrers
wegen über allgemeine Themen unterhalten
zu müſſen, woles ihn doch nach einer Aus-
einanderſetzung mit dem Schwaͤger ſo bren-
HD Derlanate.

Marianne ſchlief bis in den hellen Mor-
gen hinein. Leonards Wagen, der von To-



Stünde, als fie endlich in das kleine Gärtchen
herunterkam, in deſſen ſonniger Laube das
Frühſtück von der biederen Alten aufgetragen -
murde. Der Pfarrer hatte von ihrer tapferen




Leiſtung gehört und begrüßte ſie mit fröhlichen Worten.
Sie mar noch etwas zerſchlagen — nanienklich in den
Gelenken der Arme und Beine empfand ſie Schmerzen


ſtückte mit Behagen, lobte die Wirtſchafterin wegen des


Butter, Honig und Eier gab, und plauderte mit ihrem
Mann und dem Pfarrer in ſo harmoniſch⸗ausgeglichener
Stimmung, wie ſie ſelbſt ſie noch nie zuvor an ſich wahr-
genommen hatte. *

Leonard war natürlich wieder ungeduldig. Er be-
ſchäftigte ſich bereits mit den Pferden ſchickte auch ein
paarmal den Kutſcher zur Laube, um die Herrſchaften
zur Eile anzutreiben.

Hexzlich verabſchiedete man ſich endlich von dem
geiſtlichen Herrn und beftieg den Wagen, um durch
das in glänzendem Sonnenſchein daliegende Thal, deſſen
Lärchen und Ebereſchen bereits ein faſt ſommerliches
Gewand trugen, nach Siders zurückzukehren.

Es war Mittag, als man dort eintraf.

„Gottlob, daß du endlich kommſt!“ empfing Frau






Lugenz ihren Sohn nicht ohne Vorwurf im Ton.„Ich
dachte ſchon, man würde in die Stadt zu einem Kollegen
von dir ſchicken müſſen.“

Was iſt geſchehen? Iſt jemand erkrankt? ...
Wo iſt Frida? fragte der Doktor ſofort unzuhig.

„Ich habe ſie zu Bett geſchickt,“ lautete die Ant-
wort der alten Dame, „weil ſie über Schmerzen klagte
und ſie mir etwas fieberig vorkam.“

„Wann iſt das gefchehen?“

Sie liegt ſeit geſtern vormittag.“

Erſchrocken blickte Stephan ſeine Mutter an. „UnD
ſo lange haſt du gewartet, ohne ärztlichen Nat zu-
zuziehen?“ ;

„Nun, man wird doch nicht gleich einen Fremden


Stephan legte haſtig ab, dann eilte er, von feiner
Frau gefolgt, in Fridas Zimmer. ı ;

Die Kleine Iag mit fieberheißem Kopf im Bett.
Sie ſchlief, ſchien aber ruhig zu träumen. Stephan
unterſuchte die Höhe der Körpertemperatur, überzeugte
ſich, daß Zungenbelag da war, und der Puls zu haſtig

ging. Das Krankheitsbild war dasfelbe wie
im vorigen Frühjahr. Irgend ein Diatfehler
war begangen worden, dazu hatte ſich noch
eine heftige Erkältung gejellt; die Kleine
litt an einer ſchmerzhaͤften Kolik, gegen die
er ſofort eine Medizin verordnete.

Iſt es denn nicht auch viel zu heiß hier?“
fragte Marianne beforgt, von aufrichtigem
Mitleid mit dem kleinen Patienten erariffen.

Stephan zog eine verzweifelte Miene.
Natürlich; ein Schwitzkaſten iſt das wieder.
Ich brauche nur einmal nicht da zu ſein,
um ernſtlich für ſtete Lüftung der Kranken-
zimmer zu ſorgen! Gegen den Starrſinn
der alten Leute in dieſem Punkte richte ih
hier überall nichts aus. Auch meine Mutter.
meint es ja gewiß von Herzen gut; aber
ich habe wahre Kämpfe mit ihr zu beſtehen
gehabt, um meine von modernen Anſchauungen
geleitete Behandlungsweiſe in ſolchen Fällen
häuslicher Erkrankuͤngen gegen ihre veral-
teten Hausmittel durchzuſetzen. Sie lebt noch
in der Beit, da eingekachelte Oefen, ge?
ſchloſſene Fenſter und Aderläſſe Wunder ver-
richten follten. Eine Grille von ihr, die
mir ſchon manche Kur in Frage geſtellt hat.
Oeffne ich das Fenſter — gewiß ſchließt ſie's
wieder, ſobald ich dem Zimmer den Rücken
gekehrt habe.“

Marianne ſah ihm offen ins Geſicht.
„Aber zu mir wirſt dr doch Vertrauen
haben, Stephan? Ich gehöre nicht zur „alten -

Schule! Du weilßi, Papa ließ' mich in
Greifswald am Samariterinnenkurfus teil-
nehmen. “ . ;

Er ließ ſie ſich neben das Kopfende von

Fridas Bett ſetzen. „So, du wackere kleine
Frau, nun ſollſt du dich gleich von neuem
und in einer noch wichtigeren Aufgabe als
geſtern als Mitarbeiter und treuer Be-
gleiter deines Mannes bewähren. Da iſt dein
Platz. Niemand als du hat von heuͤte an
 
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