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Jahrg. 1900.







Lieben und Schweigen.
Roman von T. Haidheim.

(FoxrffeBung.)



(Nachdruͤck verboten.)

prechen Sie nicht mehr von ihm, Fre-
;]| Derif !“ rief Graͤfin Klariſſa erreat, Sie
machte ihm gegenüber ja nie ein Hehl
daraus, daß ſie ſeinen Bruder glühend
geliebt habe.
— — „Und hat man jenen Diebſtahl im
Geheimarchiv weiter verfolgt, da man Sigurd nichts be-
weiſen konnte?“ fragte er abbrechend.
— SO hörte Ahrenkiel zu Erikſen darüber ſprechen;
der junge Ehrgeizige ſchien zu hoffen, daß man ihm
die Fortſetzung der Unterſuchung übertragen werde;
aber er kennt meinen Onkel noch nicht, der die Bäume
nicht über ſeinen eigenen Kopf wegwachſen läßt. Immer-
hin hält er mehr von dieſem Erikſen, als von irgend
einem anderen. Wer weiß —!” ſchloß ſie mit beſon-
dever Betonung.

Das ſcheint nicht derſelbe Fall bei Fräu-
lein Lia, fagte er, um überhaupt etwas zu
antworten. Die Regeln des Anſtandes geboten
ihm ja, auf die Unterhaltung der Dame ein-
zugehen; doch wie gleichgültig war ihm jeßt
45 was ſich nicht auf ſein Familienunglück
ezog.

Sie haben nicht verſucht, Ihren Bruder zu
ſehen, Frederik?“ kam auch Klaͤriſſa immer auf
dieſe Sache zurück. Die alte Liebe war in ihr
nie erſtorben!

Nein!“ ſagte er hart und kurz. Und dann
ſetzte er mit zuckenden Lippen Und ſchmerz-
vollem Ausdruck hinzu: „Wollten Sie vielleicht,
daß ich ſein Los noch ſchwerer machte? Soͤll
er vor mir ſtehen als verurteilter Sträfling?“
Beider Augen waren plötzlich feucht geworden.



Es handelte ſich nur noch um wenige Tage,
die Sigurd v. Reſen nach feiner Verurteilung
im Untkerſuchungsgefängnis zubringen ſollte.

Bis zu dem Augenblick, da man ihm das
Urteil mitgeteilt, hatte er ganz genau gewußt,
daß er niemand aus der MWelt, die früher die
ſeinige war und die NUN wie verſunken hinter
ihm lag, ſehen könne.

Jetzt wuͤrde ihm der etwaige Beſuch der

einen geſtattet, das wußte er. So groß das
rauen davor auch war, ſo lauſchte er dennoch
Tag und Nacht auf nahende Schritte, und was
fühlte, das mar trotz aͤllem die Sehn-

Seine Brüder würden nicht kommen, ſeine
alten Eltern auch nicht, ſagte er ſich, als der
erſte und zweite Tag hingegangen waͤren, ohne
* auch nur das 'geringfte Lebenszeichen zu
Yngen. Aber eine —— eine mußte fommen —
jein Weib,. feine Malve, für die er alles ge-
opfert, was einem Manne vom höchiten Wert



iſt. D, wie mochte die Arme gelitten haben um ihn,
der durch ihre Schuld ſo gräßlich litt, und der doch
tauſendmal lieber dieſe furchtbaren moraliſchen Qualen
dulden wollte, als ſie in Not und Tod zu treiben.

Arme, kleine, kindiſche Malve! Sie wußte ja nicht,
was ſie gethan hatte Nie war das große, heilige Wort
der Vergebung mehr am Platz geweſen, wie bei ihr.

Und je mehr er litt um ſie je lebhafter malte er
ſich aus, wie ſeine arme Malve im ſtillen Kämmerlein
bereuend, betend, weinend auf den Knieen liegen würde,
mit heißen Schmerzen an ihn denkend, die Minute
glühend erſehnend, da ſie ihn ſehen durfte-

Darum, wenn ſie alle ihn auch von ſich ſtießen,
Malve würde ihn um ſo mehr lieben, ſie würde eilen,
zu ihm zu kommen Sie wußte ja, daß er unſchuldig
war, ihre eigene Buße auf ſich nahm.

Wie eine Erleuchtung that ſich ſeinem Bewußtſein
in dieſer Seelennot die Erkenntnis auf von der er-
habenen Größe deſſen, „der unſere Schuld auf ſich
nahm, auf daß wir ſelig würden“. vetzt begriff er
die unausſprechliche Liebe einer ſolchen Selbſtopferung.

Und ſeine Liebe zu dem „in Thränen zerfließenden“
geliebten Weibe, zu ſeiner Malve, wuchs zur Exaltation.

Aber ſie kam nicht, kam immer noch nicht! Warum



(S, 571)




ſchrieb ſie ihm nicht, wenn man auf ſie etwa einen
Zwang ausühte? O ſicher, ihr alter Onkel, der ſtrenge
Ariſtokrat, würde ſie von ihm fernhalten wollen! Aber
nein — Malve würde ſich nicht zwingen laſſen. O
nein, ihre glühende Dankbarkeit, ihre Sehnſucht ließen
ſich gewiß nicht bezwingen!

Doch was mar es, daß ſie nicht endlich kam? Sie
war ohne Zweifel krank oder gar tot! Haͤtte ſie ihre
Drohung wahr gemacht? Mit klopfendem Herzen zählte
der Unglückliche die Stunden, die Minuten! „Kein
Brief?rief er dem Wärter, der ihm ſein Eſſen braͤchte,
entgegen bei jedem Eintritt in ſeine Zelle.

Nein, nein, kein Brief, keine Naͤchricht, nicht ein
einziges, armes Wort.

Wenn ſie alle ihn nicht mehr zu ſich zählten, nun,
—4 es doch, Malve mußte ja kommen! Sie
mußte!

O, was war alle Qual dieſer Monate gegen die
dieſer vergeblichen Erwartung! Und ſie ſteigerle ſich;
jeder dex Fußtritte, die in dem langen Gange daher-
kamen, ſchritt vorüber an ſeiner Zelle.

Großer Gott, was war volgegangen? Warum
kam Malve nicht? Hatte ſie ihrem Onkel oder ſeinen
Eltern die Wahrheit bekannt? Aber wenn dann auch
Farve die Schwäche haben würde zu ſchweigen,
ſo wäre er doch herbeigeeilt, Sigurd zu ſehen,
zu tröſten, mit ihm zu leiden! Und die Sei-
nen? Was würden ſie im Falle von Malves
Bekenntnis thun? Frederik würde ſie ermor-
den! D, der mit ſeinem ſtrengen Rechtsſinn,
der könnte ihr nie vergeben, daͤß ſie die Chre
der Reſens in den Staub getreten. Aber der
Vater, die Mutter, die Schweſtern? Vielleicht
würden ſie alle ſchweigen, Malve war doch
immer eine der Ihrigen; aber ſie würden alle-
ſamt gekommen ſein in ſeine Zelle, ihn weinend
zu küſſen und ihm das Unglück tragen zu helfen.
Das alles konnte es nicht ſein! Aber was
war es denn? „Gott, ſei barmherzig, laß
mich nicht verzweifeln!“ — —

Auf den Boden lang ausgeſtreckt, das Ge-
ſicht zur Erde gewendet, ſterbend faſt, ein grau-
haariger Mann, ſo fanden ſie ihn, als man
lam, ihm anzukündigen, er ſolle nach dem
Zellengefängnis bei Taaſtrup gebracht werden,
wo er ſeine Strafe abbüßen mußte.

Ganz erſchrocken ſtarrten die Wärter auf
ihn, als er hinausgeführt wurde, und zum
erſtenmal wieder das volle Tageslicht auf ihn
fiel. Dieſer Mann, deſſen dichtes, ſchwarzes
Haar wie mit Reif befallen ſchien, war der ihr
Gefangener, der vornehme, junge, ſchwarzlockige
Herr, den man ihnen eingeliefert haͤtte?

Elftes Kapitel.

Auf der Landungsbrücke hatte es ein außer-
ordentliches Gedränge gegeben. Als jeder glaubte,
der Dampfer werde jetzt ſofort ſich in Be-
wegung ſetzen, kam eine Droſchke angefahren,
aus der zwei junge Männer und ein alter
ſtiegen, vornehme Leute ohne Zweifel. Alle
drei ſahen blaß und ſehr ernſt aus; der eine
 
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