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Heft 22.










Lieben und Schweigen.

Roman von L. Haidheim.

(Forffekung.)
7 Nachdruck verboten)

in Führer in Uniform übergab Frederik
uͤnd ſeine Begleiterinnen dem anderen,
immer wieder thaten ſich endloſe neue
Gänge vor ihnen auf, ſoviel ſie auch
22 bereils durchwandert hatten, neue Höfe
— und wieder andere hoͤhe Gebäude.

Welch troſtloſer Aufenthalt hier!

Wie danke ich Ihnen, Klariſſa, daß, Sie aus
eigenem Antriebe zu ihm gehen wollten!“ flüſterte
Frederik ihr zu.

Ein Schauͤder ſchüttelte ihn Sind Frauen in ſolchen
Momenten ſtärker als Männer? Sie ſah ruhig, ja neu-
gierig umher; drückte ihm aber gefühlvoll die Hand.

„Ach, Frederik, wie ganz anders fühlt man dies
alles, menn es uns ſelber angeht! flüſterte ſie dann.

Auf Lia achteten ſie wenig, haͤtten ſie doch
genug zu thun an den eigenen ſchweren Gedanken.

Endlich that ſich vor ihnen die große Flügel-
thür des Gefängnisſpitals auf und ſie traten in
einen hohen weilen Gang; offene Fenſter ließen den
Seewind herein, die kühle, friſche Luſt hiex that
ihnen wohl. Ueberall roch es nach Karbol und
ähnlichen Desinfektionsmitteln.

Man führte ſie in eine Separatzelle.

Da lag, ſich unruhig hin und her bewegend
und allerlei abgeriſſene Sätze murmelnd, Sigurd
v. Reſen.

Welches Leidensbild!

„Wenn er nur einmal zu Ruhe komwen
könite!“ ſagte die Krankenwärterin. „Aber Tag
und Nacht quält er ſich ſo mit angſtvollem Suchen
nach ſeinem Doppelgänger. Er meint, nun müſſe
er den Doppelgaͤnger ſuchen, denn der ſei gemeint,
nicht er, das ſei nur eine Verwechslung.“

„Und wie nennt der Chefarzt die Krankheit?“
fragie Klariſſa. ; ; ;

„Ich hörie es nicht, gnädige Frau! Wir haben
uns nur um unſere Pflicht zu kümmern. Die Aſſi-
ſtenzärzte redeten hHeute früh von „einer ſeltenen
Komplikation“

„Und denkt man, er werde es überſtehen?“
fragte ſie weiter, mit dem ſtechenden Blick, den
ihre Augen öfter annahmen.
Die Wärterin zuckte die Achſeln.! „Er iſt ſehr,
ſehr krank, mehr noch an der Seele als körperlich,“
lautete die gelaͤſſene Antwort.

Frederik war ganz außer ſtande, auch nur ein

ort zu ſagen. Seine Lippen zitterten, in ſeinem
Geſicht zuckle es wie im Kranipf, ihm war, als











„Bleibe, wir holen dich hier ab!“ ſagte die Gräfin
zu Lia. Sie war froh, Frederik einmal allein zu haben.

Still ſetzte ſich das junge Ding, das eben erſt einen
geliebten Vaͤter ſterben geſehen, auf den hölzernen Stuhl
am Bett und blickte traurig auf den Kranken, den es
vor wenigen Wochen noch im vollen Glück, heiter und ſorg-
los mit der ſchönen, jungen Gattin zuſammen geſehen.

„Er ſoll ein ſehr vornehmer Herr ſein?“ fragte
neugierig die Wärterin.

Lia nickte. „Er iſt gewiß unſchuldig! Er war all-
8* beliebt und — ſo glücklich mit ſeiner jungen

rau.“ ;

„Ja, das Glück iſt wandelbar!“ ſagte die Pflegexin.
Dann fragte ſie Lia nach ihrem Namen und nach dem
ihrer Begleiterin, und als ſie hörte, die beiden Damen
ſeien Verwandte des Präſidenten Ahrenkiel, da ſank
ſie faſt in die Erde vor Ehrfurcht. Solche mächtige

„Geben Sie mir ein Glas Waſſer!“ bat Lia.

Ach, mit tauſend Freuden, und ganz friſches.“
Damit lief die Wärterin fort.

Unterdes hatte der Kranke, immerfort murmelnd,
nach wie vor ſich unruhig hin und her geworfen.




Tiſchchen neben ihm ſtand. Er trank gierig, dann ſank
er wieder in die Kiſſen, immer ſie anſehend. „Malve!
Malve!“ ſagte er mit einem unendlich friedvolleren
Ausdruck. Malve iſt hier! Dann plötzlich ſtreckte er
die Hände aus, nach ihr greifend, als wolle er ſie um-
armen. „Ich verrate dich nicht! Sei ohne Furcht!
Cr — er hat e8 gethan — der Doppelgänger!“ flüſterte
er heiſer. ;

Sie war entſetzt zurückgewichen.

Da trat die Waͤrterin wieder ein. Sie trug, außer
dem Glas Waſſer für Lia, auch eine Flaſche voll für
den Kranken und gab ihm ſofort dapon, beruhigte ihn
und fragte dazwiſchen Lia, ob ſie ſich geängſtel habe,
denn der Kranke wiederholte ſein Rufen nach Malve.

„Nicht ſo ſehr! Mein armer Papa fieberte auch oft
und ſprach irre. Und ich finde es ſo natürlich, daß er
ſich nach ſeiner Frau ſehnt.!

Die Wärterin machte Sigurd jetzt eine Kompreſſe
auf die Stirn.

„Ah, Malve, mein Liebling, weine nicht, ich ver-
rate es nicht, daß du es thateſt!“ ſagte er jetzt wieder.

„Was er nur meinen mag?“ flüſterte Lia.

Ach, gnädiges Fräulein, das ſind nur Fieberreden,

dakauf muß man gar nichts geben!“ erwiderte
tröſtend die Wärterin. Dennoch erſtaunte ſie, als







General Luigi Felloux, italieniſcher Ainiſterpraſident.
— (S. 528)

Lia, ihre Begleiter draußen hörend, hoch auf-
atmend zur Thür ſchlüpfte, waͤhrend der Kranfe
nun plößlich angſtvoͤll xief: „Malve, geh nicht
fort, verlaſſe mich nicht! — Malve! Malve!“
Dann aber ſank er ſchon wieder in die Nacht
der Betäubung zurück und lag nun da, wie tot.

„So lebhaft iſt er noch nie geweſen,“ erzählte
die Pflegerin dann den Wiedereintretenden „Er
hat daͤs gnädige Fräulein für ſeine Frau gehalten
und immer: „Malve, Malve!“ gerufen.“

Frederik beugte ſich ſtumm über den Bruder,
den er nach der Meinung des Stationsarztes
lebend wohl nicht wieder ſehen würde.

Ein unendlich herber Schmerzensausdruck lag
in ſeinen Zügen. „Wärſt du mir gefolgt, armer
Sigurd!“ ſagte er leiſe.

Und dann ging er mit den beiden Damen
hinaus.

Die Gräfin ſah außerordentlich befriedigt aus.
Sie wußte ſelbſt wohl nicht, wie wenig ſie ihre
Züge in dieſem Augenblick verſtellte; um Fredexiks
Willen, der es nicht ſah, wäre es auch nicht noͤtig
geweſen. Aber Lid v. Gellsberg entging ihre Zu:
friedenheit nicht; ſie fiel ihr um ſo mehr auf, als
doch Klariſſa vorhin ſo mitleidig that.

In dem Hofe verabſchiedete ſich der Kapitän
von den Damen.

Sie begreifen, daß ich ſo ſchnell wie möglich
heimkehre. Meine Eltern und meine Frau er-
warten mich in banger Sehnſucht,“ ſagte er, ſich
auf Klariſſas Hand beugend.





ob er laͤut ſchreien ſolle vor unendlicher, mitleid-
voller Pein.

„Laſſen Sie uns den Stationsarzt fragen, Frederik!“
forderte Klariffa ihn mit fanfter, herzlicher Stimme auf.
Err folgte ihr mechaniſch. Aile moraliſche Kraft war
ihm abhaͤnden gekommen bei Sigurds Anblick.

Plötzlich ſchlug er die Augen auf und ſtarrte Lia
an. Sie erſchrak heftig, ſein Blick war ſo fremd und
wild. Aber wie ſie bei ihrem Vater gethan, bot ſie
ihm das Glas mit dem kühlenden Trank, das auf dem

Klariſſa befahl dem Kutſcher, nach der Langen
Linie“ zu fahren. Die Promenade war jetzt bedeckt
mit eleganten Equipagen, in welchen die ſchöne
Welt Kopenhagens die unerläßliche Abendſpazierfahrt
machte! Alte und junge Damen in modernſtem Putz,
die Hüte mit ganzen Büſchen der koſtbarſten Strauß-
federn geſchmückt, reizende, engelhaft ausſehende Kinder
 
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