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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 40.1905

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Heft 21
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Heft ri. Illustrierte Farnilien-Deitung. Z°iirg. ms


rüstungsschrei und
mußte daran denken,
wie sie auch Stunden
gehabt, da es ihr nicht
so selbstverständlich er-
schien, die Werbung
eines gütigen, ehrlichen
Mannes abzulehnen,
da die Vergangenheit
wie ein dunkler Schat-
ten hinter ihr gestan-
den und sie sehnsüchtig
die Arme nach einem
lichten, warmen, neuen
Leben hatte breiten
lassen.
Da klang in ihr
Sinnen wieder der
Tante Stimme: „Dein
Ernst ist das doch nicht,
Liane! Einen halben
Millionär, den tut ein
Mädchen doch nicht ab,
als wenn's der erste
beste Hans Habenichts
wäre."
Der Erste Beste!
Einen Schein blas-
ser wurden Lianens
Wangen. „Auch dann
nicht, wenn sie ihn
nicht liebt, Tante Ma-
thilde?"
Die aber stieß är-
gerlich hervor: „Ach
was — Liebe! Ihr
unvernünftigen jungen
Menschen wißt ja sel-
bernicht, was ihreigent-
lich darunter versteht!
Liebe nenne ich, wenn
ein reicher Mann nm
ein armes Mädchen


Vas neue tlustizgebäucle ln München. (8. 4öy
Nach einer Photographte von c«. Slusslcr, Hofkunflhcmdlung tn München.

Die Srste Geste.
Römern von tfiectwig Srlin-Schmeckebier.
(Fortsetzung und Schluß.)

(Nachdruck verboten.)
on der Gartenbank, darauf Liane und
Frau Doktor Föhrenbach Platz genom-
men, sprang die letztere auf, so rasch
wie ihr das Helle Freudenrot in das
Gesicht schoß. „Liane, du hast doch
nicht etwa —"
„Ich habe, Tante! Habe nein sagen müssen,
so weh es mir auch tat."
„I da schlag doch einer lang hin! Solch einen
reichen und doch gewiß auch guten Mann, den hast
du dir verscherzen können!"
Liane mußte lächeln
über der Tante Ent-


freit, das ist die wahre Liebe! Und wahre Liebe er-
weckt Gegenliebe!"
Liane antwortete nichts und wandte den Kopf
zur Seite. Es war das letzte Mal, daß sie mit
Frau Mathilde von der Liebe gesprochen hatte.
Sie ging in ihr Stübchen hinauf, saß lange und
lauschte in sich hinein, nahm plötzlich Feder und
Papier und schrieb au Robert Warnebrook. Nur
wenige Zeilen, unter denen ihre Augen sich feuchte-
ten. Sie würde ihm wehtun mit diesen Worten,
aber den Freund, das wußte sie, den würde sie
darum nicht verlieren.
Als sie den Brief geendet, stand sie auf und trat
an das Fenster. Noch einmal wollten ihre Blicke
des alten Weges gehen und wieder schob es sich
hemmend zwischen ihr Ziel — Frau Juttas totes,
verlassenes weißes Haus.
Wie von Geisterfittichen berührt, wandte sich
Liane und schlug beide Hände vor das Gesicht.

Fran Jutta, die du über Menschenseelen ge-
herrscht, zwingst du auch diese, noch über den Tod
hinaus, daß sie dich nicht hassen kann, daß sie in
bebender Erschütterung steht vor deines Schicksals
grausigem Ende?

Dreißigstes ltapitel.

Der Meistbietende für Moorheide war gefunden
und übermorgen sollte das Gut in andere Hände
übergehen Jeder wußte es in Lindeustedt — auch
Liane. Sie sprach kein Wort darüber, fragte nichts.
Daß Detlef Palmer längst schon fort war, irgendwo
in der Fremde draußen, das wußte sie. Wonach hätte
sie sonst noch fragen sollen? Aber ihre Augen
gingen oftmals verlorenen Ausdrucks in die Weite.
Und das Miezelchen, die es sich ausbedungen hatte,
ihr am Nachmittag die Treibhäuser mit ihren herr-
lichen Orchideen zu zeigen, sand zu ihrem .Kummer
nur geringes Interesse
für die blühende Pracht.
Da lächelte Liane
und streckte der Kleinen,
die sie mit vorwurfs-
vollen Augen ansah,
warm die Hand ent-
gegen. „Ein andermal
werden Sie mich auf-
merksamer finden, Mie-
zelchen. Heute hab' ich
ein wenig Kopfweh."
Hand in Hand wa-
ren sie bis zum offenen
Gartengitter geschrit-
ten. Noch einmal nickte
Liane dem Goldköpf-
chen zu und wollte sich
zum Gehen wenden.
Doch sie wurde zurück-
gehalten. Von der
Straße bog ein kiesbe-
ladener Wagen in den
Garten herein und Va-
ter Dankwart kam her-
zu, dem Knecht die
Weisung zu geben, wo
er abzuladen habe.
Lianens Blick aber
war plötzlich groß und
starr geworden und
haftete an dem Pferde,
das müde, mit gesenktem
Kopf den Wagen zog.
Das Pferd — den
Rappen mit den un-
trüglichen Kennzeichen,
den weißen Hinterfüßen
und dem talergroßen
Hellen Fleck über dem
linken Auge — das
kannte sie.
Langsam trat sie
dicht an das Tier heran,
als Dankwart warnend

XXI. ISOS.
 
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