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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 48.1913

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Heft 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.47352#0056
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48 —
als zwei Stunden vergangen, und wir befanden
uns noch mitten in unserer Besprechung, als das
Klingelzeichen des Fernsprechers ertönte. Mein
Chef nahm das Hörrohr, um sich zu melden, und ich
sah, wie seine Züge gleich darauf von neuem einen
Ausdruck höchsten Erstaunens annahmen.
„Gewiß, Herr Eckardt," sprach er in den Apparat.
„Da Herr Richardson zufällig hier ist, kann Ihr
Wunsch sofort erfüllt werden. Ich werde ihn er-
suchen, sich nach Möglichkeit zu beeilen."
Er klingelte ab und wandte sich an mich: „Die
Sache scheint eine tragische Wendung zu nehmeu.
Rudolf Eckardt teilt mir iu großer Aufregung mit,
daß sein Bruder an einem neuen Anfall seines
Herzleidens sehr schwer erkrankt sei und sich augen-
blicklich in höchster Lebensgefahr befinde. Er wurde
von dem Anfall betroffen, während er sich an dem
Fernsprecher in seiner Privatwohnung mit jemand
unterhielt. Daß dieser Jemand kein anderer als
Herr Paul Hilgers gewesen ist, geht schon daraus
hervor, daß der Kranke den dringenden Wunsch
ausgesprochen hat, Sie sofort bei sich zu sehen.
Wahrscheinlich will er sich in persönlicher Verhand-
lung Ihres Schweigens versichern. Gehen Sie also
hin und erklären Sie ihm, daß mein Bericht in
eingeschriebenem Briefe an die Firma Karl Ludwig
Eckardt gesandt werden wird. Sollte er dann eine
Möglichkeit finden, ihn aufzufangen, bevor er in die
Hände seines Bruders gelangt, so haben wir uns
keinen Vorwurf zu machen."
Diese Auffassung meines Chefs wollte mir zwar
wenig zusagen, aber als sein bezahlter Beamter
hatte ich mich ihr natürlich zu fügen. Daß ich mich
nicht über die Maßen beeilte, dem Rufe des ehren-
werten Herrn Ludwig Eckardt Folge zu leisten,
wird man mir indessen kaum verübeln können.
Eine halbe Stunde später erst betrat ich das alte
Geschäftshaus, und schon aus dem Munde des ersten
Menschen, der mir entgegenkam, mußte ich erfahren,
daß Ludwig Eckardt auf dieser Erde für niemand
mehr zu sprechen sei. Vor ungefähr zehn Minuten
hatte er infolge eines Herzschlages seinen letzten
Atemzug getan. Sein Bruder ließ mir sagen, daß
er mich zu seinem Bedauern in diesem Augenblick
nicht empfangen könne, und es war mir so am liebsten.
Denn ich hätte es doch als eine sehr peinliche Auf-
gabe empfunden, als Ankläger gegen einen Menschen
auftreten zu müssen, der soeben erst seine Augen
zum ewigen Schlummer geschlossen.-
Am nächsten Tage erst, nachdem er den schrift-
lichen Bericht meines Chefs empfangen, hatte ich
eine lange Unterredung mit dem jungen Eckardt,
der von der unerwarteten Enthüllung völlig ge-
brochen war. Er schien sogar sehr geneigt, ihre
Richtigkeit noch immer zu bezweifeln, und erst,
als sich auf die durch euren Rechtsanwalt über-
mittelte Aufforderung hin Herr Paul Hilgers irr
seinem Kontor einfand, um bereitwillig alle von ihm
verlangten Aufklärungen zu geben, mußte er sich
wohl entschließen, an die tückische Hinterlist seines
Bruders zu glauben.
Es ergab sich, daß die Firma Paul Hilgers eine
Gründung des Herrn Ludwig Eckardt war und daß
es sich dabei um ein lange vor der Entlassung des
früheren Prokuristen mit ihm abgekartetes Spiel
gehandelt hatte. Er war auch als vermeintlicher
Chef der neuen Firma nur ein Strohmann, ein
monatlich bezahlter Angestellter Ludwig Eckarts
geblieben. Dieser aber hatte alle seine kaufmännische
Tüchtigkeit daran gesetzt, das Konkurrenzgeschäft auf
Kosten des Hauses Karl Ludwig Eckardt in die
Höhe zu bringen. Seine reichen Mittel hatten ihm
gestattet, für diesen Zweck sehr erhebliche Summen
zu opfern, von denen er sicher sein durfte, daß sie
sich später zehnfach bezahlt machen würden. Er
wußte, daß sein Bruder vermögenslos wurde, so-
bald die Firma Karl Ludwig Eckardt in dem gegen-
wärtigen ungünstigen Augenblick liquidieren mußte.
Das sollte die Rache sein für die Abweisung, die
ihm von Gertie zuteil wurde.
Ihm selbst erwuchs aus seiner Hinterlist kein
Schaden, da er durch die günstigen Erfolge der
Firma Paul Hilgers für die auf der anderen Seite
erlittenen Verluste hinlänglich gedeckt war, und
selbst wenn er sich später öffentlich an dein neuen
Hause beteiligt hätte, würde mau in der kauf-
männischen Welt schwerlich hinter das abscheuliche
Spiel gekommen sein, das nun durch seinen jähen
Tod durchkreuzt worden war. Da er ohne Hinter-
lassung eines Testaments gestorben war, wurde
Rudolf Eckardt der Erbe seines gesamten Nach-
lasses, und damit auch der Firma Paul Hilgers, die
selbstverständlich alsbald nut dem Hause Karl Lud-
wig Eckardt verschmolzen wurde. Ich erhielt eure
sehr ansehnliche Belohnung, und ich hatte keinen
Grund, dem verstorbenen Ludwig Eckardt dafür zu
zürnen, daß er in übergroßer Schlauheit einen
Detektiv bestellt hatte, von dem er nach seiner

i Vas buch fül- Mle -
Überzeugung nichts zu fürchten brauchte, und durch
dessen Berufung er vielmehr jeden Schatten eines
Verdachts von sich abzuwenden glaubte.
6idt C5
übersinnliche Doppelgänger?
von Ih. o. wittomdergk.
(Nachdruck oerdolsn.)
geheimnisvollste Gebiet des Okkultis-
WMk! mus ist das Kapitel der übersinnlichen
WW/V Doppelgänger, das heißt die Beobachtung
von geisterhaften Wesen, die anderen
Personen gleichen, an Orten aüftreten, die weit
von diesen entfernt sind, und dort bestimmte
Verrichtungen ausführen. Die Spiritisten, und
zwar auch die von wissenschaftlicher Durchbildung,
halten die Existenz solcher Doppelgänger auf Grund
ihrer Erfahrungen für durchaus möglich, da sie das
Herausgehen einer zweiten geisterhaften Person
aus dem Medium wiederholt wahrgenommen haben
wollen.
So sind de Rocha und mit ihm Maxwell der
Meinung, daß sie an Medien außerhalb ihres Körpers
eine Empfindungsschicht von drei bis vier Zenti-
meter Stärke, die den Umrissen des Körpers des
Mediums entsprach, feststellen konnten. An dem
Medium Eusapia fand de Rocha, daß sie Nadelstiche
in einer Entfernung von drei Zentimeter vom Ober-
arm und von etwa fünf Zentimeter vom Hand-
rücken fühlte. Auch Durville behauptet, beobachtet
zu haben, wie sich bei seinen Experimenten um das
Medium in einer Entfernung von einem halben
Meter eine Art Doppelwesen bildete, das das Aus-
sehen der Versuchsperson hatte und in einem milden
Schimmer erglänzte. Crookes berichtet, wie ihm
das Doppelwesen der Frau Fay, die aus einem Stuhl
in Trance saß und an ihm festgebunden war, aus
einer Entfernung von zweieinhalb Meter ein Buch
reichte. Ferner sah Fergusson die Hände und Arme
der Medien Davenport, während sich diese in
Trance befanden, über zwei Meter von ihrem eigent-
lichen Platz entfernt. Diese geisterhaften Doppel-
gänger der Medien können sich nach den Versiche-
rungen der spiritistischen Gewährsmänner auch vou
den Medien entfernen, durch stoffliche Hindernisse
hindurchgehen, an Gegenstände klopfen und Türen
öffnen.
Ein Beispiel hierfür teilt Meld mit. Der Magneti-
seur Lewis wurde, als er im hypnotischen Schlaf
lag, aufgefordert, in das Haus des Hypnotiseurs
zu gehen und dort zwei Frauen an der Schulter
zu berühren. Man sandte einen Boten in das Haus
des Hypnotiseurs. Dort war man aufs äußerste
erregt, weil ein Gespenst, der angebliche Doppel-
gänger von Lewis, mitten am Tage eine Frau
in der Küche an die Schulter gefaßt hatte. Von
einem noch wunderbareren Vorkommnis berichtet
Joire. Bekanntlich können sich auch die Zauberer
der Naturvölker unter allerlei mystischen Vornahmen
in den Trancezustand versetzen. Einem Missionar
nun erklärte eines Tages Uzzema Usago, der Haupt-
zauberer des Jadikowstammes in Afrika, er werde
sich nach der Mnwgebene begeben. Sie war von
dem Wohnort des Zauberers vier Tagereisen ent-
fernt. Der Zauberer versprach dem Missionar, er
werde dort im Dorf Ueskon den Freund des Mis-
sionars, einen Herrn Esaba, aufsuchen und ihm
bestellen, daß er dem Missionar einige Patronen
schicken solle. In Gegenwart des Missionars zündete
Uzzema ein Feuer aus aromatischem Holz an, ent-
kleidete sich, schmückte sich mit seinen Fetischen
und sang langsam ein Lied, in dem er die Geister
der Wälder anrief. Darauf salbte er sich mit einer
klebrigen Flüssigkeit, streckte sich auf seinem Lager
aus und verfiel in einen kataleptischen Schlaf.
Die Atmung war nur schwach, und als die Augen-
lider hochgezogen wurden, veränderten sich die
Augen nicht auf den sie treffenden Lichtschein hin.
Am Morgen kam Uzzema unter krampfartigen
Bewegungen wieder zu sich. Er behauptete, bei
Herrn Esaba gewesen zu sein und die Bestellung
ausgerichtet zu haben. Wirklich schickte auch der
Freund des Missionars nach drei Tagen Patronen.
Er ließ sagen, daß der Zauberer an jenem Abend
um neun Uhr bei ihm angeklopft und in der halb-
geöffneten Tür um die Zusendung von Patronen
gebeten habe.
Aber nicht nur im Trancezustand, sondern auch
anderweitig soll das Doppelgängertum Vorkommen.
Über die Wahrnehmung eines Doppelgängers im
Schlaf macht Hyslop folgende Mitteilung. Ein
Doktor S. befand sich in: Jahre 1907 in Buffalo.
Um ein Uhr nachts erwachte er aus tiefem Schlaf
mit der Vorstellung, daß in seinem Zimmer eine
Person anwesend sei. Als er sich ermuntert hatte,

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sah er seine Frau im Hauskleide am Fußende
seines Bettes stehen. Er fragte sie: „Was willst
du hier?" und erhielt die Antwort: „Ich will sehen,
wie es dir geht." Darauf schritt sie auf ihn zu, um-
armte ihn und verschwand.
Als Doktor S. nach seiner Behausung in New
Pork zurückgekehrt war, fiel es ihm auf, daß sich
seine Frau sehr dafür interessierte, ob er an einem
bestimmten Tag gut geschlafen habe. Auf sein
Befragen erklärte sie ihm zuletzt, daß sie ein Werk
von Hudson, „Die Gesetze der psychischen Erschei-
nungen", gelesen habe. In dem Buch habe sie die
Bemerkung gefunden, daß wenn jemand beim Ein-
schlafen seine Gedanken scharf auf eine andere
Person richte und ihr zu erscheinen wünsche, dies
auch wirklich geschehe. Sie habe nun beim Ein-
schlafen an dem betreffenden Abend nach dieser
Anleitung Verfahren, indem sie nur an ihn, ihren
Mann, gedacht habe nut dem ganzen Bestreben,
ihm zu erscheinen.
Endlich sei noch ein Fall von Doppelgängertum
angeführt, den Aksakoff berichtet, und in dem das
Doppelwesen im Wachen von einer großen Anzahl
von Personen wahrgenommen wurde. Im Jahre
1845 war in einer Mädchenpension in Livland
die junge Französin Emilie Sagse als Lehrerin
angestellt. Schon einige Wochen nach ihrem Ein-
tritt in die Pension tauchte unter den dreizehn
Schülerinnen das Gerücht auf, daß man sie an
verschiedenen Orten gleichzeitig gesehen habe. Eines
Tages aber sahen die Schülerinnen ihre Lehrerin
auch während des Unterrichtes doppelt. Die eine
Gestalt schrieb an der Tafel an, und die zweite
ahmte diese Bewegungen nach. An einem anderen
Tag waren die Mädchen im Zimmer mit Sticken
beschäftigt. Sie bemerkten, wie ihre Lehrerin im
Garten Blumen pflückte, plötzlich aber sahen sie
ihre Doppelgängerin in einem Lehnstuhl des Zim-
mers sitzen. Zwei Mädchen näherten sich dem Lehn-
stuhl. Sie hatten das Gefühl, als ob der Körper
der Doppelgängerin eine gasförmige Beschaffen-
heit habe. Allmählich verschwand die Erscheinung.
Fräulein Sagse erklärte nachher, daß sie während
ihres Aufenthaltes im Garten an den Stuhl gedacht
habe, auf dem sie zu sitzen pflegte, und besorgt
gewesen sei, daß die Mädchen in ihrer Abwesenheit
lärmen würden. Noch eineinhalb Jahr lang wieder-
holten sich die Erscheinungen, so daß man die
Lehrerin entlassen mußte. Bei ihrem Weggange
sagte sie: „Das ist das neunzehnte Mal, daß mir
wegen eben dieser Sache gekündigt worden ist."
Machen nun alle diese Bekundungen die Existenz
übersinnlicher Doppelgänger wirklich glaubhaft?
Es ist offenbar, daß man erst dann gezwungen ist,
die Richtigkeit der angeführten Wahrnehmungen
anzuerkennen, wenn sie sich auf keine andere Weise
erklären lassen. Betrachten wir zu diesem Zweck
die einzelnen Fälle nüchtern und kühl!
Es steht fest, daß auch gebildete Spiritisten,
die den Spiritismus als Wissenschaft betrieben,
von ihren Medien oft betrogen worden sind. Ferner
ist es bekannt, daß Medien, die später als Betrüger
entlarvt wurden, nachgewiesenermaßen mit Hilfe
ihrer Manager, die stets den Sitzungen beiwohnen,
dieselben anscheinend übersinnlichen Darbietungen
zum besten gaben wie die von wissenschaftlichen
Männern untersuchten Medien. Schon hierdurch
wird die Glaubwürdigkeit der Befunde an Medien,
die man in ihrer Laufbahn eines Betruges nicht
überführte, erheblich erschüttert. Denn eine solche
Entlarvung hängt bei der Verschlagenheit der
Medien von vielen Zufälligkeiten ab. Es kommt aber
noch hinzu, daß die Medien beim Nichtgelingen
eines Experimentes stets die Ausrede anwenden,
sie seien im Trancezustand durch störende Einflüsse
beunruhigt worden, so daß sie ihre übersinnliche
Kraft nicht voll entfalten konnten. Infolgedessen
werden auch bei wissenschaftlichen Sitzungen nur
die zutreffenden Vorkommnisse vermerkt, während
die Experimente, wie beispielsweise das entfernte
Wahrnehmen von Stichen, bei denen die Kraft des
Mediums versagt, unbeachtet bleiben. Das Dar-
reichen eines Buches aber, von dem Crookes spricht,
ist bei der herrschenden Dunkelheit in den Sitzungen
für einen Helfershelfer eine Kleinigkeit.
Bei dem Fall Lewis muß man sich vergegen-
wärtigen, daß das Medium selbst ein Hypnotiseur
war. Es ist darum mit Sicherheit anzunehmen,
daß auch seine Familienangehörigen seine mystischen
Ansichten teilten und darum geneigt waren, körper-
liche Empfindungen wie ein zufälliges Druckgefühl
auf der Schulter sofort in das Gebiet des Übersinn-
lichen zu verlegen und es sich, sobald der Bote
mit der Anfrage zu ihueu gelaugte, in ihrer Reiz-
barkeit als geisterhafte Einwirkung zu deuten.
Auffälligerweise berührte der Doppelgänger außer-
dem nur eine und nicht, wie es verlangt worden war,
zwei Frauen an der Schulter.
 
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