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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 53.1918

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Heft 26
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https://doi.org/10.11588/diglit.45266#0596
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Heft 26

erklärte uns, es sei dies die große Palavertrommel, deren Ton man nur bei
besonderen Gelegenheiten zu hören bekäme.
Der Schall kleiner Trommeln näherte sich. Eine Schar Reiter kam uns
entgegen; als sie uns sahen, stiegen sie von den Pferden. Allen voran gewahrten
wir eine hohe Gestalt mit Pumphosen, darüber ein weißes Hemd mit grünen
Stickereien, auf dem Haupt einen Strohhut mit Riesenkrempe, an den Füßen
Sandalen, an den bloßen Knöcheln ein Paar klirrende Anschnallsporen. Vor
uns angelangt, zog der Riese seinen Hut, unter dem ein weißer Turban sicht-
bar wurde, und stellte sich vor: „Njon Njoja." Mein Mann nannte seinen
Namen und führte ihn zu mir: „Meine Frau." Der Riese verbeugte sich bis
zur Erde. Er versicherte uns, er sei immer ein Freund der Weißen gewesen
und freue sich, uns in seiner Residenz begrüßen zu können; von unserem Kommen
sei er schon vor einigen Tagen durch Trommelzeichen benachrichtigt worden
und habe uns daher seinen zuverlässigsten Anführer entgegengeschickt. Njoja
begleitete uns nach dem Unterkunftshause für Europäer, das wir nach Kame-
runer Begriffen wohnlich eingerichtet, vor allem sehr kühl fanden. Für mich
war ein besonderes Zimmer bereit; eine Ziege, einige Hühner und eine große
Kalabasse Palmwein standen mir zur Verfügung, für meinen Mann ein
Zimmer, Soldaten und Träger, einige Schweine, Mais, Erdnüsse, Süßkartoffeln
und als größter Leckerbissen Palmöl.
Nachdem wir geruht, uns körperlich erfrischt und gegessen hatten, begaben
wir uns nach Njojas Palast, um dem Herrscher unsere Aufwartung zu machen.
Als Geschenk trug unser Diener eine Flasche „Burgeff Grün" hinter uns her.
Man hatte uns gesagt, daß Njoja Sekt besonders liebe. Der Palast war aus
Stangen und Rippen von Palmblättern zusammengebunden, die Wände
mit Lehm verschmiert, ein mächtiges Strohdach deckte diese Anlage, die im
Grundriß ein Rechteck von hundert zu sechzig Meter Seitenlänge bildete.
Vor dem Eingang stand die große Palavertrommel. Man führte uns durch
verschiedene Gänge und Höfe. Vor einer Halle sagte man uns, der Häupt-
ling würde gleich kommen, er sei gerade beim Unterricht. Njoja erdachte sich
eine eigene Schriftsprache, die er seinen Untertanen persönlich beibringt. Wir
betrachteten die Ausstattung der Räume. In der Halle stand ein Thronsessel,
aus Perlen gestickt; als die schwarze Majestät erschien, lud sie uns ein, auf dem
Thron Platz zu nehmen. Von hier aus sahen wir an der gegenüberliegenden
Wand ein Öldruckbild, auf dem die kaiserliche Familie dargestellt war. Einen
weiteren Schmuck bildeten Nashorn-, Flußpferd-, Büffel- und Leoparden-
schädel; unter prächtigen Fellen gewahrten wir eine Offizierschärpe, einer:
Küraß mit Pallasch und andere schöne Dinge. Inzwischen wurde ein Tisch
gedeckt. Njoja setzte sich auf einen Stuhl daneben, und bei einem Becher Palm-
wein erzählte er uns vom Tode seines Vaters, von dem Vorteil, den er für sein
Reich von dem Bau der Kameruner Nordbahn erwarte, zu der er viele Arbeiter
gestellt habe. Er erzählte, daß er ein Freund der Mission und nicht abgeneigt
sei, Christ zu werden, aber dann müßte er seine vierhundertfünfzig Weiber-
bis auf eine wegschicken! Das ginge nicht, denn die Macht eines Häuptlings
offenbare sich in seinem Reichtum an Frauen. Schickte er die Weiber fort,
dann würden ihm seine Untertanen nicht mehr gehorchen. Die Zahl seiner
Kinder konnten wir nicht genau erfahren. Sicher sei nur, der Stamm Njoja
würde vorläufig nicht aussterben. Zuletzt schrieb er noch einiges mit seinen
Schriftzeichen in das Notizbuch meines Mannes und führte uns dann in seinem
Palast umher.
Merkwürdig war die Unterbringung seiner vielen Frauen. Jede hauste
in einem eigenen Gemach von quadratischer Grundfläche mit vier bis fünf
Meter Bodenlange. Die Türen dieser Räume waren gerade so groß, daß man
hindurchschlüpfen konnte; sie sind die einzigen größeren Öffnungen, und so
herrschte ein Halb- oder Tiefdunkel, an das das Auge sich erst gewöhnen mußte.
In der Mitte stand der offene Herd; der Rauch zog durch Ritzen ab. Das Lager
war für unsere Begriffe sehr hart; der Hausrat hing sauber an den Wänden.
Allen Frauen konnten wir unseren Besuch nicht machen. Njoja sagte uns, wir
sollten unter allen Umständen seine Mutter besuchen; da sie aber nur vormittags
zu sprechen sei, werde er uns eine Audienz bei ihr erwirken. Diese Frau, mit
Namen „Nah", besitzt großen Einfluß auf Njoja und die Bevölkerung. Sie
lebt mit ihrem Hofstaat in einem großen, abgeschlossenen Teil des Palastes
und — trinkt gern Palmwein und Kognak.
Njoja führte uns noch nach dem Neubau seiner Schule und eines weiteren
Palastes. Die Mauern dieser Gebäude wurden aus Luftziegeln hergestellt;
als Bindemittel diente weicher Lehm. Die Kunststeine waren so groß, daß
je zwei Mann an einem tragen mußten. Auf die Bemerkung meines Mannes,
es sei unvorteilhaft, die Ziegel so groß zu machen, da sie unmöglich austrocknen
könnten, erwiderte Njoja lächelnd: „Er sei ein großer Häuptling, dem Tausende
von Bewaffneten gehorchten, da könne er sich auch große Ziegel leisten." Auf
unserem Weg zur Herberge kam uns eine Menge Eingeborener in wilder
Flucht entgegen. Einige Soldaten, die darunter waren, erklärten uns den
Grund: ein „Massa Kuhdoktor" — ein Regierungstierarzt — sei eingetroffen
und habe die Bevölkerung impfen wollen. Als schon alles versammelt gewesen
wäre, sei ein Bienenschwarm gekommen und hätte die Versammelten über-
fallen, da seien alle ausgerissen. Der „Kuhdoktor" hatte das Nachsehen.
Wir trösteten ihn und baten ihn zu Tisch.
Als ich mich abends anschickte, zur Ruhe zu gehen, fanden sich drei junge
schwarze Mädchen ein, die Njoja geschickt hatte, um mich zu bedienen. Ich dankte
für ihre Dienste mit dem Bemerken, daß für unsere Bedienung meines Mannes
Diener und meine Dienerin genügten.
Am folgenden Morgen meldete sich ein Soldat und führte uns zur Königin-
Mutter. Als wir ankamen, war sie noch nicht zu. sprechen; sie badete. Während

die „Nah" noch mit ihrer Toilette beschäftigt war, besahen wir uns ihr Gemach.
In einem hohen Raum, dessen Wände mit Palmrippen bekleidet waren, stand
als vornehmstes Möbel eine breite eiserne Bettstelle mit Patentmatratze, auf
der die schwarze Majestät zu ruhen pflegte. Einige Stühle aus Palmrippen,
zum Teil reich geschnitzt, vervollständigten die Einrichtung. Auch einen Mahagoni-
schaukelstuhl sahen wir, den ihr — wie wir später erfuhren — ein Kaufmann
für einen Elefantenzahn überlassen hatte. An der Wand hingen drei Liebhaber-
photographien, ihren Sohn darstellend: auf dem Thron, hoch zu Roß und bei
einem Gerichtstage. Als viertes Bild nahm den vornehmsten Platz ein ein buntes
Reklamebild einer Fabrik landwirtschaftlicher Maschinen aus Leipzig-Plagwitz.
Nach einer Viertelstunde erschien Nah. Sie mochte Mitte der Dreißig sein,
für eine Negerin ein hohes Alter, wenn man bedenkt, daß ein Negermädchen
schon mit zwölf Jahren als heiratsfähig gilt. In ihrem weißen Umhang mit
grüner Stickerei machte sie einen würdigen Eindruck. Vier Hofdamen begleiteten
sie. Sie waren prächtig tätowiert; die Arme und der Hals waren mit Dar-
stellungen von Krokodilen und Vögeln bedeckt. Goldene Perlenschnüre trugen
diese Frauen um den Hals. Den Kopf umhüllte ein Turban, ein blaues Linnen
den geschmeidigen, von keiner europäischen Kleidung mißgestalteten Körper.
Die zierlichen Füßchen steckten in rotledernen Sandalen.
Zuerst reichte Nah mir die Hand, dann meinem Mann. Die Hofdamen
folgten dem Beispiel der Königin. Die eine erregte unsere besondere Aufmerk-
samkeit. Sie war von hellerer Hauttönung als die anderen; bronzefarben war
ihre reine Gesichtsfarbe, die Nase war von vorne gesehen etwas breit, doch von
der Seite boten ihre Züge ein angenehmes Aussehen. Sie war weit her; Araber-
blut mochte in ihren Adern kreisen. Der umflorte Blick ihrer schwarzen, sinnen-
den Augen schien vergeblich zu spähen nach der Oase in der Sahara, wo einst
ihre Wiege gestanden. Wer weiß, wie sie hierhergekommen. Ich legte meine
Hand auf ihre Schulter. Da glänzte Freude aus den tiefschwarzen Augen,
und zwei Reihen elfenbeinweißer Zähne wurden sichtbar. Die Königin-Mutter
forderte uns auf, Platz zu nehmen, und die Hofdamen kauerten an der Wand.
Unser Führer machte den Dolmetscher. Es wurde eine mit süßem Palmwein
gefüllte Kalabasse gebracht, den wir aus Emailbechern tranken. Ich übergab
der Alten ein Fläschchen Kognak. Wir versicherten der schwarzen Majestät,-
eine Königin in Europa könne nicht schöner wohnen, vor allem sei kein europä-
ischer Hofstaat auch nur annähernd so geschmackvoll gekleidet wie der ihrige.
Als wir bald darauf gnädig entlassen wurden, begaben wir uns zur Schmiede,
in der ein Bruder der Nah mit seinen Gehilfen Waffen anfertigte; er nötigte
uns, sein Gehöft zu betreten. Wir nahmen in einer Halle Platz und bekamen
wieder Palmwein zu trinken. Mein Mann bot dem Wirt Zigarren an, dafür
schenkte er ihm eine sehr wertvolle Tabakpfeife, die schon lange bei ihm und
seinen Eltern in Gebrauch gewesen war. Als wir ihm dann noch zwei ganz neue,
blanke Fünfmarkstücke in die Hand legten, gab er mir noch ein selbstgefertigtes
Schwert. Weiter besuchten wir die Maismühle, in der gegen hundert Frauen
den Mais mit schweren Steinen zerquetschten. Eine harte Arbeit; aber vier-
hundertfünfzig Frauen wollen leben. Da kam ein Bote der Nah und brachte
uns eine Einladung zum Essen, und wir sagten zu. Da die Sonne schon hoch
stand, kletterten wir den Berg hinan zum Palast.
Die schwarze Majestät saß schon beim Mahle; vor ihr standen auf dem
Erdboden ein großer Topf mit rotem Brei und zwei Schüsseln mit Kartoffeln
und gekochten Maiskuchen. Die Königin steckte den rechten Zeigefinger in den
Brei und leckte ihn dann ab; als die Masse etwas abgekühlt war, griff sie mit
der ganzen Hand hinein. Zuerst leckte sie das rote Gemenge, das ihr durch die
Finger quoll, in anmutiger Weise ab, dann kam die Handfläche daran. Dieses
Verfahren hinterließ einige Spuren in ihrem sonst edlen Antlitz. Sie bot uns
Stühle an oder ließ sie vielmehr durch eine Hofdame unterschieben, und da
sie wußte, was sich schickt, bekamen wir Blechteller und Blechlöffel.
Ich kostete zuerst den Brei; er war aber so stark gepfeffert, daß mir die
Tränen in die Augen kamen, und ich versuchte, den Brand mit einen: Becher
Palmwein zu löschen. Kartoffeln und Mais schmeckten gut. Aber auch ihrer
Hofdamen gedachte die gute Königin; hin und wieder warf sie eine Kartoffel
oder einen Maiskolben den Mädchen zu, worüber sich jedesmal eine kleine
Balgerei entspann; die Gewandteste blieb Siegerin. Zuletzt reichte die schöne
Araberin geröstete Erdnüsse, die wie Mandeln schmeckten. Nach beendeter
Mahlzeit verabschiedeten wir uns mit der Versicherung, niemals appetitlicher,
reichlicher und besser gespeist zu haben.
Auf dem Marktplatz, den wir überschritten, um zu unserer Herberge zu
gelangen, war viel Volk versammelt. Unter persönlicher Leitung Njojas sollte
die gestern durch den Bienenschwarm so plötzlich unterbrochene Impfung vor
sich gehen. Njoja saß auf dem Thron mit Tabakpfeife und Mimbo. Wenn
der König trank, drehte sich alles; die Sitte fordert, daß kein Untertan sehen
darf, wie der mächtige Herrscher ein leibliches Bedürfnis befriedigt. Erst wenn
er an die Kalabasse klopfte, durften die Landeskinder wieder die alte Front
einnehmen. Wenn Njoja hustete oder spuckte, klatschte alles in die Hände. Wenn
er geruhte, einen seiner Getreuen anzureden, dann hörte dieser zu in gebückter
Haltung und mit vor dem Gesicht gefalteten Händen.
Am folgenden Morgen zogen wir weiter gegen Bonjo. Njoja begleitete
uns. Wir reichten uns beim Abschied die Hände. Da fragte er meinen Mann
etwas zögernd, womit er uns beleidigt habe. Er sei sehr betrübt. Schon am
ersten Abend hätte ich die drei von ihn: geschickten Mädchen fortgeschickt, und
gestern- abend wieder, und da wäre doch sogar seiner Mutter Lieblingsdienerin,
der ich die Hand auf die Schulter gelegt, dabei gewesen. Als darauf eine Ant-
wort erfolgte, die ihn zu befriedigen schien, trennten wir uns nach langen Ver-
sicherungen gegenseitiger Hochachtung und setzten unsere Reise fort.
 
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