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Heft 26

DasLuchfürAlls

Glieder einer Kette.
Roman von Viktor Hellinq.
(Fortsetzung.)
als Recking behielt das Bild in der Hand und deckte seinen
einen Handschuh darüber. Bei Eduard Molle angelangt,
sagte er wie beiläufig: „Ich hatte da eben eine gute Be¬
kannte zu begrüßen, wie Sie beobachten konnten. Die Dame würde
Ihnen gefallen haben."
„Das mag wohl sein, Herr Recking. Ich konnte sie der Entfernung
wegen aber nicht sehen."
„Ich will Ihnen wenigstens einen Blick auf ihr Bild gestatten,
das sie mir verehrt hat. Finden Sie nicht, daß das Mädchen recht
hübsch aussieht?"
Herr Molle nahm die Photographie in seine Hand und rief:
„Aber, Herr Recking! Das ist sie ja! Das ist doch die Frau Baronin!
Ja, wie kommt sie denn plötzlich hierher nach Friedenau?"
Der Detektiv lächelte. „Lieber Fritz, darüber sollen Sie sich
heute nicht mehr mit schweren Gedanken belasten. Es genügt mir,
daß Sie in dem Bilde sofort Frau van BreUch erkannten. An dieser
Feststellung lag mir sehr viel, obwohl ich meiner Sache schon so gut
wie sicher war. Mit Ihrer Beraubung im D-Zug war es also dies-
mal nichts."
„Um so besser, Herr Recking!" Damit gab der junge Mann das
Bild zurück. „Sagten Sie der Baronin, daß ich hier am Auto
wartete?"
„Warum nicht gar, mein Lieber! Das mit dem Bild war nur
eine Kriegslist. Die Dame, die Sie da vorn stehen sahen, war eine
andere als diejenige, welche Sie auf der Photographie erkannten."
„Nun verstehe ich überhaupt nichts mehr!" gestand Molle.
Der Detektiv klopfte ihm auf die Schulter. „Das Nähere er-
zähle ich Ihnen gelegentlich, wenn ich Ihnen noch eine kleine Be-
lohnung wegen Ihrer dankenswerten Hilfe einhändige. Für heute
brauche ich Sie nicht mehr. Genießen Sie Ihren Sonntag."
„Vielen Dank, Herr Recking! Gleichfalls!"
Eduard Molle sah dem Davonschreitenden kopfschüttelnd nach.
Allmählich dämmerte ihm, daß er nur Zum Zwecke eines notwendigen
Erkennungsdienstes mit hier herausgenommen war.

/T^me Minute blieb Ralf Recking auf dem Treppenabsatz stehen
^und überlegte. Dann war er mit sich einig, daß heute noch nicht
die Stunde gekommen sei, um dem heimgesuchten Mann da droben
die volle Wahrheit zu sagen. Gewichtige Gründe sprachen dagegen.
Noch blieben Fäden zu entwirren und Geheimnisse Zu entschleiern,
hinter die nur der ahnende Blick zu Schauen vermochte.
Deshalb beschränkte er sich fürs erste darerft, Herrn Bahr zu
wiederholen, was er schon vorher durch den Fernsprecher mügeteilt
hatte: „Ich habe eine sichere Spur und weiß, daß Ihr vermißter
Sohn am Leben ist. Fassen Sie sich in Geduld und lassen Sie mir
nur noch wenige Tage Zeit!"
Sie saßen sich in Heinrich Bahrs Herrenzimmer gegenüber, das
viel behaglicher eingerichtet war als der Salon. Eichene Möbel,
ledergepolsterte Armstühle und ein Perserteppich harmonierten an-
genehm mit der übrigen Einrichtung. Gute Stiche an den Wänden
straften das erste Urteil, daß in diesem Hause wenig Geschmack
herrsche, Lügen. Die Herbstsonne schien schräg durch das Blätter-
werk einer Balkonlaube und zog Helle Streifen über die Tischplatte.
Sie überhauchte auch das blasse Gesicht des Hausherrn mit einem
warmen Schimmer.
„Glauben Sie nicht, daß ich mich in Geheimnisse eindrängen
oder an alte Wunden rühren will, wenn ich Sie jetzt bitte, noch
einmal auf einiges zurüctzukommen, was Sie mir gestern nur an-
deutungsweise sagten," begann Ralf Recking. „Sie sprachen gestern —"
fuhr er fort und verbeugte sich dankend, als ihm der Hausherr eine
Kiste Zigarren herüberreichte, „Sie sprachen von einer Jugend-
freundin, der Ihre Gattin besonders zugetan gewesen sei. Wie
hieß diese Dame? Und hörten Sie wieder von ihr?"
„Ich entsinne mich nur ihres Mädchennamens genau: Suzanne
Vergöre. Sie hatte nach England geheiratet. Irre ich nicht, so hieß
ihr Gatte Rayler. Es war aber ein Doppelname. Rayler war ein
Teil davon. Meine Frau nannte ihre Freundin stets Suzanne,
wenn sie von ihr sprach, und um den Briefwechsel kümmerte ich mich
nicht. Damals beschäftigten mich ja auch andere Dinge viel mehr.


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Geschäftliche Sorgen, wie ich schon gestern andeutete. Ich war nicht
einmal in der Lage, diese Suzanne nach der Katastrophe mit der
,Thetis' zu benachrichtigen. Suzanne selbst war es, die mir später
einen herzzerreißenden Brief aus London schrieb, nachdem sie den
Namen meiner Frau unter den Opfern der ^Thetis' gelesen hatte."
„War es nicht auffallend, daß diese Suzanne Rayler nicht so-
fort telegraphisch anfragte, wo Ihre Frau bliebe?^
„Mir fiel es nicht auf. Auch gelangte die Nachricht von der
Erplosionskatastrophe ja noch am selben Tag nach England. Da
wird die Dame doch gewußt haben, was geschehen sein mußte. Sie
hatte meine Gattin in London auf dem Bahnhof abholen wollen,-
alles war bis ins kleinste geregelt. Ich nehme an, daß Suzanne
nach dem Unglück sofort nach Hoek van Holland telegraphiert und
das Entsetzliche erfahren hat; war doch meine Frau die erste, deren
Tod festgestellt werden konnte. Man fand am Kai ihr halbver-
branntes Oberkleid, Teile -ihres Schmuckes und ihren Mantel. Ich
erkannte, an Ort und Stelle gerufen, jeden dieser grausigen Über-
reste sofort."
Ralf Recking sah einem Rauchring nach. In Hoek van Holland,
kurz vor ihrer Überfahrt nach Harwich war vor zwei Jahren die
„Thetis" in die Lust geflogen; das war im Vorhafen geschehen,
als die letzten Güter empfangen wurden und der stattliche Dampfer,
der von Harwich seine Fahrt über den Ozean antreten sollte, zum
letztenmal auf dem Kontinent angelegt hatte. Kurz nach der Kata-
strophe war die Vermutung aufgetaucht, daß es sich um ein Attentat
auf das Schiff gehandelt hätte. Die unmittelbar daraufhin mit
aller Energie aufgenommene Untersuchung hatte leider nicht zu
der Ermittlung des Täters oder seiner Genossen geführt. Obwohl
größere Versicherungen auf Güter der „Thetis", wie sich schnell
feststellen ließ, nicht abgeschlossen waren, sprachen trotzdem noch
heutige stags manche davon, daß es bei der Explosion auf einen Ver-
sicherungsbetrug abgesehen gewesen sei. Denn leider waren ja Fälle
schon häufiger vorgekommen, in denen Schiffe mit zu hoch ver-
sicherten Gütern oder wertlose, aber hoch versicherte Schiffe von
verbrecherischen Kapitänen selbst absichtlich versenkt oder auf den
Strand gesetzt wurden.
„Besitzen Sie den Beileidsbrief der Dame noch, Herr Bahr?"
„Nein. Ich habe nichts aufgehoben, was mich an jene Tage
erinnerte. Da wir nun einmal an jene traurigen Geschehnisse
wieder rühren, will ich Ihnen gestehen, daß meine Ehe in der letzten
Zeit keine glückliche war."
Ralf Recking rückte. Diese Worte bestätigten seine Vermutungen.
„Ich nehme willig die Schuld auf mich, auch wenn ich nicht
sowieso über die Tote nur Gutes sagen dürfte. Ich mag damals,
ein Jahr bevor es zu der englischen Reise kam, meine Gattin recht
vernachlässigt haben, weil ich völlig von meinem Geschäft, dessen
Zukunft auf dem Spiel stand, in Anspruch genommen wurde. Die
Vermögenslage sah mitunter nicht sehr rosig aus, und ich muß es
noch heute schmerzlich beklagen, daß ich nichts dagegen tun konnte,
auch meine Frau darunter leiden zu sehen. Gesellschaftlich konnte
ich ihr gar nichts bieten, während ich oft bis in die späte Nacht hinein
über meinen Rechnungen saß und manchmal überhaupt nicht nach
Hause kam. Diese Zeit entfremdete mir das Herz meiner Frau,
die schon einmal den Zusammenbruch eines Kaufhauses miterlebt
hatte und nun ein neues Unglück hereinbrechen sah, das sie noch
härter mitzunehmen drohte als das erste. In dieser Zeit knüpfte
meine Frau engere Beziehungen zu ihren alten Freunden an. Ich
gönnte ihr die Ablenkung und Zerstreuung von Herzen. Dann kam
ihr der Wunsch, einmal ein paar Wochen wieder unter lebensfrohen
Menschen zu sein ..."
„Gestatten Sie!" Ralf Recking beugte sich nach der Aschenschale
vor. „So war also jene Suzanne Vergöre nicht die einzige, mit
der Ihre Gattin in Briefverkehr trat?"
„Das nehme ich an. Meine Frau erzählte viel von Neuigkeiten,
die sie aus ihrer alten Heimat erfahren hatte. Sie bekam also
sicherlich auch aus Brüssel Briefe. Sie dürfen nicht vergessen, daß
Lson Fouchard, mein Schwiegervater, vor seinem Bankrott ein
großes Haus machte. Eugenie war verwöhnt und umschwärmt.
Die Bewerber zogen sich aber zurück, als sie über die Vermögens-
lage des alten Fouchard nicht mehr im Zweifel waren. Was soll
ich Ihnen weiter erzählen? Mas Sie mit den Gedanken quälen,
die mich später so oft bedrückten? Geradezu folternd suchte mich
noch oft der eine heim, es möchte Eugenie leid geworden sein, meine
Werbung angenommen zu haben. Es wird ja oft in der Not des
Lebens ein Rettungsanker gesucht und gefunden, und die Reue kommt
 
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