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Das Eröe der Kalewingen.
Roman aus dem estnischen Volksleben

von Richard Schott.
(Fortsetzung.)


m Eingang des Tales, in der Nähe des Baches, der hier mit
starkem Gefall dem nahen Wasserfall zustrebte, ließen sich die
beiden nieder. Nachdem sie eine Weile der Strömung zu-

einem Gebüsch das von Leidenschaft verzerrte Gesicht Jakuschkins
erblickte.
Wütend sprang Arwi auf. Die Büchse schußbereit, suchte er den
Abhang zu erklimmen, mußte aber, da das lockere Gestein nachgab,
einen Umweg machen. Einer inneren Stimme folgend, war Maila
dem Geliebten nachgestürzt.
„Laß ihn!" schrie sie, sich an ihn klammernd, und suchte ihm die
Büchse zu entwinden.
In blinder Wut stieß er sie von sich und stürmte davon.


geschaut, die in der Dämmerung gespensterhaft vorüberhuschte, sagte
Arwi: „Gib mir deine Hand, Maila."
Maila gehorchte, und eine Weile sahen sie sich schweigend in die
Augen.
„Maila," fuhr Arwi endlich fort, „ich habe mich bisher nie um
die Mädchen gekümmert. Du weißt ja, daß alle meine Gedanken
bisher nur der Freiheit unseres Volkes gehörten. Aber du gefällst
mir. — Willst du mein
Weib werden, Maila?"
Sie antwortete nicht.
Mit bangen Augen starrte
sie ins Leere; mit einem
Male fühlte er, daß sie
schluchzte. Wieder war in
ihr die Ahnung kommen¬
den Unheils aufgestiegen,
die ihr trotz des Glücks¬
gefühls, die Liebe Arwis
zu besitzen, die Brust er¬
schütterte.
Überrascht von dieser
ihm unerklärlichen Gefühls¬
regung, streichelte er zärt¬
lich unbeholfen ihre Hände.
„Warum weinst du?"
fragte er.
Sie schwieg wieder. Da
zog er sie an sich.
Leise wehrte sie ihn ab;
sie wollte ihm sagen, was
ihr Herz bedrückte. Aber
als sie seine Berührung
fühlte, ging ein Schauer
durch ihren Körper, der
sie verstummen machte.
Willenlos überließ sie sich
ihm. Im nächsten Augen¬
blick preßte er sie an sich
und bedeckte ihr Gesicht
mit glühenden Küssen. In
seliger Verzückung genos¬
sen sie die erste Süße ihrer
jungen Liebe.
Plötzlich riß sie sich
los und sprang mit einem
Schrei auf.
„Was hast du?" rief
Arwi.
„Der Verwalter!" flü¬
sterte sie, nach dem Nande
der gegenüberliegenden
Felswand deutend, wo sie
im Schein des eben auf¬
gehenden Mondes zwischen

i^istjepan Julewitsch dachte nicht daran, sich auf eine Auseinander -
>^setzung mit Arwi einzulassen, vor dessen Büchse ihm bange
war. Dazu würde sich Gelegenheit finden, wenn die Aussichten
besser für ihn standen. Sobald er sah, daß er bemerkt worden war,
machte er sich davon, lief, so schnell er konnte, den Hang hinunter,
durch den Herrschaftspark nach dem Herrenhause und verschloß sich
in der Gerichtstube.
Arwi fand nicht einmal
mehr die Spur von ihm,
und da er selbst ihn nicht
gesehen, glaubte er, daß
Maila sich geirrt haben
könne. Er gab die Jagd
bald auf und kletterte wie-
der nach dem Bache hinab.
Als er an die Stelle kam,
wo sie zuletzt im Moose
gesessen, war Maila ver-
schwunden.
Er rief. Niemand ant-
wortete. Er suchte auf
dem Platz, wo sie vorhin
dem Sturz des Wassers zu-
geschaut hatten, vergebens
nach dem Mädchen. Über-
all glaubte er, ihre Nähe
zu spüren, und doch war
sie nicht da. Endlich lief
er, halb besorgt, halb vom
Verlangen nach ihr ge-
trieben, auf dem Wege,
den sie gekommen waren,
und dann querfeldein hin-
ter den Getreidedarren hin
nach dem Hofe.
Maila, durch das Auf-
tauchen des Verwalters aus
ihrem Taumel aufgerüttelt,
war fest entschlossen, heute
abend nicht mehr mit Arwi
Zusammenzutreffen, und
verbarg sich in einem hinter
der Spinnstube liegenden
Raum des Weiberhauses,
wo die Mädchen schliefen,
die, wie sie, keine Eltern
mehr hatten oder aus irgend
einem Grunde im väter-
lichen Hause nicht wohnen
konnten.
Nachdem Arwi sie ver-
geblich auch auf dem Gute
gesucht, lief er, von innerer

photz Sebah L IoaMer, Konstanttnopel.
Sultan Muhanuned V. f.

XXIU. 1-12.
 
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