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Die Falkner auf Lindenhöhe.
Roman von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung.)
as heißt das nun wieder? Ich will nicht hoffen, daß Sie-"
„Sprechen wir darüber nicht weiter, Herr Sanitätsrat! Viel-
leicht erzähle ich Ihnen bei Gelegenheit meine Lebens-
geschichte; dann werden Sie mich besser verstehen. Jetzt bin ich
Ihnen noch das Ende meines gestrigen Erlebnisses schuldig. Obwohl
es eigentlich schon zu Ende war mit dem, was Sie bis jetzt gehört
haben. Als Germering den Schrank wieder geschlossen hatte, drehte
er das Licht aus und ging in seine Wohnung. Eine Viertelstunde
später verließ Frau Falkner das Haus."
„Sie vermuten, Herr Brandt, daß die von dem Kollegen her-
gestellte Arznei für sie bestimmt gewesen ist?"
„Das ist sehr wahrscheinlich; mit voller Bestimmtheit kann ich es
natürlich nicht sagen."
„Läßt nicht gerade der Vorfall mit dem Medikament auch eine
unschuldige Deutung ihres
Besuches zu? Sie wollte
es vielleicht für den kran¬
ken Schwiegervater holen;
möglicherweise brauchte sie
es für sich selbst."
„Daran können Sie un¬
möglich im Ernst glauben!
Im Falknerschen Landhaus e
gibt es, wie ich weiß, über¬
flüssig viele Dienstboten,
die man jederzeit schicken
kann. Und wenn die junge
Frau für sich selbst ärzt¬
licher Hilfe benötigt, liegt
es jedenfalls näher, daß sie
den Hausarzt durch den
Fernsprecher beruft. Das
alles sind keine Erklärun¬
gen für einen wiederholten
stundenlangen Abendbesuch
bei einem Junggesellen."
„Ja, ja, Sie haben schon
recht, lieber Brandt! Die
Geschichte sieht recht übel
aus; aber zuletzt ist es wohl
doch eine Privatangelegen¬
heit des Doktor Germering.
Und man darf nicht daran
rühren."
„Ob ich nicht daran
rühren werde, weiß ich
heute noch nicht. Das
hängt von Umständen ab,
die sich nicht voraussehen
lassen."
Brandt hatte die Ell¬
bogen auf die Knie gestützt;
fein Kopf war tief gesenkt.
Der Sanitätsrat war offen¬
bar in einiger Verlegen¬
heit, was er weiter sagen
sollte, und es blieb lange
still. Plötzlich ging es wie
ein Ruck durch die hagere

Gestalt des Apothekers; er stand auf und sagte: „Sie werden also
nichts in dieser Sache tun, Herr Sanitätsrat?"
Wie gegen eine Zumutung, die ihn mit Abscheu erfüllte, hob
Barenthin abwehrend die Hand: „Ich denke nicht daran. Und wenn
ich Ihnen einen Rat geben darf, ist es der: Lassen auch Sie Ihre Hände
davon. Es kann nichts Gutes dabei herauskommen, weder für andere
noch für Sie selbst. Vermuten Sie recht, und wollen die beiden durch-
aus in ihr Verderben rennen, so muß man sie gewähren lassen. Ich
bin ein alter Mann und habe in einem langen Leben die Erfahrung
gemacht, daß es nichts Törichteres gibt, als für andere Schicksal spielen
zu wollen."
„Sie- wünschen also auch nicht, daß ich Sie von etwaigen weiteren
Wahrnehmungen unterrichte?"
Nun regte sich in dem Sanitätsrat trotz seiner Worte wieder die
greisenhafte Neugier.
„Das ist etwas anderes. Ehe sich die Dinge zu einem offen-
kundigen Skandal auswachsen, könnte es allerdings um des ärztlichen
Ansehens willen geboten sein, irgend etwas dagegen zu unternehmen.
Aber Sie dürfen nichts auf Ihre eigene Hand tun; wir müssen uns
jedenfalls vorher darüber
besprechen."
„Ich verpflichte mich zu
nichts," sagte Brandt mit
düsterem Gesicht. „Er soll
nicht glauben, daß er unge-
straft tun darf, was jedem
anderen verboten ist."
„Schon recht. Aber was
man nicht weiß —. Sagen
Sie mir doch, mein lieber
Brandt, was für ein persön-
liches Interesse Sie eigent-
lich an diesen Vorgängen
haben. Ist es wirklich nur
das allein, weil Sie sich
nach Ihren Worten eine
Waffe gegen Germering
sichern wollen?"
„Deshalb — und viel-
leicht auch noch aus einem
anderen Grunde. Ist es
Ihnen schon mal geschehen,
Herr Sanitütsrat, daß Sie
in einem feinen großstädti-
schen Gasthaus an wohl-
bestellter Tafel saßen und
plötzlich bemerkten, wie sich
ein zerlumpter Gassenjunge
an der Spiegelscheibe des
Fensters die Nase platt-
drückte? Und haben Sie
sich dabei vorzustellen ge-
sucht, was in der Seele
dieses halbverhungerten
Jungen vorgehen mochte?
Wenn Sie das erlebt hät-
ten, würden Sie jetzt un-
gefähr wissen, wie es in
mir aussieht. Denn so
ein zerlumpter, halbver-
hungerter Gassenjunge bin
auch ich. Gute Nacht, Herr
Doktor! Und baldige Ge-
nesung!"


Fregattenkapitän Nerger, Kommandant des deutschen Hilfskreuzers „Wolf".


X V. ISIS.
 
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