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Die Falkner auf ^indenhöhe.
Roman von Reinhold Ortmann.
_ (Fortsetzung.)
WHch verordnete Frau Falkner nichts außer einem harmlosen
Schlafmittel in Pulverform, und das geschah schon vor etlichen
Meines Wissens waren die Pulver inzwischen völlig
verbraucht."
„Dann hätte also Frau Falkner ihrem Dienstmädchen die Un-
wahrheit gesagt. Gestatten Sie mir übrigens, Ihnen zu sagen, daß
icb im Augenblick sehr beschäftigt bin . . ."
„Ich bin fertig, Herr Kollege. Nur eine Frage noch: Ange-
nommen, es läge wirklich Tod durch Vergiftung vor — sind Sie nicht
überzeugt, daß dann einzig an Selbstmord zu denken wäre? Und
glauben Sie, daß es der Familie angenehm sein wird, einen so
traurigen Fall durch übereilte Heranziehung der Behörden an die
große Glocke zu hängen?"
„Sofern diese Frage eine Kritik meiner Handlungsweise enthalten
soll, lehne ich sie entschieden ab. Außerdem kann ich Ihnen versichern,
daß niemand im Falknerhause an einen Selbstmord glaubt. Ent-
schuldigen Sie mich jetzt.
Guten Morgen!"
Germering legte den
Hörer -hin und wandte sich
wieder an seinen Besucher.
„Ich schließe mich dem
Anträge des Herrn Doktor
Barenthin vorläufig nicht
an, da ich die Leiche noch
gar nicht gesehen habe.
Was der Kollege unter¬
nimmt, muß er auf eigene
Verantwortung tun."
Der Amtsrichter erhob
sich.
„Natürlich geschieht vor¬
läufig alles unter dem Sie¬
gel der Amtsverschwiegen¬
heit; damit, daß ich zu
Ihnen kam, tat ich ja
eigentlich schon mehr, als
ich durfte. Aber auch ich
bin eben überzeugt, daß
hier von einem Verbrechen,
wie es der Herr Sanitäts¬
rat allen Ernstes zu ver¬
muten scheint, nicht die
Rede sein kann."
Er wollte sich verab¬
schieden, doch Germering
bat um die Erlaubnis, sich
ihm anzuschließen, da er
sogleich zur Lindenhöhe
hinauf wolle. Als sie die
Treppe hinabstiegen, stand
Apotheker Brandt in der
offenen Haustür. Er war
aschgrau im Gesicht und
hatte fast das Aussehen
eines kränkelnden Greises.
Um den beiden Herren
den Durchgang freizugeben,
trat er einen Schritt zur

Seite. Er grüßte den vorangehenden Amtsrichter mit einer Ver-
beugung; Germerings stummen Gruß erwiderte er nicht.

(<^as Landhaus auf der Lindenhöhe war über Nacht zu Unem
Hause der Trauer geworden. Die Dienstboten gingen mit
verstörten Gesichtern und auf leisen Sohlen umher; Gespräche
wurden nur mit gedämpften Stimmen geführt, und ein süßlicher
Blumenduft erfüllte die Vorhalle. Als Doktor Germering die große
Wohndiele betrat, sah er in ihrer Tiefe die schwarz gekleidete Gerda
in leiser Unterhaltung mit Erika Neuhoff. Sie blickte auf, als er sich
ihnen näherte; aber sie beantwortete seinen Gruß nur mit einem
kaum merklichen Neigen des Kopfes und verschwand, ohne seine
Anrede abzuwarten, in der Tür des nächstgelegenen Zimmers.
Erika aber kam ihm um einige Schritte entgegen und reichte ihm,
wenn auch sichtlich befangen, die Hand. So tief war der Eindruck,
den Gerdas seltsames Benehmen auf ihn gemacht hatte, daß die
unerläßlichen Worte der Teilnahme gezwungen und stockend von
Germerings Lippen kamen. Und Erikas Erwiderung klang kaum
anders. Sie bat den Doktor in das Familienwohnzimmer und lud
ihn ein, Platz zu nehmen.
„Ich werde Herrn Achim Falkner rufen," sagte sie. „Gewiß
haben Sie doch den Wunsch,
zunächst mit ihm zu spre-
chen."
„Später — wenn ich
seinem Vater meinen Be-
such gemacht habe. Wie
befindet sich Herr Bernhard
Falkner? Wie nahm er die
erschütternde Kunde auf?"
„Mit mehr Fassung,
als wir es zu hoffen ge-
wagt hatten. Er bestand
sogar darauf, angekleidet
zu werden, und ging ohne
jede Hilfe in das Sterbe-
zimmer, wo er länger
als eine Stunde verweilte.
Jetzt ist er im Lehnstuhl
eingeschlafen."
„Er ist also in seinem
Arbeitszimmer?"
„Ja. Aber vielleicht
verschieben Sie den Besuch
bei ihm doch, bis Sie mit
Herrn Achim gesprochen
haben. Ich habe den aus-
drücklichen Auftrag, Sie
darum zu bitten."
Germering drückte die
Zähne in die Unterlippe;
er erwiderte nichts und
gab nur durch schweigende
Verneigung seine Zustim-
mung zu erkennen. Erika
ging, und erst nach Ver-
lauf einiger Minuten trat
Achim über die Schwelle,
blaß und gebeugt, mit den
zerstreuten Bewegungen
und dem wirren Blick eines
Mannes, der sich trotz ver-
zweifelter Anstrengung noch
nicht in der Wirklichkeit

Phot. Berl. Zuusiratlons-Gesellschast m. v. y./
Der neue österreichisch-ungarische Minister des Äußern Freiherr v. Bunan.

XVUl. 1918.
 
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