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Die Falkner aus Lindenhöhe.
Roman von Reinhold Ortmann.
er Klang einer weiblichen Stimme veranlaßte den Apotheker
Brandt, in seiner Arbeit innezuhalten. Es war eine frische,
jugendlich Helle Stimme von jenem angenehmen Wohllaut, der
wie eine schmeichelnde Berührung wirkt. Der rasch hervorgesprudelten
Rede folgte ein kurzes, girrendes Lachen, das auf Konrad Brandt
aufreizend wirkte. Er setzte das Glas mit dem Pulver nieder, das
er eben in sorgfältig abgewogenen winzigen Mengen auf eine An-
zahl weißer Papierblättchen verteilt hatte, und spähte durch das
offene Fenster zu seiner Rechten auf die im Frühlingssonnenschein
daliegende Straße. Drüben auf der anderen Seite, wo der von der
Lindenhöhe herabführende Weg in die Hauptstraße von Tiefenbrunn
einmündet, stand eine Gruppe von drei Personen. Zwei von ihnen
sah der Apotheker heute zum ersten Male. Jene Frau, die ihn durch
den bestrickenden Klang ihrer Stimme in seiner Beschäftigung gestört,
wandte eben ihr Gesicht voll nach dem „Doktorhause" herüber, in
dessen unterem Stockwerk die Apotheke lag. So konnte Konrad


Brandt beobachten, daß sie ungewöhnlich hübsch war, hochblond
und von der zarten, mattweißen Hautfarbe der Rothaarigen. Ein
graues Straßenkleid von so wohlberechnetem Schnitt, wie er sicher-
lich keiner Tiefenbrunner Schneiderin gelungen wäre, umschloß knapp
ihre schlanke, mittelgroße Gestalt, und die Füße, die unter dem kurzen
Rock bis zu den Knöcheln sichtbar wurden, waren von fast kinderhafter
Zierlichkeit.
Sie sprach lebhaft mit dem Sanitätsrat Doktor Barenthin, dem
älteren und angeseheneren der beiden in Tiefenbrunn ansässigen
Arzte, und der wohlbeleibte weißbärtige Herr, dem man allgemein
eine bei seinen vorgerückten Jahren allerdings sehr harmlose Schwäche
für das schönere Geschlecht nachsagte, bemühte sich unverkennbar,
den Liebenswürdigen zu spielen. Der Dritte stand als stummer
Zuhörer daneben. Er war noch jung und machte mit seiner hohen,
etwas schmalschultrigen Gestalt und seinem feinen, blassen, ein wenig
müden Gesicht den Eindruck eines vornehmen Mannes. Im Gegen-
satz zu der heiteren Miene der jungen Dame sah er sehr ernst aus.
Und nun schien er irgend eine Bemerkung gemacht zu haben, die
herabstimmend auch auf die Fröhlichkeit der blonden Schönheit
wirkte, denn sie wandte ihm mit einer raschen, fast unmutiger: Be-
wegung den Kopf zu; das Lächeln verschwand aus ihren Zügen,

Nach einem Gemälde von Hans Best.
IX. 1918.


Wie wird das mit dem Frieden?
 
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