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(Fortsetzung.)

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König Wilhelm von Württemberg. Zum siebzigsten Geburtstag.

Die Falkner auf Lindenhöhe.
Roman von Reinhold Ortmann.

^^!ach seinem gewohnten Stirnrunzeln gab Erich einige Zut
HR darauf nach. Als er seiner Schwester das Blatt zurückgab,
er gleichmütig: „Oswald Germering. Ein seltsamer
Zufall; es gibt sicherlich nicht zwei des gleichen Namens. Ich hatte
keine Ahnung, daß der Germering, den ich kenne, sich in Tiefen-
brunn als Arzt niedergelassen habe."
„Du bist mit ihm befreundet?"
„Was man so in gewissen Jahren Freundschaft nennt. Wir be-
gegneten uns als Studenten öfters, und ich glaube, wir machten
damals sogar Bruderschaft. Später verlor ich ihn vollständig aus
den Augen."
„Man scheint auf Lindenhöhe eine sehr hohe Meinung von ihm
zu haben."
„Es ist sehr wohl möglich, daß er sie verdient; er war ein schneidiger
Bursche und ein ehrlicher,
aufrechter Kerl. Ich er¬
innerte mich seiner immer
mit einem Gefühl der Zu¬
neigung."
Er ging an den Tisch,
um sich eine neue Zigarre
zu nehmen. Als eine ge¬
raume Zeit vergangen war,
ohne daß er etwas weiteres
gesprochen hätte, fragte
Gerda: „Ist denn der Name
dieses Doktor Germering
das einzige, was dir an
Erikas Brief bemerkens¬
wert scheint?"
„Natürlich freue ich mich
von Herzen über die gün¬
stige Wendung im Befin¬
den des Vaters, aber dar¬
über ist doch nicht viel zu
reden."
„Und das andere?"
„Was? Daß du auf
Lindenhöhe wieder in Gna¬
den aufgenommen werden
sollst? Meinen Glückwunsch
dazu, wenn dir daran ge¬
legen ist."
„Das heißt, du bist im
Grunde sehr ungehalten
darüber."
„Ganz und gar nicht.
Ich lernte in den Tagen
unseres Beisammenseins
einsehen, daß es das rich¬
tigste für dich ist. Du bist
mir hier ja beinahe krank
geworden vor Sehnsucht."
„Ja, Ecich. Ich schäme
mich nicht, es einzugestehen.
Ich prüfte mich unablässig
und kam zu dem Schluß,
daß ich nicht zur Bühnen¬
künstlerin tauge."

„Ganz meine Meinung. Dann wird alles schön und gut werden.
Ein altes und ein wahres Wort: Es ist mehr Freude über einen reuigen
Sünder als über tausend Gerechte. Du und Achim und seine schöne,
liebenswürdige, kluge Frau — so hieß es ja wohl in dem Briefe? —
ihr werdet ein glückliches, harmonisches Familienleben führen. Und
dem Vater ist die Genugtuung zu gönnen, daß ihm wenigstens zwei
seiner mißratenen Kinder zurückgegeben worden sind."
„Das alles ist natürlich spöttisch gemeint. — Es tut nur weh,
Erich, daß du nichts anderes als Spott darüber hast."
„Wer sagt dir, daß ich spotte? Ich beneide euch; daß ich keinen
Sinn habe für diese bequeme Art, innere Gegensätze auszugleichen,
das ist sicher ein Mangel, über den ich mich bei der Natur beklagen
sollte."
„Es gibt keine unüberbrückbaren Gegensätze, wenn man sich
liebhat."
„Die Weisheit eines Frauenherzens! — Ich versage ihr meine
Achtung nicht. Aber du mußt entschuldigen, wenn ich sie nicht zur
ineinigen machen kann."
„Wir beide wenigstens bleiben die alten, wenn ich nun an einem
der nächsten Tage nach
Lindenhöhe zurückkehren
werde?"
„Gewiß. — Wir wer-
den uns vermutlich nicht
sehr oft schreiben. Aber
das haben wir ja auch bis-
her nicht getan. Im übri-
gen: wenn du mich brauchst,
kannst du immer auf mich
zählen."
Gerda seufzte. Nach
eiirem kleinen Schweigen
erst sagte sie beklommen:
„Von dem, was Erika über
dich schrieb, sprichst du gar
nicht. Findest du nicht, daß
sie wirklich ein Recht hat,
sich über dein Verhalten
zu beklagen?"
„Mair kann es nicht
immer jedem recht machen,
darum ist es anr besten,
so zu handeln, wie man
es selbst für das richtigste
hält."
„Aber sie tat dir doch
sicherlich nichts zuleide?"
„Nein. Darüber darfst
du sie allerdings vollkom-
men beruhigen. Sie kann
überhaupt niemand ein
Leid zufügen als allenfalls
sich selbst."
„Wenn du so voir ihr
denkst, kann es dir doch
nicht schwer fallen, ihr ein
freundlichesWort zu sagen."
„Weshalb? — Worte,
die doch nur gesprochen
oder geschrieben werden,
um zu verschleiern, was
wir eigentlich sagen woll-
ten oder müßten, sind
nichtsnutzige Lügen. Und

XIN. 1918.
 
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