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Kaiser Wilhelm II.

Veranlassung, Fräulein Falk?"
„Ich erhielt heute früh die Nachricht, daß mein Vater schwer-
krank ist, Herr Direktor; ich möchte noch heute zu ihm reisen."
„Natürlich. Mein herzlichstes Beileid, liebes Fräulein! Aber es
handelt sich hoffentlich doch nicht um einen ganz aussichtslosen Fall?"
„Mit voller Deutlichkeit kann ich das aus dem Briefe nicht ersehen.
Meine Pflegeschwester schreibt, der Arzt hege sehr ernste Befürch-
tungen, wenn sich die — die Katastrophe auch vielleicht noch eine
Weile hinauszögern lassen würde."
Ihre Worte waren voll unterdrückter Tränen. Herr Cajetan Daus
nickte ihr ermutigend
zu. „Dann sollten Sie
sich nicht unnütz auf¬
regen, meine Liebe!
Ich kenne diese Briefe.
Oh, ich kenne sie sehr
gut. Alle meine Mit¬
glieder sind schon ein¬
mal oder öfter von
diesem herben Mi߬
geschick betroffen wor¬
den. Die Väter und
Mütter von Theater¬
leuten sind viel häufi¬
ger plötzlichen schweren
Erkrankungen ausge¬
setzt als die Angehöri¬
gen gewöhnlicher Mei -
schen. Aber sie sterben
glücklicherweise nicht
daran. Wenigstens bis¬
her hatte ich noch
immer die Freude,
meine Künstler und
Künstlerinnen mit hei¬
teren Mienen von sol¬
chem Urlaub zurück¬
kehren zu sehen."
Verständnislos sah
ihn Fräulein Gerda
mit großen feuchten
Augen an: „Wie kön¬
nen Sie wissen, Herr
Direktor, ob meines
Vaters Krankheit ge¬
fährlich ist oder nicht?"
„Wissen kann ich
es freilich nicht. Auf
Grund meiner vieljäh¬
rigen Erfahrung aber
glaube ich, Sie trotz¬
dem beruhigen zu dür¬
fen. Ich verbürge mich
dafür, daß Sie Ihren
Herrn Vater noch am
Leben finden werden,
auch wenn Sie Ihren
Besuch hiimusschieben,

(Fortsetzung.)
weiter nichts als Urlaub? Darf ich fragen, aus welcher
Veranlassung, Fräulein Falk?"
..Ick erhielt beute früb die Nackrickt. dak mein Vater ickwer

bis wir die ersten fünf oder sechs Aufführungen des neuen Stückes
hinter uns haben."
„Nein, so lange kann ich nicht warten. Ich würde es nicht er-
tragen. Heute noch muß ich reisen."
„Sie müssen? Das ist allerdings etwas anderes. Und wie lange
gedachten Sie fortzubleiben?"
„Das hängt doch wohl von den Umständen ab. Sie werden mir
keine Schwierigkeiten machen — nicht wahr?"
„Ich? Gewiß nicht. Wir müssen nur ein wenig überlegen.
Wenn ich mich recht besinne, waren Sie sehr erfreut, die große Rolle
in dem neuen Stück zu erhalten."
„Ich war glücklich darüber, nachdem ich so lange unbeschäftigt
gewesen war. Neben diesem Schrecklichen aber hat es doch keine
Bedeutung mehr."
. „Eine Auffassung, die Ihrem kindlichen Herzen alle Ehre macht.
Ich müßte also Fräulein Dieskau mit der Partie betrauen."
„Ich bitte darum
recht von Herzen, Herr
Direktor."
„Es ist schade —
sehr schade. Ich hatte,
es so gut mit Ihnen
im Sinn. Sie können
sich nicht vorstellen,
wie schwer es ist, für
ein eng begrenztes Ta-
lent gleich dem Ihri-
gen passende Aufgaben
zu finden. Gerade dies
wäre nun mal eine
gewesen. Sie hätten
dazu weder großer Lei-
denschaft noch über-
zeugenderHerzenstöne
bedurft, die Ihnen,
wie Sie ja wohl wis-
sen, leider versagt sind.
Nicht einmal der Glanz
der äußeren Erschei-
nung, den Sie sich
beim besten Willen
nicht zu geben ver-
mögen, wäre nötig
gewesen. Das Stück
selbst hätte alles für
Sie getan. Es ist, wie
gesagt, sehr schade,
daß Sie so unbedacht
meine wohlmeinende
Absicht vereiteln wol-
len."
„Aber ich kann doch
nicht anders. Mir bleibt
ja gar keine Wahl."
„Es kommt immer
darauf an, wie man
die Dinge nimmt. Wer
zumTheater geht, sollte
es sich stets zum uner-
schütterlichen Grund-
satz machen, immer
zuerst an sich und an
seine künstlerische Zu-
kunft zu denken."

Die Falkner auf Ändenhöhe.
Roman von Reinhold Ortmann.

X. 1918.
 
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