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/^^^ie Glocken hatten nicht geläutet. In der Kolonie Beeken-
A ^moor gab's weder Kirche noch Schule. Der Pastor, der
das junge Paar einsegnete, mutzte von Grasdorf herüber-
kommen, die Spielleute von Scharmbeck. Von unabsehbaren
Moorflächen wie von einem See umgeben, lag der Ort, einer
Insel gleich, in weltabgeschiedener Einsamkeit. Die birkenum-
säumten Klinkerstratzen führten weit an ihn: vorüber, nur der
Kanal zog in schnurgerader Linie sein Gewässer an jedem der
neun Höfe entlang, neben einigen holperigen Heidewegen bil-
dete sein braunes Wasser die einzige Verbindung des Moordorfs
mit der Welt.
Es war doch eine stolze Hochzeit geworden, eine Fleischhochzeit.
Piter Clüver hatte es dazu, und am Ehrentag seines Sohnes lietz
er sich nicht lumpen, besonders da Annmarei, eine reiche Bauern-
tochter aus Wörpedamm, ansehnlichen Brautschatz an Leinen,
Vieh und Bargeld auf den Hof brachte.
Der Traualtar war schon zur Seite geräumt. Auf dem mit
Tannennadeln bestreuten Flet und der weiten Diele zwischen den

Viehständen stand Tisch an Tisch gereiht. Fast ganz Beekenmoor
satz im Festputz schmausend daran. Lichter standen zwischen den
Schüsseln, Lichtflämmchen schimmerten zwischen den Tannen-
gewinden an der Decke und den Holzstäben vor den Futterraufen,
und frohes Stimmengewirr füllte das Haus, besonders am unteren
Ende der Diele, wo die Jugend und das Gesinde satzen, die Sorg-
losen, Frohgemuten. Steifer und stiller ging es her am Ehren-
tisch, der mit Gut und Sorgen Belasteten. Den Platz an der oberen
Schmalseite nahm nach alter Sitte der Bräutigam ein, den an
der unteren die Braut. Dem Bräutigam zur Rechten reihten sich
an der Langseite die männlichen Ehrengäste, zu seiner Linken die
weiblichen, sorgfältig nach ihrem Rang geordnet. Eine Rangord-
nung schafft Kopfzerbrechen im Moordorf wie in: Fürstensaal.
Jeder Verstoß gegen sie, ein wirklicher oder ein eingebildeter, ist
Quelle schweren Verdrusses. Und wer vermag jeden ehrgeizigen
Anspruch zu befriedigen? — Clüvers hatten es nicht gekonnt.
Darum lag gespannte Stimmung über dieser Tafel. Dem Bräuti-
gam zur Rechten satz Piter Clüver, der Vater, zur Linken Wischen

In Heide und Moor / Nach einer künstlerischen Aufnahme von C. Lohmann


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