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Das Buch für Alle


das wie ein Merkstein in der Geschichte der Kolonie stand. Die
hier um den Tisch saßen, hatten ihn ja alle miterlebt, den unge-
heuren Moorbrand, der einen meilenweiten Aschen- und Wüsten-
gürtel um Beekenmoor gezogen hatte, dessen Rauchwolken, die
Sonne verdüsternd, bis Mitteldeutschland sich verbreiteten, den
zu löschen drei Kolonien sich acht Tage lang vergeblich mühten
und der Haus und Hof des Kolonisten Rodekamp verzehrte. Das
Gespräch, das bis jetzt nur stockend sich hingeschleppt hatte, schwoll
nun an. Jeder wußte etwas zu berichten aus jenen Tagen. So viel
stand fest:, ein ganz ausverschämter Obenhinaus war er gewesen,
der Franz Bodde, der, ein gemeiner Knecht, sich unterfing zu
freien um die vermögliche Bauerntochter, die Geschmargret
Potter. Aber die Dirne war ja wohl wie Hetzert von ihm gewesen.
Da bekam er Streit mit seinem Bauern. Der Klang der zor-
nigen Stimmen war weit hingeschallt zu den Nachbarn hüben
und drüben. Und am nächsten Tag brannte Rodekamps Hof. Das
Feuer unter dem Strohdach selbst anzulegen, dazu war der Filou
zu schlau gewesen. In das dürre Heidekraut, das vier Wochen
Augustsonne zu Zunder gedörrt hatten, schmuggelte er den ver-
nichtenden Funken, klug berechnend, daß der Wind auf den Rode-
kamphof zu stand und die schleichende Glut binnen wenigen
Stunden ihn erreichen mußte. Hinter dem kleinen Birkenbusch,
wo der Brand entstanden war, hatte man ihn hervorkommen
sehen. Viele hatten ihn gesehen, Puvogels Frau und Gebke, Rode-
kamps Magd, Timm Clüver, der Bräutigam, der damals ein
kleiner Bub war und im Kanal nach Aalen fischte, und Hinnerk
Potter, der von Scharmbeck zurückkam, wo er einen Ochsen ver-
kauft hatte. Als die Flammen aufschlugen, fiel das allen ein. Nie-
mand erinnerte sich, wer es zuerst hinausgerufen hatte, aber mit
einem Schlag wußten alle: der Franz hat's getan! — Da packten
sie ihn, der sich verzweifelt wehrte, schlugen mit Stöcken und
Hacken auf ihn ein, bis er für tot liegen blieb. Die Leiche war dann
später verschwunden — mitverkohlt wahrscheinlich in dem un-
geheuren Brand. Jedenfalls hörte man nie wieder von ihm. Aber
Geschmargret Potter, seine Braut, war „hintersinnig" von dem
Tag an und Kolonist Rodekamp ein Bettler. Für geringen Preis
mußte er seine Stelle verkaufen und zog fort nach Heppstedt, wo
er sich aus Kummer bald ins Grab trank. Seine Witwe und sein
Sohn sollten dort noch in Armut leben.
So gingen die Reden hinüber und herüber.
Gina, Wilm Potters Frau, die fremd war dem Geschehenen,
wie sie fremd geblieben war dem Moor und seinen Leuten, saß
derweil stumm in sich gekehrt, und auch ihre Gedanken flogen
zurück — nicht in so ferne Zeit zwar, um sechzehn Monde nur
zurück, nur bis zu dem Tage, da sie, den Kranz im Haar, am Braut-
tisch gesessen hatte wie heut Annmarei Clüver. Und sie wunderte
sich, wie sie hierhergeraten war, von dem freundlich heiteren
Geestrand hinab in das düstere, verschwiegene Moor. Es hatte

Grüße des Sommers / Phot. Martha Wider, St. Gallen


wohl so kommen müssen. Wenn eine junge Dirne ohne Vater und
Mutter, ohne Hab und Gut in der Welt steht und ein geachteter
Mann bietet ihr Haus und Hof und eine Heimat — muß sie sich
nicht in die sichere Hut flüchten? Sie hatte sich nicht besonnen.
Stolz war sie gewesen und glücklich — damals.
Sinnend schaute sie zu ihrem Mann hinüber. Liebte sie ihn?
Manchmal glaubte sie es. Damr wieder fürchtete sie sich vor ihm.
Verschwiegen war er, unergründlich wie das Moor selbst. Er
konnte in einem Jähzorn auflodern, der sie zittern machte. Und
wenn sie der Ursache des wilden Ausbruches nachging, fand sie
allenral, daß dieser Grimm schon lange heimlich in ihm geglimmt
hatte, um bei scheinbar geringfügigem Anlaß aufzuflammen zu
besinnungsloser Wut. Sein Gesicht trug nicht die scharf einge-
kerbten Züge seines Bruders, weich war der Mund, Heller das
Haar, das trotz des festen Kammstrichs sich an den Spitzen ringelte,
und die dunkelblauen Augen konnten zärtlich und feurig blicken,
so feurig, wenn er sie auf sie richtete, daß sie vor der Flamme
drin erschrak. Er liebte sie leidenschaftlich, eifersüchtig, mit einer
Liebe, die bedrückte.
Das Mahl war beendet, die Tische wurden zusammengerückt.
Die Spielleute traten ihren Dienst an. Zunächst kamen die Ehren-
tänze. Jeder Gast durfte die Braut dazu auffordern. Sie tanzte
dann allein mit ihm über den mit Tannennadeln bestreuten Est-
rich. Dafür mußte er einen Taler in das bereitstehende Sammel-
becken legen. Viele drängten sich zu der Ehre, die Taler im Zinn-
teller schwollen zu einem stattlichen Haufen. Danach kam die tanz-
freudige Jugend zu ihrem Recht. Es tanzten aber auch viele der
Alten, manchmal mit ihren Frauen, manchmal mit anderen.
Wilm Potter tanzte einzig mit Gina.
„Fein siehst aus," lobte er leise.
Sie lächelte glücklich.
Er ließ ihre Hand nicht los, als der Tanz zu Ende war, und so-
bald die Musikanten wieder zu spielen anfingen, drehte er sich
aufs neue mit ihr.
Einmal, als die Spielleute zu einem neuen Tanz ansetzten,
forderte Vorsteher Puvogel Gina auf. Ihm konnte Wilm nicht
wohl wehren. Als aber nach dem würdigen Gemeindehaupt Ede
Clüver, des Bräutigams junger Bruder, gleiche Gunst begehrte,
drückte Wilm Potter verstohlen Einas Hand.
„Schlag's ihm ab! Ich will's nich."
Worauf dann die junge Frau sich gehorsam mit Ermüdung
entschuldigte. Aber betrübt sah sie von ihrem Sitze in das fröh-
liche Gewirr des Reigens.
„Barmst ihn nach, den Milchbart!" flüsterte Wilm zornig.
„Weißt doch, ich ertrag's nich, daß so'n flattrigen Fant dich in
sein' Armens preßt."
„Ich tanz' ja nich mit ihm," verteidigte sich Eina.
„Aber sein' junge Jahre gefallen dir — wo du so'n alten
Mann hast."
„Och, Wilm!"
Er sagte nichts mehr. Stumm saßen sie nebeneinander auf der
Bank vor den Stangen, die den Kuhstall von der Diele abschieden.
Ab und zu streckte eine der Schwarzbunten ihr gehörntes Haupt
schnuppernd hindurch. Wilm begann es leid zu tun, daß er mit
seiner Eifersucht der Frau die Freude verdorben hatte, und er
hätte sie gern versöhnt. Aber entschuldigen? — Er nicht! Warum
sprach nicht sie zuerst? — Zornig auf sie und sich selbst ob seiner
Unbehilflichkeit, stand er endlich auf und schritt zum Flet hinüber,
wo die gesetzten Männer vor Bierkrügen saßen. Dabei brannte
die Eifersucht weiter in seinem Herzen. Vielleicht würde sie tanzen.
Gina tanzte nicht. An die Schranke der Pferdestände gelehnt
stand sie, ein schönes Bild in ihrem Hellen Gewand und der schim-
mernden Flechtenkrone, starrte in den vorbeirasenden Wirbel und
sah ihn nicht. Vor ihrem inneren Auge stieg ein kleines Hüttchen
auf nicht weit von ihrem Elternhaus in Heppstedt. Ein Knabe
kniete dort neben ihr im Sand, baute Burgen für sie aus Erde
und Steinen, sie selbst bepflanzte den Garten dazu mit abgerissenen
Heideblüten, eine gütige alte Frau brachte ihnen Milch und Erd-
beeren— und sie fühlte sich glücklich, unaussprechlich glücklich.—
 
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