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L. Das verbotene Vad
a Hugo Christoph weder Schuhe noch Strümpfe trägt, muß er seine
Füße naturgemäß öfter waschen als andere Leute. Und im Sommer
tut er es auch. Mehrmals in der Woche wäscht er nicht nur seine unteren
Extremitäten, sondern auch aus Freude am Luxus den weniger reinigungs-
bedürftigen Oberkörper. Aber nicht etwa in einer der städtischen Bade-
anstalten !
Er streift nahe der großen Oderbrücke seine Kleider ab, legt Zylinder und
Stock daneben und befindet sich alsdann in der natürlichen Badetoilette.
Bedächtig steigt er ins Wasser, schwimmt zwischen den Brückenpfeilern
... Zuweilen taucht ein
sonderbarer Gent im Strome
der Menschen auf...
umher und überläßt den braunen Fluten der Oder das Reinigungswerk.
Die häufigen und immer schärferen Haftstrafen können Christoph nicht
abhalten, seiner Badeleidenschaft in aller Öffentlichkeit zu frönen. Die
Polizei ist machtlos und sieht sich in ihrem Ansehen bedroht.
Da kam eines Tages ein scharfsinniger Schupomann auf einen groß-
artigen Einfall. Während Christoph unter den anfeuernden Zurufen der
auf der Brücke versammelten Zuschauer gegen die Wellen kämpfte, suchte
der Mann des Gesetzes sorgsam das Ufer ab. Unmittelbar an einer jener
Tafeln, deren leuchtende Bemalung das Baden in der Oder als straf-
würdiges Vergehen brandmarkt, fand er den wohlbekannten Rockanzug
nebst Zylinder und Stock. Lächelnd raffte er Christophs bürgerliche Hüllen
an sich und verschwand.
Aber Christoph war die amtliche Beschlagnahme seines Eigentums nicht
entgangen. Er winkte seinem Publikum Abschied hinauf und ließ sich von
der Strömung abtreiben. Dort, wo sich die Häuser Ratibors ganz nahe
an die Oder anschmiegen, stieg er ans Ufer, schüttelte sprühende Tropfen
von seinem gleißenden Körper und schritt dem Stadtinnern zu.
Eine furchtbare Aufregung entstand, als Christoph am nahen Markt-
platz erschien, sich an einem Gemüsestand aufstellte und die Tätigkeit der
entsetzt fliehenden Bauernfrau aufnahm. Und an diesem Tage geschah es,
daß Christoph, der Schweigsame, öffentlich redete: „Frische Gurken ge-
fällig? Kauft frische Gurken! Das Stück nur fünfzehn Pfennige!"
Christophs Tätigkeit als unbekleideter Gurkenverkäufer war nicht von
langer Dauer. Nach wenigen Minuten hatte er seinen Rockanzug wieder.
D Das Hemd
uch heutzutage gibt es noch „Originale". Seltsam ist nur, wie sich
gerade in dem nüchternen, rußigen Fabrikstädtchen Ratibor ein so
wunderliches Menschenkind entwickeln konnte.
Gegen Abend, wenn die Hauptstraße sich mit heimkehrenden Arbeitern
füllt, taucht zuweilen ein sonderbarer Gent im Strome der hastenden
Menschen auf. Jeder kennt ihn. Viele bleiben stehen und sehen ihm lächelnd
nach: „Ach, Christoph ist wieder losgelassen!" Und halbwüchsige Burschen
heften sich johlend an seine Fersen.
Christoph kümmert sich wenig darum, daß er Aufsehen erregt. Gemessenen
Schritts, ein wenig geziert und mit betonter Vornehmheit schreitet er
dahin. Er sieht nicht rechts und nicht links,- er hat an sich selbst genug, und
das Publikum ist ihm nur Staffage.
Hugo Christoph, der Lump von Ratibor, geht nicht etwa in Lumpen.
Stets erscheint er in einem ehedem schwarz gewesenen Rockanzug von ver-
blichener Eleganz,- auf seinem Kopfe prangt ein hoher, schmalkrempiger
Zylinderhut, und ein schwerer, derber Eichenstock vervollständigt seine
Garderobe. Weitere Kleidungsstücke erachtet er für überflüssig. Weder
Hemd noch Krawatte unterbrechen die düstere Schwärze seiner äußeren
Erscheinung, und niemals werden Christophs lange Zehen mit Strümpfen
oder gar Schuhen vergewaltigt. Auf nackten Füßen wandelt Christoph
durch die Welt, ob die Sonne brennt, ob es stürmt oder schneit — in sou-
veräner Verachtung aller Gepflogenheiten.
Hugo Christoph hat seine eigene Sitte, seine eigene Weltanschauung.
Unerschütterlich hält er daran fest,- aber er versucht nie, sie anderen auf-
zudrängen.
Alles lacht und sieht dem sonderbaren Kauz nach, der unberührt seines
Weges geht und nichts zu hören scheint. Zuweilen aber kommt es doch
vor, daß Christoph plötzlich stehen bleibt.
Dann sieht er seine Verfolger traurig und vorwurfsvoll an, als ob er
sagen wollte: „Ihr Armen im Geist!" Er sagt aber nur „Pierronna!", was
auf gut Deutsch „Schweinehund" heißt, hebt seinen Stock, langsam, ohne
Hast, ohne irgendwelche Erregung, und läßt ihn irgend einem Unbeteiligten,
der gerade in seiner Nähe steht, auf den Kopf fallen.
Nicht zu kräftig, damit der ahnungslos Betroffene keinen Schaden an
seiner Gesundheit erleidet, — aber doch auch nicht so schwach, daß die Po-
lizei den Vorfall ignorieren könnte. Und Hugo Christoph ist wieder einmal
für ein paar Tage der Sorge für seinen Lebensunterhalt enthoben.
Daß Christoph kein Hemd trägt, will nicht etwa besagen, daß er keines
besäße. Einmal lieferte er dem erstaunten Ratibor den Beweis. <
Den Passanten verschlug es die Stimme, und niemand johlte hinter
Christoph her, als er eines Hellen Sonntagnachmittages auf einem alten,
klapprigen Fahrrad durch die belebte Hauptstraße fuhr. Das Rad bedeutete <
an sich schon eine unbegreifliche Veränderung an Christophs gewohnter ,
Erscheinung. Noch verblüffender aber war die Tatsache, daß er an diesem '
denkwürdigen Tage ein Hemd trug — ein leuchtend weißes, frisches Hemd! '
Sonst nichts!
Und die bedeutsame Radfahrt Christophs endigte in seiner Stammzelle
im Ratiborer Amtsgefängnis.
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