Heft i
Das Buck für Alle
Erst klopfte er langsam den Staub heraus, dann schlüpfte er in die Hose,
liest sich beim Anlegen des Rockes von dem uniformierten Überbringer
bedienen, schloß pedantisch sämtliche noch vorhandenen Knöpfe und sagte:
„Pierronna!"
Und mit einer freundlichen Geste mahnte er zum Aufbruch nach dem
Amtsgefängnis.
Seitdem soll eine amtliche Beschlagnahme von Kleidungsstücken an den
Ufern der Oder nicht mehr vorgekommen sein.
Z. Die Hose -es Herrn Przyszkowsky
ls Christoph nach geraumer Zeit wieder vor dem Angesicht der Öffent-
lichkeit erschien, war eine durchgreifende Veränderung seiner Lebens-
gewohnheiten unverkennbar. Zwar prangte er immer noch im Schmuck
von Zylinder und Rockanzug, und Brust und Füste waren so unbekleidet wie
ehedem. Aber er wandelte des Abends nicht mehr durch die Hauptstraße,
er bettelte nicht mehr und schlug niemandem mehr in der Sehnsucht nach
sorglosem Gefangenendasein auf den Kopf.
Hugo Christoph arbeitete. Den ganzen Tag stand er hinter dem Karren
einer Früchtehändlerin und leitete den Verkauf. „Apfel — Bananen —
Eierrrr! Kauft beim billigen Christoph!"
Eintönig und in regelmäßigen Abständen leierte er seinen Spruch her-
unter. Und das Geschäft florierte. Lachend kaufte man bei dem Sonder-
ling ein, der in Rock und Zylinder und mit todernstem Gesicht seine Herr-
lichkeiten abwog.
Eines Tages trat der spaßliebende Herr Przyszkowsky an den Karren
heran. „Gurken möchte ich haben, Christoph! Warum verkaufst du keine
Gurken mehr?"
Christoph schaute den beleibten Herrn traurig an, ließ sich aber durch
den Witz nicht stören und schnarrte seinen Ruf ins Publikum: „Apfel —
Bananen — Eierrrr!"
„Dann gib mir ein halbes Dutzend Eier, Christoph!" sagte Herr Przysz-
kowsky gutmütig und reichte eine Mark
über die Apfelberge hinweg. Dann streckte
er seine breiten, fleischigen Hände aus
und ließ sich den Kauf hineinlegen.
„— fünf — sechs —" zählte Christoph
gleichmütig.
Herr Przyszkowsky wollte die Hände
zurückziehen,' aber Christoph machte eine
ermunternde Geste und zählte verhei¬
ßungsvoll weiter: „— sieben — acht —
neun —"
Herr Przyszkowsky ließ sich die uner¬
wartete Zugabe schmunzelnd gefallen,
und Christoph lächelte. Wirklich, er lächelte.
Zählte weiter: „—zehn— elf—-zwölf—"
Herr Przyszkowsky machte ein bestürz¬
tes, beinahe unkluges Gesicht und preßte
die Arme fest an den Leib, um den nieder-
prasselnden Eiersegen auffangen zu kön¬
nen. „Aber Christoph!" stammelte er un-
sicher. „Ich wollte doch nur —"
Christoph lächelte, wehrte gutmütig ab
und zählte weiter.
Die Eierpyramide auf den großen
Händen Przyszkowskys wuchs, lehnte sich
an die gewölbte Weste an und verbreiterte
sich über die Arme bis an die Ellbogen —
bis schließlich mit dem besten Willen kein
Ei mehr unterzubringen war.
Verdutzt stand Herr Przyszkowsky auf
der Straße. Er wagte keine Bewegung,
um von dem kostbaren Schatz nichts zu
verlieren, und sah hilfesuchend auf die
lachenden Zuschauer.
Da verließ Christoph seinen Stand,
faßte Herrn Przyszkowsky behutsam unter
die Arme, fingerte ein paar Sekunden
lang an dessen Hüften herum — dann
am Rücken-—
Alles lachte kreischend auf, als Herrn
Przyszkowskys Hose, befreit von den un¬
entbehrlichen Hosenträgern, sich zu Boden
senkte und die nicht ganz reinen Unter-
kleider dem Tageslicht preisgab.
Der Dicke stand starr. Vergeblich versuchte er, über die Eierpyramide
vor seinem Bauche hinweg nach seiner so plötzlich sichtbar gewordenen
Unterwäsche zu spähen. Noch schwankte er Zwischen den beiden Möglich-
keiten, entweder die Eier oder die Hose aufzugeben, und das Gelächter
ringsum wurde zum Gröhlen und Heulen — da drängte sich ein Schutz-
mann durch die Menge.
Im gleichen Augenblick hatte Herr Przyszkowsky sich entschlossen. Er
breitete die Arme aus — dreißig Eier zerklatschten auf dem Pflaster —
blitzschnell raffte er seine Hose auf, die von Eidotterspritzern gelb gesprenkelt
war, und während er eiligst davonstürmte, fingerten seine Hände am
Rücken nach den Haltern der Hosenträger.
Herr Przyszkowsky hat nie wieder Eier eingekauft. Hugo Christoph
mußte seine lohnende Arbeit aufgeben und einen unfreiwilligen Domizil-
wechsel vornehmen — wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses". Und
doch hatte sich außer Herrn Przyszkowsky niemand über die Geschichte
geärgert.
4. Die Sprengung
ls die polnischen Übergriffe jenseits der nahen Grenze eine starke
politische Spannung auch nach Ratibor trugen, gingen in der Stadt
allerlei Gerüchte von polnischen Invasionen, Aufständen und dergleichen
um. Und eines Tages hieß es, die Oderbrücke würde gesprengt.
Flüsternd ging die Schreckensnachricht von Mund zu Mund. Einige
wollten sogar den genauen Zeitpunkt der Sprengung wissen: heute nach-
mittag Punkt fünf-Uhr.
Die Besonnenen wehrten lächelnd ab. Aber das Gerücht verdichtete sich
immer mehr und drang auch in die Amtsstuben der Schutzmannschaft.
Offiziell lachte man im Polizeiquartier über das dumme Gerede; aber
insgeheim wurden die „Kriminaler" aufgeboten. Am Nachmittag steigerte
sich die Erregung, in der Hauptstraße standen lebhaft gestikulierende Leute
in Gruppen beisammen und besprachen die unruhigen Zeitläufte.
Gegen fünf Uhr trieben sich viele sensationslüsterne Leute in der Nähe
... Noch schwankte er zwischen den zwei Möglichkeiten, entweder Eier oder Hose aufzugeben ...
Das Buck für Alle
Erst klopfte er langsam den Staub heraus, dann schlüpfte er in die Hose,
liest sich beim Anlegen des Rockes von dem uniformierten Überbringer
bedienen, schloß pedantisch sämtliche noch vorhandenen Knöpfe und sagte:
„Pierronna!"
Und mit einer freundlichen Geste mahnte er zum Aufbruch nach dem
Amtsgefängnis.
Seitdem soll eine amtliche Beschlagnahme von Kleidungsstücken an den
Ufern der Oder nicht mehr vorgekommen sein.
Z. Die Hose -es Herrn Przyszkowsky
ls Christoph nach geraumer Zeit wieder vor dem Angesicht der Öffent-
lichkeit erschien, war eine durchgreifende Veränderung seiner Lebens-
gewohnheiten unverkennbar. Zwar prangte er immer noch im Schmuck
von Zylinder und Rockanzug, und Brust und Füste waren so unbekleidet wie
ehedem. Aber er wandelte des Abends nicht mehr durch die Hauptstraße,
er bettelte nicht mehr und schlug niemandem mehr in der Sehnsucht nach
sorglosem Gefangenendasein auf den Kopf.
Hugo Christoph arbeitete. Den ganzen Tag stand er hinter dem Karren
einer Früchtehändlerin und leitete den Verkauf. „Apfel — Bananen —
Eierrrr! Kauft beim billigen Christoph!"
Eintönig und in regelmäßigen Abständen leierte er seinen Spruch her-
unter. Und das Geschäft florierte. Lachend kaufte man bei dem Sonder-
ling ein, der in Rock und Zylinder und mit todernstem Gesicht seine Herr-
lichkeiten abwog.
Eines Tages trat der spaßliebende Herr Przyszkowsky an den Karren
heran. „Gurken möchte ich haben, Christoph! Warum verkaufst du keine
Gurken mehr?"
Christoph schaute den beleibten Herrn traurig an, ließ sich aber durch
den Witz nicht stören und schnarrte seinen Ruf ins Publikum: „Apfel —
Bananen — Eierrrr!"
„Dann gib mir ein halbes Dutzend Eier, Christoph!" sagte Herr Przysz-
kowsky gutmütig und reichte eine Mark
über die Apfelberge hinweg. Dann streckte
er seine breiten, fleischigen Hände aus
und ließ sich den Kauf hineinlegen.
„— fünf — sechs —" zählte Christoph
gleichmütig.
Herr Przyszkowsky wollte die Hände
zurückziehen,' aber Christoph machte eine
ermunternde Geste und zählte verhei¬
ßungsvoll weiter: „— sieben — acht —
neun —"
Herr Przyszkowsky ließ sich die uner¬
wartete Zugabe schmunzelnd gefallen,
und Christoph lächelte. Wirklich, er lächelte.
Zählte weiter: „—zehn— elf—-zwölf—"
Herr Przyszkowsky machte ein bestürz¬
tes, beinahe unkluges Gesicht und preßte
die Arme fest an den Leib, um den nieder-
prasselnden Eiersegen auffangen zu kön¬
nen. „Aber Christoph!" stammelte er un-
sicher. „Ich wollte doch nur —"
Christoph lächelte, wehrte gutmütig ab
und zählte weiter.
Die Eierpyramide auf den großen
Händen Przyszkowskys wuchs, lehnte sich
an die gewölbte Weste an und verbreiterte
sich über die Arme bis an die Ellbogen —
bis schließlich mit dem besten Willen kein
Ei mehr unterzubringen war.
Verdutzt stand Herr Przyszkowsky auf
der Straße. Er wagte keine Bewegung,
um von dem kostbaren Schatz nichts zu
verlieren, und sah hilfesuchend auf die
lachenden Zuschauer.
Da verließ Christoph seinen Stand,
faßte Herrn Przyszkowsky behutsam unter
die Arme, fingerte ein paar Sekunden
lang an dessen Hüften herum — dann
am Rücken-—
Alles lachte kreischend auf, als Herrn
Przyszkowskys Hose, befreit von den un¬
entbehrlichen Hosenträgern, sich zu Boden
senkte und die nicht ganz reinen Unter-
kleider dem Tageslicht preisgab.
Der Dicke stand starr. Vergeblich versuchte er, über die Eierpyramide
vor seinem Bauche hinweg nach seiner so plötzlich sichtbar gewordenen
Unterwäsche zu spähen. Noch schwankte er Zwischen den beiden Möglich-
keiten, entweder die Eier oder die Hose aufzugeben, und das Gelächter
ringsum wurde zum Gröhlen und Heulen — da drängte sich ein Schutz-
mann durch die Menge.
Im gleichen Augenblick hatte Herr Przyszkowsky sich entschlossen. Er
breitete die Arme aus — dreißig Eier zerklatschten auf dem Pflaster —
blitzschnell raffte er seine Hose auf, die von Eidotterspritzern gelb gesprenkelt
war, und während er eiligst davonstürmte, fingerten seine Hände am
Rücken nach den Haltern der Hosenträger.
Herr Przyszkowsky hat nie wieder Eier eingekauft. Hugo Christoph
mußte seine lohnende Arbeit aufgeben und einen unfreiwilligen Domizil-
wechsel vornehmen — wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses". Und
doch hatte sich außer Herrn Przyszkowsky niemand über die Geschichte
geärgert.
4. Die Sprengung
ls die polnischen Übergriffe jenseits der nahen Grenze eine starke
politische Spannung auch nach Ratibor trugen, gingen in der Stadt
allerlei Gerüchte von polnischen Invasionen, Aufständen und dergleichen
um. Und eines Tages hieß es, die Oderbrücke würde gesprengt.
Flüsternd ging die Schreckensnachricht von Mund zu Mund. Einige
wollten sogar den genauen Zeitpunkt der Sprengung wissen: heute nach-
mittag Punkt fünf-Uhr.
Die Besonnenen wehrten lächelnd ab. Aber das Gerücht verdichtete sich
immer mehr und drang auch in die Amtsstuben der Schutzmannschaft.
Offiziell lachte man im Polizeiquartier über das dumme Gerede; aber
insgeheim wurden die „Kriminaler" aufgeboten. Am Nachmittag steigerte
sich die Erregung, in der Hauptstraße standen lebhaft gestikulierende Leute
in Gruppen beisammen und besprachen die unruhigen Zeitläufte.
Gegen fünf Uhr trieben sich viele sensationslüsterne Leute in der Nähe
... Noch schwankte er zwischen den zwei Möglichkeiten, entweder Eier oder Hose aufzugeben ...