Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
d erO d erdrücke h erum,
gespannt und in steter
Bereitschaft, vor der
erwarteten Explosion
Deckung zu suchen.
Einige harmlos aus-
s eh end eBürg er gingen
langsam hin und her
und sahen so auffal¬
lend gleichgültig ab
und zu nach den
Brückenpfeilern, daß
jeder sofort wußte:
„Geheime!"
Die Uhr vom Nat-
hausturm schlug fünf.
Nichts rührte sich. Die
Geheimen zuckten lä¬
chelnd die Schultern;
aber sie blieben. Und
niemand betrat die
Brücke.
Nur einer wagte
sich hinaus auf den
bedrohten Bau. Hugo
Christoph. In Rock
und Zylinder, ohne
Hemd und ohne
Schuhe, wandelte er
gemächlich hinüber
zum anderen Ufer.
Statt des Stockes
hielt er eine gewaltige
Gießkanne in der
Hand, und ein Sprüh¬
regen ergoß sich auf
das Pflaster. Punkt
fünf Uhr nachmittags
„ sprengte"Hugo Chri¬
stoph die Oderbrücke.
Die Geheimen sahen sich an und gingen nach Hause. Ob das ganze Ge-
rücht vonChristoph inszeniert worden war, konnte niemals festgestellt werden.
5. Vas Jubiläum
ls ich vor zwei Jahren kurze Zeit in Ratibor weilte, begegnete ich
einem wunderlichen Zug. Ein mächtiger Ochse zog einen zweiräde-
rigen Handkarren durch die Straßen. Um die Hörner des Tieres schlangen

sich grüne Girlanden,
auf seinem breiten
Rücken lag eine alte
rote Bettdecke, und
am Schwänze pendel-
te ein angebundener
Blumenstrauß.
DerKarrenwarmit
einem Geflecht aus
Tannengrün, Draht
und Blumen balda-
chinartig überdacht,
und die Speichen
der Räder schmückten
bunte Papierschlan-
gen.
Auf dem schwan-
kenden Wagen, inmit-
ten der festlichen Far-
ben, stand ein hagerer
Mann in Rock und
Zylinder, ohne Hemd
und ohne Schuhe. Er
warf Primeln und
Gänseblümchen auf
die Straße und ent-
lockte gleichzeitig einer
Mundharmonika tief-
sch au erlich eMelodi en.
Ich blieb steh en und
schaute verblüfft dem
so seltsamen Gefährt
nach.
„Feiert man hier
Karneval im Som-
mer?" fragte ich einen
Vorübergehenden.
Der lachte. „Siesind
wohl fremd hierinRa-
tibor?" erwiderte er.
„Allerdings!" gestand ich. „Ich bin erst seit gestern hier."
„Dann kennen Sie Hugo Christoph freilich nicht. Der Mann im Rock ist
Christoph!"
„So? Na, und?"
„Christoph feiert heute ein bedeutsames Jubiläum!"
„Ein Jubiläum?"
„Ja. Er wandert soeben zum fünfzigsten Male ins Kittchen!"
Dann ließ ich mir von Hugo Christoph, dem Mann im Rock, erzählen.

... Punkt fünf Uhr sprengte Christoph die Brücke ...



Der Anlaß zur Sizilianischen Vesper
Zu dem Bild auf Seite 19

s^X en Anfang eines der blutigsten Dramen der Weltgeschichte zeigt unser
F^^Bild auf Seite 19. Eine Glanzperiode deutscher Geschichte steht vor
ihrem Ende. Die Weltherrschaft der Hohenstaufenkaiser hatte diese in Kon-
flikt mit den Päpsten gebracht, die sich als rechtmäßige Herren Italiens
betrachteten. Rund ein Jahrhundert tobte der erbitterte Kampf zwischen
den Italien beherrschenden deutschen Kaisern und ihren Gegnern. Bis zu-
letzt hatte das von Friedrich Barbarossa begründete Königreich Sizilien
hartnäckigen Widerstand geleistet. Noch im Jahre 1258 war in Palermo
ein Staufer, Konrads IV. Sohn Manfred, gekrönt worden. Doch schon
unterhandelte der ehrgeizige Papst UrbanIV. mit dem französischen Prin-
zen Karl von Anjou. Dieser zog mit einem Heer nach Italien, um Sizilien
zu erobern. Bei Benevent kam es am 26. Februar 1266 zur Entscheidungs-
schlacht zwischen ihm und Manfred. Durch schmählichen Verrat italienischer
Truppen wurde Manfred besiegt und fand den Heldentod. Nun wurde
Karl von Anjou König von Neapel und Sizilien und wütete aufs grau-
samste gegen alle Anhänger der Staufer. Der mißhandelte sizilische Adel,
die Ghibellinen, rief Konrads IV. sechzehnjährigen Sohn Konradin zur Ver-
geltung nach Italien. Doch auch dieser wurde bei Scurcola vernichtend ge-
schlagen und am 29. Oktober 1268 auf Befehl Karls in Neapel enthaupt et.
Nach seinem Fall kannte das Wüten Karls gegen die Anhänger der
Staufer keine Grenzen mehr. Sein blinder Haß knechtete die Insel auf
das empörendste. Die Ghibellinen wurden eingesperrt und hingerichtet,
ihre Güter beschlagnahmt. Selbst Karls Lehensherren, die Päpste, mußten
sich seiner Machtgier beugen. Ein Weltreich, größer noch als das der
Staufer, erträumte sein Sinn. Doch noch niemals sind die Bäume in den

Himmel gewachsen. Ein letzter Getreuer Konradins, Johann von Pro-
cida aus Salerno, schwur dem französischen Tyrannen grimmige Rache.
Er floh zu Manfreds Schwiegersohn, dem König Peter III. von Ara-
gonien, und forderte ihn zu einem Kriegszug gegen den fremden Tyrannen
auf. Auch den Kaiser von Byzanz vermochte er für seine Pläne zu ge-
winnen. Gleichzeitig schürte er unter den erbitterten Einwohnern der
Insel zum Aufstand gegen Karls Willkür. Die Stunde der Befreiung
brach an, Peters Flotte war bereits im Anzug. In der Vesperstunde des
30. März 1282 entlud sich das drohende Gewitter mit elementarer Wucht.
Auf dem Wege zur Abendandacht wurde in Palermo eine sizilianische
Jungfrau von einem Franzosen namens Drouet in unerhörter Weise be-
lästigt. Zwei edle Jünglinge eilten der Mißhandelten zu Hilfe und streckten
den Unverschämten zu Boden. Im Nu kamen die heimlich verborgenen
Waffen zum Vorschein, und wie ein Mann raste die wütende Menge
gegen die Franzosen. Die untergehende Sonne beleuchtete ein grausiges
Blutbad, ähnlich dem der Pariser Bartholomäusnacht zur Zeit der Huge-
nottenkämpfe. Mit Windeseile verbreitete sich der Aufstand über die ganze
Insel. In Catania wurden achttausend, in Messina dreitausend Franzosen
erschlagen, und nur zwei französische Edelleute entkamen. Wenige Tage
darauf landete auch Peter von Aragonien, schlug Karls Flotte und nahm
die Königswürde aus den Händen der dankbaren Sizilianer an. Der helden-
mütige Kampf des Volkes gegen fremde Übermacht und die ihn einleitende
„Sizilianische Vesper" wurden von Dante in seiner „Göttlichen Komödie"
verherrlicht und sind auch weiterhin ein häufig verwendeter Stoff der
Weltliteratur gewesen.
 
Annotationen