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Heft i

Ein Hündchen wartet
Krimmalnovelle von Lllgernon I. Eldridge

ankbarkeit! sagte mein Freund, der Polizeisergeant Pat Mooney. Er
maß zwei Meter in Strümpfen, war fast halb so breit und von entspre-
chendem Schwergewicht, wasich imAuge zuhaltenbitte. Dankbarkeit, unver-
fälscht und wahr, kennt eigentlich nur das Tier. Skinny hier zum Beispiel —
er wies auf seinen kleinen, alten Hund unbestimmter Nasse, der auf einem
Fetzen Segeltuch zu unseren Füßen lag, während wir selbst auf einer Nolle
Tauwerk saßen, den nächtlichen Fluß vor uns, auf dem die roten, grünen
und weißen Lichter vorüberglitten —, Skinny hier hat's mir wirklich ge-
dankt, daß ich ihn, er war noch ein jämmerlich kleiner, halbverhungerter
Löter und daher auch sein Name, einer Rotte fortnahm, die ihn nach Lause-
bengelart zu Tode gequält haben würden, er hat mir wahrscheinlich das
Leben gerettet. Und wenn der Halbmondtim und seine Spießgesellen, die
damals, vor bald zehn Jahren, den ganzen Hafen unsicher machten mit
Stehlen, Rauben und Morden, wenn diese bösen Brüder schließlich doch
noch vor die Schranken kamen und ihren Richter fanden, so war das eigent-
lich auch Skinnys Verdienst. Denn Skinny ist mir nicht mehr von der Seite
gewichen, seitdem wir Bekanntschaft gemacht hatten. Wo Pat Mooney
ist, da ist auch Skinny und umgekehrt, das wußte schon damals, zu Halb-
mondtims Zeiten, fast jedes Lind im Stadtviertel. Und wenn ich mal in
einem Hause zu tun habe, so sitzt er auch heute noch auf der anderen Seite
der Straße, wartet, bis ich wieder herauskomme, und würde warten bis
zum Jüngsten Tage. Wenn man ihn verscheuchen will, dann läuft er ein
paar Schritte weg, kommt aber sogleich wieder, sobald die Luft rein ist.
Locken läßt er sich nur von mir, sonst von niemandem. Und lediglich darin
bestand sein kleiner Trick, von dem ich Ihnen erzählen will.
Eines schönen Tages — es war eigentlich alles andere als schön, denn
es fisselte aus 'nem dicken, gelben Dunst runter — tat ich vertretungsweise
Dienst in einer Gegend, in die ich bis dahin nur selten gekommen war. Es
war der, man könnte fast sagen, aristokratische Teil von unserem Viertel.
Ganz nette Straßen mit Einfamilienhäusern, in denen, wenn auch gerade
keine Mitglieder des Oberhauses, so doch auch nicht solche Leutchen zu
wohnen pflegten, von denen unsereiner im Vorübergehen immer eins
über den Schädel zu erwarten hat, wie es weiter unten am Hafen der Fall
ist. Bevor ich mich aber auf meinen Posten begab, sprach ich auf dem Wege
noch einmal bei Jessika Potters vor, die damals mein bestes Mädel war.
„O Herr Mooney!" sagte Jessika, „wenn Vater das erfährt, daß Sie
schon wieder hier gewesen sind! Und nein! wie naß Sie sind! Kommen
Sie mir nur ja nicht zu nahe! Pfui! Schämen Sie sich denn nicht? Und
noch dazu mit dem feuchten Schnurrbart! Vater hat ganz recht: Schutz-
leute taugen alle nichts! Großmächtig über die Straße stolzieren und den
Mädels untern Hut gucken oder kleine Jungs bang machen, das ist alles,
was ihr versteht. Aber die Spitzbuben feiern alle Tage Weihnachten, Ostern
und Pfingsten auf einmal!"
„Jessika, mein Schatz," sagte ich, „was du wohl für 'ne Ahnung hast, wie
schwerunserBerufist! Solltestmir lieber noch 'nen Kuß geben zur Stärkung!"
„Nicht einen kriegst du mehr, Pat Mooney," sagte das freche Ding,
witschte mir unter den Händen fort und ins Zimmer hinein. „Nicht einen!"
rief sie durch den Türspalt, „bevor du nicht den Halbmondtim beim Schlafitt
genommen hast!" lachte sie. „Und wenn du dafür befördert wirst, dann
kannst du mal wieder wegen unserer Hochzeit anfragen!"
„Ist das dein letztes Wort, Jessie?"
„Mein letztes Wort, mein süßer Patsy! Und nun mach', daß du ver-
schwindest, sonst kommt Vater!"
Ich war außer mir, als ich meinem Revier zuging. Ich glaube, ich trat
sogar mit dem Fuß nach Skinny, der naß wie 'ne Wasserratte neben mir
hertrabte und mich vorwurfsvoll ansah. Mißmutig ging ich meine Straßen ab.
Da siel mir ein feiner, dünner Rauch auf, der an einem ziemlich ver-
nachlässigten, unfreundlichen, etwas alleinstehenden Hause durch die Ritzen
eines Fensters im Erdgeschoß herauskam. Na, deren Lamin zieht wohl
schlecht bei dem miserablen Wetter, dachte ich und wollte weitergehen. Aber
mit einem zweiten Blick — die Gardinen standen in der Mitte ein wenig
auseinander — sah ich, daß das Zimmer hinter dem Fenster hellblau war
vor Rauch. Hier mußte denn doch wohl was geschehen! Ich klopfte. Nie-
mand kam. Ich rüttelte an der Tür. Mit einem kräftigen Ruck flog sie
auf und ich auf allen vieren in den Hausflur. Rasch rappelte ich mich wieder
hoch und lief durch Vorder- und Hinterzimmer. Leine Menschenseele! Aber
alles voll beizenden Rauchs, der augenscheinlich aus dem Untererdgeschoß
kam. Jedoch war mir die Ursache des Qualms zunächst nicht von Wichtigkeit.

Und auch nicht das Aussehen der Räume, die trotz der Gardinen und Vor-
hänge an den Fenstern mehr Ähnlichkeit mit Lagerschuppen als mit Zim-
mern hatten, so vollgestopft waren sie mit Listen und Lasten, Ballen und
Säcken aller Art, während Möbel so gut wie gänzlich fehlten. All das be-
merkte ich nur im Fluge und sprang, ohne mich rpeiter aufzuhalten, die
Treppen hinauf, um auch die Schlafzimmer abzusuchen. Im ersten, im
zweiten, deren Türen nicht verriegelt waren, sah's um ein Haar so aus wie
unten. Von Einrichtung kaum eine Spur. Nur ein paar unordentliche
Betten zwischen den fast bis zur Decke geschichteten Listen und Ballen und
der eine oder andere wacklige Stuhl. Die Tür zum dritten, kleinsten, nach
dem Hofe zu gelegenen Zimmer war verschlossen, gab jedoch einem kräftigen
Fußtritt nach. Und hier, Sir, hier lag auf einem niedrigen Feldbett das
einzige lebende Wesen im Hause und stierte mir aus todesbangen Augen
entgegen: ein verdammt hübsches junges Mädel, fast noch ein Lind, wie
es schien, und bis zum Halse unter einer groben, dicken Decke verborgen!
Lrank? Gelähmt? schoß es mir durch den Lopf. Aber als ich, um zu
fragen, den Mund öffnete, fuhr mir der stinkende Rauch in die Lungen,
der in immer dichteren Schwaden von unten heraufquoll und ins Zimmer
drang, und ein Schwindel faßte mich. Hier war keine Zeit zum Reden!
Mit beiden Armen griff ich zu, um die vermeintliche Lranke mitsamt ihren
Decken aufzuheben und hinauszutragen. Aber ich konnte sie nicht aufheben.
Und nun bemerkte ich erst, daß ihr der Mund mit einem Tuch zugebundeu
war und daß man sie mit Riemen, die quer über Brust, Leib und Beine
gezogen waren, an die Bettstatt geschnürt hatte. Ich bückte mich, um die
Schnallen zu lösen, aber von Sekunde zu Sekunde wurde mir übler, taume-
liger zumute. Das Blut sauste mir in den Ohren, die Hände wurden zittrig
und kraftlos, und ehe ich noch zum Fenster eilen konnte, um es einzu-
schlagen, warf's mich zu Boden, mit dem Oberkörper über das Bett, und
ich verlor die Besinnung.-
Als ich wieder zu mir kam, schien es mir, als hätte ich Jahre in einem
tiefen Leller oder im Grabe gelegen. Nur ganz langsam kehrte das Be-
wußtsein zurück, und da erkannte ich an dem noch immer in dünnen
Schwaden unter der Decke hängenden Rauch, daß wohl nur kurze Zeit
vergangen war, seitdem das Unwohlsein mich überfallen hatte. Aber ich
befand mich nicht mehr am Bett des jungen Mädchens im kleinen Zimmer,
sondern im größeren Raum nach vorne heraus. Und ich lag auch nicht mehr,
sondern ich saß, und zwar in einem altväterischen Lehnstuhl, und durch
das oben geöffnete Fenster strömte kalte, frische Luft herein und kämpfte
mit den Resten der scheußlichen Brandgase. Als ich aber die Hand zur Stirn
führen wollte, denn dort schmerzte es wie toll, da — was war das? —
bemerkte ich, daß ich gefesselt war! Und als ich aufspringen wollte, sank
ich zurück, denn ich war am Stuhl festgebunden! Diese Entdeckung wirkte
erfrischender auf meine Lebensgeister als ein Wasserglas voll Schnaps!
Und zum Überfluß sah ich nun auch noch mir gegenüber im Halbdunkel
des trüben Novembertages einen Lerl auf einer Liste hocken; er blickte
gerade in die Mündung eines Schießeisens, das dem meinigen glich wie
ein Zwilling dem anderen! Und während das kleine runde Loch mir hübsch
sauber mitten zwischen die Augen zielte, hörte ich eine knurrende Stimme
sagen: „Sitz' mucksstill, Hundesohn, sonst pust' ich dich aus wie 'n Licht!"
Na, auf den Ton einzugehen, hätte für mich wenig Sinn gehabt, soviel
war mir ohne weiteres klar. Ich verlegte mich daher aufs Parlamentiereu
und versuchte währenddem, vorsichtig und unbemerkt die Schlingen uni
die Hände zu lockern.
„Seid Ihr der Chef von diesem hübschen Warenhaus?" fragte ich mein
brummiges Gegenüber so liebenswürdig, als es mir möglich war, „dann
sagt doch Eurem Oberingenieur, es stimme irgend was nicht mit der Venti-
lation oder mit der Zentralheizung. Was sollen denn die Lunden denken,
wenn's so schlecht riecht bei euch? Die junge Dame drüben — oder ist's
die Leiterin vom Modesalon? — hat schon zuviel gekriegt. Selbst mir hat's'
so den Atem versetzt, daß ich mich überhaupt nicht rühren kann!"
„Wart' nur, bis der Boß kommt!" fauchte der in der Ecke, „dann wirst
du das Herumschnuppern schon bald aufgeben, mein Bürschchen!"
„So ist er's, der so stinkt? Allerhand! Das muß man sagen!"
„Halt die Llappe!" schrie der Lerl. „Halt dein ungewaschenes Maul,
sonst fertige ich dich alleine ab!"
„Das wäre mir angenehm!" konnte ich noch sagen, „denn ich möchte
eigentlich gerne bald wieder weiter," da kam, immer eine Stufe über-
springend, ein Mann die Treppe herauf. Scheinbar war ihm ein anderer
 
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