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Heft 2

Das Buch für Alle

33


recht sahen. Ich hab' das Ding in meiner Hand gehalten. Ein
seiner junger Kerl hätt' die Kette an ihn verkauft, sagt' der Mann."
„Denn is es Gina ihr' Kette nich gewesen. Den Smuck von
ihr' Mudder würd' sie nich weggeben. Der is ihr lieb."
„Je nu, an ein', den man liebhat, verehrt ein', was ein' lieb is —"
„Wahre deine Worte!"
„Ein feiner junger Kerl mit swarzen Haaren un Augen, ganz
wie der Trödeljud' ihn beschrieben hat, verkehrt bei dein' Gina,
wenn du dr nich bist. Da dran is nir zu deuteln. Den haben viele
bei ihr gesehen."
„Das lügst! — Das lügst! — Es is dein un deiner Frau
Trachten, Unfrieden anzustiften zwischen mir unmein' Frau. Aber
das soll euch nich einslagen. Auf so'n flattrige, aus den Fingern
gesogene Anklage spuck' ich!"
„Frag' dein' Frau doch nach ihr' Kette. Latz sie dir die Kette
doch weisen. Kann sein, sie erzählt dir ein' fein ausgedachte Ge-
schichte von das Verswinden von ihr' gelbe Klunkern un das Auf-
tauchen von ihren Liebsten — un wenn es dir Spatz macht, kannst
ihr' Erfindungen ja Glauben schenken."
„Ich will sie nach der Kette fragen! Ich will die Kette mir
weisen lassen. Un wenn mein' Gina sie mir weisen kann — sie
wird's können, das steht mir so fest wie mein Glaube an unseren
Herrgott! — denn will ich dich auf dein' Knien vor mein' un-
schuldige Frau sleifen, un du sollst ihr Abbitte tun für den Schimpf,

den du ihr vor all den Menschen hier angetan hast! Un wenn du
dich weigerst — wenn du dich weigerst! — so vergess' ich, datz wir
einen Vadder gehabt haben — un erwürg' dich mit diesen
meinen Händen!"
Hinnerk nickte gleichmütig, „Das tu man. Un wenn sie die
Kette nich hat, dein' Eina — wie ich behaupte — denn zahlst
mir fufzig Mark."
Wilm antwortete nicht mehr. Er stürmte aus der Gaststube,
stürmte aus dem Haus. Er fühlte den schneidenden Wind nicht,
der ihm entgegenblies, nicht die Graupeln, die wie Peitschen-
schnüre ihm ins Gesicht schnitten. Wie das Eeschotz aus dem Lauf
raste er durch die stockfinstere Nacht unaufhaltsam geradeaus zu
seiner Kolonie, geradeaus zu der Frau — der Frau, die sein Herz,
seine Sinne umklammerten mit dem Überschwang einer ersten,
späten Leidenschaft — die der Untergrund war, auf dem sein
Leben aufgebaut stand. Wenn s i e ihn betrog, so schwebte er im
Leeren, so gab's auf der Welt keinen Halt und kein Ziel mehr
für ihn. — Aber sie betrog ihn ja nicht. Nur der Neid und Hatz
seines Bruders ersannen solch wahnsinnigen Verdacht. — Heim-
kommen! Nur rasch Heimkommen, damit der böse Traum zer-
rinnt, damit man lachen kann über die törichte Angst. — Die
Angst blieb doch. Sie schnürte ihm die Kehle zu, sie machte sein
Herz wie einen Dampfhammer klopfen. Wer kann der Furcht
wehren, wenn es um sein Liebstes geht? —

2. 1928
 
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