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Das B u ch f ü r Alle
Heft
Äarie Antoinettes letzte Tage
Äon «LLbsbbt Dill
er Halsbandprozeß der Königin Marie Antoinette von Frankreich, der
^/österreichischen Kaisertochter, der wie ein Erdbeben ganz Europa er-
schütterte, war abgerollt. Kardinal Rohan war verbannt, die Gräfin
Lamotte fast mit dem auf den Rücken eingebrannten Stempel „Volsuss"
(„Diebin") im Gefängnis, ihr Gatte war nach England entflohen, die Mit-
schuldigen verhaftet oder entlassen, die Welt begann sich zu beruhigen.
Nicht aber die Königin Marie Antoinette. Denn sie fühlte sich, trotzdem
der Betrug aufgedeckt war, schwer bloßgestellt.
Gerüchte, ungreifbar und unbestimmbar, umschwirrten ihr schönes weiß-
gepudertes Haupt. Der Prozeß hatte ihren Ruf verdunkelt.
Die Ranksucht erhob ihr Haupt und zischelte. Wie kommt es, daß ein Kar-
dinal, ein Lebemann wie Rohan, es wagen konnte >— — — zu glauben... ?
Alle Erklärungen, die der Prozeß gebracht, lüfteten den Schleier nicht.
Als es der Lamotte gelang, aus dem Gefängnis zu entfliehen, war man
allgemein der Überzeugung, daß die Königin, die die Nähe dieser gefähr-
lichen Intrigantin fürchtete, die Hand dabei im Spiele gehabt hatte. Wer
weiß es? Auch über diese Flucht ist rätselhafte Dunkelheit gebreitet.
Die glücklichen Tage der Königin waren für immer vorbei.
Nun begannen die dunklen.
Marie Antoinette, die in einem einzigen Schicksal alles vereinigte, alle
Reize, alle Vorzüge, alle glänzenden Gaben, alle Leiden und alle Schmer-
zen, gehört« zwei Ländern, ihrem heimatlichen Österreich und der neuen
Heimat Frankreich.
Sie war nicht hoffnungsreich wie später ihr Gemahl, der noch auf dem
Weg zur Guillotine einen Netter zu finden hoffte, sie ahnte das dunkle
Ende des letzten Weges. Und alle schlimmen Ahnungen wurden ihr erfüllt.
Das letzte Bild der Königin, das Paul Delaroche von ihr gemalt, gibt sie
wieder, wie sie in dem letzten Jahre aussah, ungeschminkt und mit unge-
pudertem, weißgewordenem Haar, schwarz gekleidet, ruhig, melancholisch
und ergeben, mit vom Leid gezeichneten feinen Zügen und der unnach-
ahmlich stolzen Kopfhaltung.
Ihr Gefängnis wird heute den Neugierigen als Sehenswürdigkeit ge-
zeigt. Von der engen Pforte zu der schmutzigen Gruft, in der man die
Königin monatelang gefangenhielt, schweigen die Schmähschriften, und vor
ihr beugen sich die Köpfe, die Blicke schweifen über die feuchten Wände
dieser engen, dunklen Zelle, in der sie ihre Hinrichtung erwartete, in der
sie hungerte und fror.
Es war alles vorüber, der 14. Juli,
der Sieg der Jakobiner, der Sturz
des Königtums, die stürmische Über¬
führung der königlichen Familie in die
Tuilerien, die Ermordung der Schwei¬
zer Wachen, der Tag, als man dem
König den roten Jakobinerhut auf¬
setzte. Am 13. August 1792 wurden der
König, die Königin, ihre Kinder, Ma¬
dame Elisabeth und die Gouvernante
in den kleinen Gefängnisturm über¬
geführt.
Die Marseillaise umbrauste den
Turm.
Madame Veto ... Madame Veto
... auf den Straßen tanzte man. Das
Königtum war tot.
Welches Leben im Gefängnis für
die Königin!
Beschimpfungen in jedem Gruß,
jedem Wort, das man an sie richtet,
Schmerzen in jeder Minute, Spio¬
nageblicke aus allen Türritzen, aus den
Winkeln kriechen die Beschämungen
heran, haßerfüllte Blicke, wenn die
Königin es wagt, einmal in dem engen
Gefängnisgarten Luft zu schöpfen,
man drängt sich an das Gitter, begafft
die dahinwandernde bleicheFrau und
ruft ihr Schmähnamen zu. Alles ist
finster und düster um sie geworden,
wie die engen Steintreppen, die dicken
Mauern. In diesen Räumen hat man den königlichen Stolz gedemütigt,
stündlich, jede Minute bringt eine Demütigung, einen neuen Schrecken,
den sie in der Versammlung aussinnen. Gefangen und gebeugt, gebun-
den die feinen Hände, verdammt zur Untätigkeit, zur Unbeweglichkeit,
sitzt die Königin an dem vergitterten Fenster.
Man hat ihr eine Stickerei gelassen, an der sie mit ihren feinen Händen
arbeitet, mit ihren vom Nachtwachen geröteten Augen. Sie friert, ihre Klei-
der sind aufgebraucht, man ersetzt sie nicht. Mag sie in Lumpen gehen, die
Frau des Louis Cap et.
Ihre Kammerfrau flickt ihr die paar schwarzen Fähnchen zusammen.
Der König gibt seinem Sohn Nachhilfestunden in seiner engen Zelle.
Abends beim Schein einer elenden Lampe liest er der Königin, seiner
Tochter und der Schwester Elisabeth, die mit ihnen das Gefängnis teilt,
vor. Keine laute Klage hört man von dem König. Er ist ergeben, geduldig
und still. Von dem, was er in diesen letzten Tagen durchlitten, zeigt er
nichts.
Seit dem 13. August ist die königliche Familie im Temple eingesperrt.
Uber die Stadt haben sich die Schmähschriften ergossen, schreiende Kari-
katuren bekleben die Mauern voll Schmähungen und Angriffen.
. Am 23. August hat man dem König seinen Degen abgenommen.
Am 3. September fanden die Metzeleien statt. Man zeigte Marie
Antoinette den blutenden Kopf der Prinzessin de Lamballe, den man,
auf eine Stange gesteckt, vorübertrug, während die königliche Familie bei
Tisch saß.
Es war sehr kalt in den düsteren Räumen des Temple, die kleinen Ofen
heizten schlecht und vermochten die feuchte Kühle der dicken Mauern nicht
zu verscheuchen, und die Königin zitterte des Nachts vor Frost unter ihrer
dünnen Bettdecke.
Manchmal warf man der Königin Blumen durch das Gitter, wenn sie
in ihrem dumpfen Gärtchen spazierenging. Aber solche mitleidigen Seelen
büßten ihre Gefühle meist.
Als die Republik am 21. September 1792 verkündet wurde, war der
König achtunddreißig Jahre alt, die Königin sechsunddreißig, Elisabeth
achtundzwanzig, der Thronfolger sieben, seine Schwester vierzehn. In ihrer
jungen Ehe hatte Marie Antoinette diesen linkischen scheuen Königgemahl
nicht geachtet, er war so unköniglich, so einfach, er hatte einen so primitiven
Geschmack und war am liebsten mit
urwüchsigen Jägern oder Handwer-
kern zusammen. In der Gefangen-
schaft erst lernte sie ihn schätzen, nach-
dem er alles verloren hatte, seine
Armeen, Reichtum, Thron, Krone,
Freiheit und Glanz, hatte er eines
gewonnen: die Liebe Marie Antoi-
nettes. Die Tage des Glücks lagen
versunken hinter ihr. Der Kummer
hatte ihr Haar gebleicht, ihre Züge
waren herb und ernst geworden, der
Blick fest und melancholisch, nur ihre
Haltung war dieselbe stolze geblieben.
Im Grund war es das, was man
ihr nicht verbarg, daß sie eine Deutsche
war, der ganze Haß des Volkes rich-
tete sich gegen die Ausländerin.
Am 26. Oktober wurden Marie
Antoinette, ihre Kinder und Madame
Elisabeth in den großen Turm des
Gefängnisses übergeführt, in den drit-
ten Stock über dem Wohnraum ihres
Gatten. Eine schwere Eichentüre und
eine zweite eiserne Türe schlossen
diese Etage ab. In diesem Turm blieb
Louis XVI. bis zum 21. Januar 1793,
dem Tag seiner Hinrichtung, Marie
Antoinette bis zum 2. August.
Als Marie Antoinette am 1. August
1793 ihren letzten Kerker betrat, schie-
nen über den: niedrigen Eingang
die Worte Dantes aufzuflammen:
Marie Antoinette mit ihren Kindern
Nach einem Gemälde von Frau Vische-Lebruu im Museum zu Versailles
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Äarie Antoinettes letzte Tage
Äon «LLbsbbt Dill
er Halsbandprozeß der Königin Marie Antoinette von Frankreich, der
^/österreichischen Kaisertochter, der wie ein Erdbeben ganz Europa er-
schütterte, war abgerollt. Kardinal Rohan war verbannt, die Gräfin
Lamotte fast mit dem auf den Rücken eingebrannten Stempel „Volsuss"
(„Diebin") im Gefängnis, ihr Gatte war nach England entflohen, die Mit-
schuldigen verhaftet oder entlassen, die Welt begann sich zu beruhigen.
Nicht aber die Königin Marie Antoinette. Denn sie fühlte sich, trotzdem
der Betrug aufgedeckt war, schwer bloßgestellt.
Gerüchte, ungreifbar und unbestimmbar, umschwirrten ihr schönes weiß-
gepudertes Haupt. Der Prozeß hatte ihren Ruf verdunkelt.
Die Ranksucht erhob ihr Haupt und zischelte. Wie kommt es, daß ein Kar-
dinal, ein Lebemann wie Rohan, es wagen konnte >— — — zu glauben... ?
Alle Erklärungen, die der Prozeß gebracht, lüfteten den Schleier nicht.
Als es der Lamotte gelang, aus dem Gefängnis zu entfliehen, war man
allgemein der Überzeugung, daß die Königin, die die Nähe dieser gefähr-
lichen Intrigantin fürchtete, die Hand dabei im Spiele gehabt hatte. Wer
weiß es? Auch über diese Flucht ist rätselhafte Dunkelheit gebreitet.
Die glücklichen Tage der Königin waren für immer vorbei.
Nun begannen die dunklen.
Marie Antoinette, die in einem einzigen Schicksal alles vereinigte, alle
Reize, alle Vorzüge, alle glänzenden Gaben, alle Leiden und alle Schmer-
zen, gehört« zwei Ländern, ihrem heimatlichen Österreich und der neuen
Heimat Frankreich.
Sie war nicht hoffnungsreich wie später ihr Gemahl, der noch auf dem
Weg zur Guillotine einen Netter zu finden hoffte, sie ahnte das dunkle
Ende des letzten Weges. Und alle schlimmen Ahnungen wurden ihr erfüllt.
Das letzte Bild der Königin, das Paul Delaroche von ihr gemalt, gibt sie
wieder, wie sie in dem letzten Jahre aussah, ungeschminkt und mit unge-
pudertem, weißgewordenem Haar, schwarz gekleidet, ruhig, melancholisch
und ergeben, mit vom Leid gezeichneten feinen Zügen und der unnach-
ahmlich stolzen Kopfhaltung.
Ihr Gefängnis wird heute den Neugierigen als Sehenswürdigkeit ge-
zeigt. Von der engen Pforte zu der schmutzigen Gruft, in der man die
Königin monatelang gefangenhielt, schweigen die Schmähschriften, und vor
ihr beugen sich die Köpfe, die Blicke schweifen über die feuchten Wände
dieser engen, dunklen Zelle, in der sie ihre Hinrichtung erwartete, in der
sie hungerte und fror.
Es war alles vorüber, der 14. Juli,
der Sieg der Jakobiner, der Sturz
des Königtums, die stürmische Über¬
führung der königlichen Familie in die
Tuilerien, die Ermordung der Schwei¬
zer Wachen, der Tag, als man dem
König den roten Jakobinerhut auf¬
setzte. Am 13. August 1792 wurden der
König, die Königin, ihre Kinder, Ma¬
dame Elisabeth und die Gouvernante
in den kleinen Gefängnisturm über¬
geführt.
Die Marseillaise umbrauste den
Turm.
Madame Veto ... Madame Veto
... auf den Straßen tanzte man. Das
Königtum war tot.
Welches Leben im Gefängnis für
die Königin!
Beschimpfungen in jedem Gruß,
jedem Wort, das man an sie richtet,
Schmerzen in jeder Minute, Spio¬
nageblicke aus allen Türritzen, aus den
Winkeln kriechen die Beschämungen
heran, haßerfüllte Blicke, wenn die
Königin es wagt, einmal in dem engen
Gefängnisgarten Luft zu schöpfen,
man drängt sich an das Gitter, begafft
die dahinwandernde bleicheFrau und
ruft ihr Schmähnamen zu. Alles ist
finster und düster um sie geworden,
wie die engen Steintreppen, die dicken
Mauern. In diesen Räumen hat man den königlichen Stolz gedemütigt,
stündlich, jede Minute bringt eine Demütigung, einen neuen Schrecken,
den sie in der Versammlung aussinnen. Gefangen und gebeugt, gebun-
den die feinen Hände, verdammt zur Untätigkeit, zur Unbeweglichkeit,
sitzt die Königin an dem vergitterten Fenster.
Man hat ihr eine Stickerei gelassen, an der sie mit ihren feinen Händen
arbeitet, mit ihren vom Nachtwachen geröteten Augen. Sie friert, ihre Klei-
der sind aufgebraucht, man ersetzt sie nicht. Mag sie in Lumpen gehen, die
Frau des Louis Cap et.
Ihre Kammerfrau flickt ihr die paar schwarzen Fähnchen zusammen.
Der König gibt seinem Sohn Nachhilfestunden in seiner engen Zelle.
Abends beim Schein einer elenden Lampe liest er der Königin, seiner
Tochter und der Schwester Elisabeth, die mit ihnen das Gefängnis teilt,
vor. Keine laute Klage hört man von dem König. Er ist ergeben, geduldig
und still. Von dem, was er in diesen letzten Tagen durchlitten, zeigt er
nichts.
Seit dem 13. August ist die königliche Familie im Temple eingesperrt.
Uber die Stadt haben sich die Schmähschriften ergossen, schreiende Kari-
katuren bekleben die Mauern voll Schmähungen und Angriffen.
. Am 23. August hat man dem König seinen Degen abgenommen.
Am 3. September fanden die Metzeleien statt. Man zeigte Marie
Antoinette den blutenden Kopf der Prinzessin de Lamballe, den man,
auf eine Stange gesteckt, vorübertrug, während die königliche Familie bei
Tisch saß.
Es war sehr kalt in den düsteren Räumen des Temple, die kleinen Ofen
heizten schlecht und vermochten die feuchte Kühle der dicken Mauern nicht
zu verscheuchen, und die Königin zitterte des Nachts vor Frost unter ihrer
dünnen Bettdecke.
Manchmal warf man der Königin Blumen durch das Gitter, wenn sie
in ihrem dumpfen Gärtchen spazierenging. Aber solche mitleidigen Seelen
büßten ihre Gefühle meist.
Als die Republik am 21. September 1792 verkündet wurde, war der
König achtunddreißig Jahre alt, die Königin sechsunddreißig, Elisabeth
achtundzwanzig, der Thronfolger sieben, seine Schwester vierzehn. In ihrer
jungen Ehe hatte Marie Antoinette diesen linkischen scheuen Königgemahl
nicht geachtet, er war so unköniglich, so einfach, er hatte einen so primitiven
Geschmack und war am liebsten mit
urwüchsigen Jägern oder Handwer-
kern zusammen. In der Gefangen-
schaft erst lernte sie ihn schätzen, nach-
dem er alles verloren hatte, seine
Armeen, Reichtum, Thron, Krone,
Freiheit und Glanz, hatte er eines
gewonnen: die Liebe Marie Antoi-
nettes. Die Tage des Glücks lagen
versunken hinter ihr. Der Kummer
hatte ihr Haar gebleicht, ihre Züge
waren herb und ernst geworden, der
Blick fest und melancholisch, nur ihre
Haltung war dieselbe stolze geblieben.
Im Grund war es das, was man
ihr nicht verbarg, daß sie eine Deutsche
war, der ganze Haß des Volkes rich-
tete sich gegen die Ausländerin.
Am 26. Oktober wurden Marie
Antoinette, ihre Kinder und Madame
Elisabeth in den großen Turm des
Gefängnisses übergeführt, in den drit-
ten Stock über dem Wohnraum ihres
Gatten. Eine schwere Eichentüre und
eine zweite eiserne Türe schlossen
diese Etage ab. In diesem Turm blieb
Louis XVI. bis zum 21. Januar 1793,
dem Tag seiner Hinrichtung, Marie
Antoinette bis zum 2. August.
Als Marie Antoinette am 1. August
1793 ihren letzten Kerker betrat, schie-
nen über den: niedrigen Eingang
die Worte Dantes aufzuflammen:
Marie Antoinette mit ihren Kindern
Nach einem Gemälde von Frau Vische-Lebruu im Museum zu Versailles