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Der letzte Morgen der Königin Marie Antoinette / Nach einem Gemälde von L. Baader

Die ihr hier eintretet, lasset die Hoffnung hinter euch ... Es war die letzte
Station ihres Leidensweges, die sie in diesem finsteren, feuchten, kalten,
engen Kerker verbringen sollte, der nur ein vergittertes Fenster und keinen
Ofen hatte, keinen Schrank, keine Kommode, keinen Spiegel, keine Lampe,
nur ein schmales, hartes Feldbett, einen Stuhl und den kleinen rohen
Tannentisch ... Die Königin hatte nichts, wo sie ihre paar Habseligkeiten,
die man ihr gelassen hatte, unterbringen konnte, und sie war ihrer Be-
dienung Rosalie dankbar für einen für zwanzig Centimes gekauften schlech-
ten kleinen Spiegel, den sie wie eine Kostbarkeit bis zu ihrem letzten Tage
hütete, und für einen Pappkarton, den diese ihr lieh ... Man hatte ihr drei
Hemden gelassen, eines davon war mit Spitzen garniert, sie erhielt alle
zehn Tage ein frisches Hemd. Ihre Kleider waren von der Gefangenschaft
im Temple in Lumpen zerfallen, Rosalie setzte ihr Borten darauf, damit
sie wenigstens zusammenhielten. Sie frisierte sich das Haar, indem sie
einen Scheitel zog, es durchpuderte und eine Haube darüberzog. Sie war
grau geworden und ernst.
Das Bild von Paul Delaroche aus ihren letzten Tagen ist das schönste
Bild der Königin. In ruhig-vornehmer Würde, in schwarzem, einfachem
Kleid, ruhig, melancholisch, „ein Schatten der Schmerzen" ... ihre
schönen, stolzen Augen schauen resigniert unter dem gepuderten Haar in
die Welt. Sie hofft nichts, glaubt nichts, weint nicht mehr, sie weitz, was
ihr bevorsteht, ihr Blick ist müde, hoffnungslos, es durchschauert uns ...
Es ist die Verkörperung aller menschlichen Leiden, was eine Frau, eine
Königin durchleiden kann, hat sie durchgekostet ... Die Tage waren schon

herbstlich kalt, die Nächte eisig, es regnete und stürmte, in ihren Kerker
fiel kein Sonnenlicht, er war so düster, das; sie sich die Augen beim Lesen
verdarb. Man hatte ihr die Handarbeit, eine Stickerei, an der sie im G efängnis
gearbeitet hatte, abgenommen, ihre Kinder waren von ihr entfernt, ihre
Schwägerin, ihre Freunde, ihr Mann war tot... Sie hatte niemand mehr
. . . Die Tage, da man ihr Briefchen unter Nelken durchs Fenster warf und
sie mit Stecknadelschrift antwortete, waren vorbei, die Kerkerwärter haf-
teten mit ihrem Kopf für jeden Brief» der dennoch seinen Weg aus diesem
Kerker fand. Jeder gütige Blick, jedes Wort, jede Hilfreichung wurde von
dem vor der Tür auf und ab marschierenden Wärter kontrolliert, eine Hand-
reichung konnte einem das Leben kosten, ihre Umgebung wutzte das und
handelte danach. Es wurden nur Leute zu ihren Wärtern gewählt, die sich
zu solchem Ehrenposten eigneten . .. Plumpe, manierenlose, grobe Kerle,
die sich die Zeit mit Rauchen vertrieben und sich nicht schämten, der Königin
beim An- und Auskleiden zuzusehen, wie sie das Hemd wechselte, sich in der
armseligen kleinen Schüssel wusch und vor Frost unter der dünnen Bett-
decke zitterte ... Die Witwe Lapet war ein gefangenes Tier hinter Gittern,
und die Zuschauer durften sehen, wie sie lebte und litt ... Als es kälter
wurde, bat Marie Antoinette um eine Baumwolldecke, aber man ver-
weigerte sie ihr. Was brauchte die Capet zwei Decken ...? Man hatte ihr
das Schreibzeug weggenommen, sogar den Bleistift, sie hatte nichts, mit
dem sie sich beschäftigen konnte, nur ein paar Bücher ... Sie las die Reisen
des Kapitäns Cook, und während der Schilderung der Stürme auf dem
Meer und seiner Erlebnisse vermochte sie minutenlang zu vergessen, wo
 
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