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DaS Buch für Allc


„Mudder! Mudder! — Mach' mir's nicht zu schwer. Ich bin
gegen meinen Entschluß angegangen mit all meinen Kräften,
weil ich an deinen Kummer dachte. — Es muß sein. Hier — hier
geh' ich vor die Hunde."
„Mein Jan, du bist zufrieden gewesen all die Jahre. Und wenn
in deiner Kindheit Schmalhans Küchenmeister bei uns war —
seit du ein großer Jung bist, deine Hande rühren kannst und sie
so brav und fleißig rührst, is keine Not mehr über unsere Schwelle
gekommen. Sogar auf die hohe Kante hast du legen können für
künftige Tage — und es würde mehr, immer mehr geworden
sein. Um deine Zukunft brauchst keine Bange zu haben. Warst
auch allerwegen frohgemut. Aber ich weiß woll: seit die Gina
Borgstedt den Kolonisten Potter gefreit hat, is dir die ganze
Welt leid geworden. Da wirfst die Flinte ins Korn, willst nir
mehr wissen von deiner Heimat und deiner Mudder —- —"
„Das auch, Mudder. Das auch. Ich hab' die Gina gern gehabt,
seit ich denken kann. Es hat mich wild gemacht, daß ich sie hin-
geben mußt', und warum mußt' ich sie hingeben, doch nur darum,
weil ich, der ich als Sohn von einem vermögenden Kolonisten auf
die Welt gekommen bin, nicht das Schwarze unterm Nagel mein
eigen nennen kann und weil all mein Schaffen und Werken —
und wenn ich mir die Knochen zuschanden schufte! — mir nicht
so viel einbringt, daß ich einer Dern eine gute Versorgung bieten
kann. Weil ich das wußte, habe ich meine große Liebe stumm in
mich hineingewürgt — und Gina is Potter seine Frau geworden.
— Nu aber vermag ich nicht mehr in dem Lande auszuharren,
wo mich so unverdientes Leid getroffen hat. Soll ich als Stein-
klopfer oder als Knecht meine Tage beschließen? — Nee! —
Der Lohgerber aus Heppstedt is vor sieben Jahren hinüber-
gemacht — und als ein wohlhabender Mann is er letzten Sommer
seinen Eltern hier unter die Augen getreten. Drüben kann ich
hochkommen, was ich hier nicht kann. Und ich werd' hochkommen.
Und dann, Mudder — dann sollst du's gut haben."
Sie schüttelte den Kopf. „Wenn ich dich bei mir behalten darf,
mein Jan — nir Besseres verlang' ich mir."
„Halt mich nicht, Mudder," flehte er. „Halt mich nicht. Gib

mir deinen Segen zu meiner Fahrt. Denn ohne deinen Segen
würd's gefehlt sein. Gegen deinen Willen geh' ich nicht, Mudder,
das weißt."
„Mit meinem Willen wird es wohl nicht geschehen."
„Mudder! Mudder! — Bedenk' deine Worte. Es is nicht gut,
wenn ich in mir begraben muß, was in die Höhe verlangt. Ich
fühl' Kräfte in mir — — wenn ich sie nicht zum Segen brauchen
darf, werden sie zum Unsegen ausschlagen. Denk' an Vadder und
sein Ende. Willst, daß ich den Weg nehm', den er gegangen is?
— Die Versuchung, Mudder — auch das muß ich dir sagen — die
Versuchung is groß--"
Ein Zittern ging durch den Körper der Frau. Das Gesicht
unter der schwarzen Bandhaube wurde blaß.
„Laß mich dies überdenken, Jan. Laß mich's überdenken.
Heut abend darfst keinen Bescheid erwarten. Deine Eröffnung
is ja auf mich niedergeprasselt wie das Unwetter draußen. Ich
hab' all so viel Leid getragen in meinem Leben —" Zwei
Tränen rannen über ihre Wangen. — „Daß ich dies Letzte,
Schwerste auch noch tragen soll — es is viel, Jan. — Kann sein,
es is zu viel für meine Kräfte."
„Mudder! Meine liebe Mudder!" Er ergriff ihre Hand, drückte
sie. — „Mir blutet ja das Herz um deinen Kummer. Aber glaub'
man, an einem Tag wirst du Gott dafür danken, daß ich mich
fortgeflüchtet hab' von hier — und daß du meiner Flucht nir in
den Weg gelegt hast — —"
Sie schob ihn von sich.
„Nir mehr. Sag' heute abend nir mehr. Geh schlafen, Jan,
geh schlafen. Ich — ich kann nicht mehr dagegen an."
Sie zündete den Kerzenstumpf an der Torfglut an und ging
in ihre Stube. Dort brach sie in einen Strom bitterer Tränen
aus. Vor dem Bilde des Heilands mit der Dornenkrone, das
über ihrer Kommode hing, kniete sie betend nieder.
„Müssen alle Mütter eine Dornenkrone tragen wie du? —
Müssen alle sich ans Kreuz schlagen lassen für ihre Kinder? —
Um ein glattes, junges Frauengesicht muß ich meinen Sohn
hingeben! — Hilf mir! Du hast's erfahren, was Schmerzen


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sMMWMl
Nach einem Gemälde
von Gustav Span-
genberg in der Na-
tionalgalerie zu
Berlin gestochen von
Johannes Plato
Was wahr und klar,
was recht und gut ist,
in kernigen und lau-
uigenSprlichlein und
Versen, dem Mund
des Volkes gerade
recht,zu besingen,ver-
stand von den Mei-
stersingern keiner wie
der Nürnberger
Schuhmacher und
Poet Hans Sachs.
An seinen Historien
hatten die Alten, an
den derben Schwän-
ken die Jugend ihre
Freude. Wie die
Morgensonne durchs
offene Fenster ins
düstere Gemach, so
drang hell und srisch
in die Herzen, was
der Meister zu singen
und zn sagen wusste,
denn er hatte viel von
der Welt gesehen,
mehr noch gelesen.
Als er 1576, im Alter
von einundachtzig
Jahren, die Augen
schloff, hatte er nach
Goethes Wort „seine
Sendung" erfüllt.
 
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