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Das B u ch f ü r 2l l l e
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twas der gesamten Menschheit Gemeinsames ist die Mode;
ihre Tyrannei zwingt die Frauen- und Männerwelt der Völ-
ker von höchster Kultur ebenso wie beide Geschlechter bei den so-
genannten Wilden, sich in ganz bestimmter Weise zu schmücken
und zu kleiden, zu essen, zu trinken und zu benehmen, kurz, sich
dem allgemein geltenden Sittenkoder anzupassen. Dieser Um-
stand mag nicht in letzter Linie dazu beigetragen haben, daß die
Völkerkunde zum Teil die Ansicht verficht, bei den Naturvölkern
sei schließlich alles einander gleich; es gäbe keinerlei Individuali-
tät, keinerlei Charakterunterschied, die Völker auf den unteren
Stufen der Kultur glichen vielmehr genau einer Herde Schafe.
Diesem Vergleich kann nun selbst der Gegner jener Ansicht zu-
stimmen, denn bei uns weiß jedermann, wie genau der Schäfer
die einzelnen Tiere seiner Herde zu unterscheiden vermag; sie
sind für den scharfen Beobachter eben doch Individualitäten mit
bestimmten Sondereigenschaften.
Beim Menschen liegt das Unterscheidbare schon im Gesamt-
wesen der Tracht, also der Kleidung und des Schmuckes, begrün-
det: eine persönliche Note, und sei sie noch so klein, will jeder
hineintragen; man möchte beileibe nicht auffallen — dieses Wort
ganz plump verstanden—, wohl aber besteht die ganz leise Absicht,
sich aus der Menge der übrigen durch irgend einen Zug individuell
herauszuheben. Diese unausgesprochene Sucht verfolgt den
Dinkkfrau vom Stamme der Jar mit Lippenpflock und
zahlreichen Ringen im Ohrrande. (Phot. H. Headlam)
Mongoweib vom Lulongo, einem Nebenfluß des oberen Kongo. Die Haarfrisur
wird durch Einreiben mit einer Mischung von Palmöl mit Ruß oder auch mit ge-
brannten Erdnüssen erzielt. Der Halsschmuck ist aus Messing angefertigt; dieser
Messingschmuck wiegt bis zu zwölf Kilogramm. (Phot. H. M. Whiteside)
Menschen selbst bis in das weite Gebiet des Grotesken, dem er nun einmal, eben dank
dieses Auffallbedürfnisses, über die ganze Erde und durch alle Zeiten hin verfallen ist.
Wir konnten dies verfolgen bei dem in Heft 13 des „Buch für Alle" 1927 behandelten selt-
samen Körperschmuck im Rovumagebiet Ostafrikas und können es in noch viel stärkerem
Maße feststellen an Hand wahrhaft abenteuerlicher Verunstaltungen in einigen anderen
Gegenden Afrikas, zu denen wir hiermit unsere Schritte lenken wollen.
Wirft man den Blick auf die Frauenköpfe, die in unseren Abbildungen wiedergegeben
sind, so hält man es zunächst für ausgeschlossen, daß Ebenbilder Gottes sich zu solchen
Zerrbildern herabwürdigen können, bis ein genaues Studium dann zur Überraschung
ergibt, daß hier ein förmliches System von Verschönerungsmaßnahmen vorliegt und
mit Raffinement durchgeführt ist. Man betrachte zum Beispiel die Frau von dem großen
Volke der Musgu (S. 62), das seine Wohnsitze südlich vom Tschadsee auf beiden Ufern des
Logone, des großen linken Nebenflusses des Schari unter dem elften Grad nördlicher
Breite, hat. In diesem Stamme vereinigen sich Gegensätze aller Art: er ist der volk-
reichste in jenem ganzen weiten Gebiet und dabei zugleich auch der hilf- und wehrloseste;
aus ihm holten sich alle Nachbarn ihren Sklavenbedarf. Er hat den wundervollsten Bau-
stil und verschandelt zugleich seine Frauen in der ungeheuerlichsten Weise.
Den Baustil der Musgu kann man am besten charakterisieren als einen bis zu zehn
Meter hohen Zuckerhut mit bauchig geschweifter Mantelfläche. Dieser Mantel ist in
sich durch reihenförmig angeordnete, reliefartig vorstehende Vertikalrippen gegliedert,
so daß der Besitzer mit Hilfe dieser Vorstöße die Spitze seines Hauses erklimmen und
über das tellerflache Land in die Weite schauen kann. Das war in früheren Zeiten umso
nötiger, als, wie gesagt, alle Nachbarn gewohnt waren, ihren Frauenbedarf im Musgu-
lande zu decken. Damit hängt nun auch, wenigstens nach der Anschauung der Musgu
von heute, jene Verunstaltungssitte zusammen.
Die Verschönerung des weiblichen Gesichts betrifft Nase, Lippen, Wangen, Stirn
und Ohr; sie erreicht damit unstreitig das Höchstmaß dessen, was in der menschlichen
Kosmetik überhaupt durchführbar ist, zumal zu diesen Eingriffen in den Körper auch noch
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twas der gesamten Menschheit Gemeinsames ist die Mode;
ihre Tyrannei zwingt die Frauen- und Männerwelt der Völ-
ker von höchster Kultur ebenso wie beide Geschlechter bei den so-
genannten Wilden, sich in ganz bestimmter Weise zu schmücken
und zu kleiden, zu essen, zu trinken und zu benehmen, kurz, sich
dem allgemein geltenden Sittenkoder anzupassen. Dieser Um-
stand mag nicht in letzter Linie dazu beigetragen haben, daß die
Völkerkunde zum Teil die Ansicht verficht, bei den Naturvölkern
sei schließlich alles einander gleich; es gäbe keinerlei Individuali-
tät, keinerlei Charakterunterschied, die Völker auf den unteren
Stufen der Kultur glichen vielmehr genau einer Herde Schafe.
Diesem Vergleich kann nun selbst der Gegner jener Ansicht zu-
stimmen, denn bei uns weiß jedermann, wie genau der Schäfer
die einzelnen Tiere seiner Herde zu unterscheiden vermag; sie
sind für den scharfen Beobachter eben doch Individualitäten mit
bestimmten Sondereigenschaften.
Beim Menschen liegt das Unterscheidbare schon im Gesamt-
wesen der Tracht, also der Kleidung und des Schmuckes, begrün-
det: eine persönliche Note, und sei sie noch so klein, will jeder
hineintragen; man möchte beileibe nicht auffallen — dieses Wort
ganz plump verstanden—, wohl aber besteht die ganz leise Absicht,
sich aus der Menge der übrigen durch irgend einen Zug individuell
herauszuheben. Diese unausgesprochene Sucht verfolgt den
Dinkkfrau vom Stamme der Jar mit Lippenpflock und
zahlreichen Ringen im Ohrrande. (Phot. H. Headlam)
Mongoweib vom Lulongo, einem Nebenfluß des oberen Kongo. Die Haarfrisur
wird durch Einreiben mit einer Mischung von Palmöl mit Ruß oder auch mit ge-
brannten Erdnüssen erzielt. Der Halsschmuck ist aus Messing angefertigt; dieser
Messingschmuck wiegt bis zu zwölf Kilogramm. (Phot. H. M. Whiteside)
Menschen selbst bis in das weite Gebiet des Grotesken, dem er nun einmal, eben dank
dieses Auffallbedürfnisses, über die ganze Erde und durch alle Zeiten hin verfallen ist.
Wir konnten dies verfolgen bei dem in Heft 13 des „Buch für Alle" 1927 behandelten selt-
samen Körperschmuck im Rovumagebiet Ostafrikas und können es in noch viel stärkerem
Maße feststellen an Hand wahrhaft abenteuerlicher Verunstaltungen in einigen anderen
Gegenden Afrikas, zu denen wir hiermit unsere Schritte lenken wollen.
Wirft man den Blick auf die Frauenköpfe, die in unseren Abbildungen wiedergegeben
sind, so hält man es zunächst für ausgeschlossen, daß Ebenbilder Gottes sich zu solchen
Zerrbildern herabwürdigen können, bis ein genaues Studium dann zur Überraschung
ergibt, daß hier ein förmliches System von Verschönerungsmaßnahmen vorliegt und
mit Raffinement durchgeführt ist. Man betrachte zum Beispiel die Frau von dem großen
Volke der Musgu (S. 62), das seine Wohnsitze südlich vom Tschadsee auf beiden Ufern des
Logone, des großen linken Nebenflusses des Schari unter dem elften Grad nördlicher
Breite, hat. In diesem Stamme vereinigen sich Gegensätze aller Art: er ist der volk-
reichste in jenem ganzen weiten Gebiet und dabei zugleich auch der hilf- und wehrloseste;
aus ihm holten sich alle Nachbarn ihren Sklavenbedarf. Er hat den wundervollsten Bau-
stil und verschandelt zugleich seine Frauen in der ungeheuerlichsten Weise.
Den Baustil der Musgu kann man am besten charakterisieren als einen bis zu zehn
Meter hohen Zuckerhut mit bauchig geschweifter Mantelfläche. Dieser Mantel ist in
sich durch reihenförmig angeordnete, reliefartig vorstehende Vertikalrippen gegliedert,
so daß der Besitzer mit Hilfe dieser Vorstöße die Spitze seines Hauses erklimmen und
über das tellerflache Land in die Weite schauen kann. Das war in früheren Zeiten umso
nötiger, als, wie gesagt, alle Nachbarn gewohnt waren, ihren Frauenbedarf im Musgu-
lande zu decken. Damit hängt nun auch, wenigstens nach der Anschauung der Musgu
von heute, jene Verunstaltungssitte zusammen.
Die Verschönerung des weiblichen Gesichts betrifft Nase, Lippen, Wangen, Stirn
und Ohr; sie erreicht damit unstreitig das Höchstmaß dessen, was in der menschlichen
Kosmetik überhaupt durchführbar ist, zumal zu diesen Eingriffen in den Körper auch noch