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Das Buch für Alle
eine Menge Ring-' und Behang-
schmuck um den Hals hinzutritt. Das
Durchlochen und Ausweiten der Lip-
pen, des Nasenflügels und der Ohr-
läppchen geschieht in der bei allen
Naturvölkern üblichen Weise mit Hilfe
von elastischen Palmfiedern, nachhal-
tigen Bearbeitens mit der Hand und
dergleichen mehr. Für den Nasenstift
bildet als Material das Silber auch
hier das Ideal; für Lippen- und Ohr-
scheiben müssen die Stoffe wohl sehr
wechseln, denn die Angaben darüber
schw anken zwisch enschw er en Metallen
und den leichten Platten aus Fla-
schenkürbis. Erklärlicherweise wird
man die Angaben der Eingeborenen
über den Bestand aus Metall auf sich
beruhen lassen. Die Ziernarben ent-
stehendurch immer vonneuem wieder-
holte Schnitte, bis die beabsichtigten
derben Wucherungen erzielt sind.
Die Musgu sind so ziemlich das
einzige Naturvolk, bei dem wir eine
bestimmte Angabe über den Grund
einer Sitte finden. Fragt man sie,
warum sie ihre Frauen so schauder-
haft zurichten, so lautet die Antwort,
ihre Frauen seien von Haus aus so
schön, daß sie früher kaum welche be-
halten hätten, indem sie in Massen
von den bösen Baghirmileuten ge-
raubt worden wären. Um dem einen
Riegel vorzuschieben, hätte man be-
gonnen, sie immer häßlicher zu ge-
stalten, und sei dabei zu den Formen
gelangt, unter denen diese Unglück-
Frau aus Ngaumdere in Kamerun mit Nasenstift und Narbenzier
lichen dem Reisenden von heute ent-
gegentreten.
Um die Glaubwürdigkeit dieser Er-
klärung steht es nicht zum besten. Zwar
klingt sie bestechend, doch ist sie zwei-
fellos nacherfunden, weil sie den zeit-
weiligen Verhältnissen gut entsprach.
In Wirklichkeit wird es sich mit der
Entstehung der Sitte genau so ver-
halten wie anderwärts, das heißt,
daß eine Mutter begonnen hat, ihr
Töchterchen aus Eitelkeit besonders
auffallend zuzurichten, und daß mehr
oder minder rasch alle übrigen Mütter
gefolgt sind. Aus den Töchtern sind
dann wieder Mütter geworden, und
so hat sich die Sitte unter dauernder
Steigerung fortgeerbt.
Sozusagen die Anfangsstadien zu
dem Musguertrem sehen wir in den
Abbildungen dieser Seite, einem jun-
gen Mädchen vom Stamme der Bana
imBenuegebiet und einer erwachsenen
Frau aus der Stadt Ngaumdere in
Mittelkamerun. Bei beiden wirken
die Ober- und Unterlippenpflöckchen
beziehungsweise der lange Nasenstift
direkt niedlich. Besonders an den
beiden ersteren kann man erkennen,
aus welch zarten Anfängen sich im
Lauf der Zeit die handtellergroßen
Scheiben der Musguschönheiten ent-
wickelt haben.
Andere Modetyranneien herrschen
im Osten des Erdteils Afrika unter
den Frauen aus dem Stamme der
Vakulia. Dieses fälschlicherweise auch
Musgusrau aus dem Tschadseegebiet
Banamädchen mit Ober- und Unterlippen- sowie Nasenstift
Das Buch für Alle
eine Menge Ring-' und Behang-
schmuck um den Hals hinzutritt. Das
Durchlochen und Ausweiten der Lip-
pen, des Nasenflügels und der Ohr-
läppchen geschieht in der bei allen
Naturvölkern üblichen Weise mit Hilfe
von elastischen Palmfiedern, nachhal-
tigen Bearbeitens mit der Hand und
dergleichen mehr. Für den Nasenstift
bildet als Material das Silber auch
hier das Ideal; für Lippen- und Ohr-
scheiben müssen die Stoffe wohl sehr
wechseln, denn die Angaben darüber
schw anken zwisch enschw er en Metallen
und den leichten Platten aus Fla-
schenkürbis. Erklärlicherweise wird
man die Angaben der Eingeborenen
über den Bestand aus Metall auf sich
beruhen lassen. Die Ziernarben ent-
stehendurch immer vonneuem wieder-
holte Schnitte, bis die beabsichtigten
derben Wucherungen erzielt sind.
Die Musgu sind so ziemlich das
einzige Naturvolk, bei dem wir eine
bestimmte Angabe über den Grund
einer Sitte finden. Fragt man sie,
warum sie ihre Frauen so schauder-
haft zurichten, so lautet die Antwort,
ihre Frauen seien von Haus aus so
schön, daß sie früher kaum welche be-
halten hätten, indem sie in Massen
von den bösen Baghirmileuten ge-
raubt worden wären. Um dem einen
Riegel vorzuschieben, hätte man be-
gonnen, sie immer häßlicher zu ge-
stalten, und sei dabei zu den Formen
gelangt, unter denen diese Unglück-
Frau aus Ngaumdere in Kamerun mit Nasenstift und Narbenzier
lichen dem Reisenden von heute ent-
gegentreten.
Um die Glaubwürdigkeit dieser Er-
klärung steht es nicht zum besten. Zwar
klingt sie bestechend, doch ist sie zwei-
fellos nacherfunden, weil sie den zeit-
weiligen Verhältnissen gut entsprach.
In Wirklichkeit wird es sich mit der
Entstehung der Sitte genau so ver-
halten wie anderwärts, das heißt,
daß eine Mutter begonnen hat, ihr
Töchterchen aus Eitelkeit besonders
auffallend zuzurichten, und daß mehr
oder minder rasch alle übrigen Mütter
gefolgt sind. Aus den Töchtern sind
dann wieder Mütter geworden, und
so hat sich die Sitte unter dauernder
Steigerung fortgeerbt.
Sozusagen die Anfangsstadien zu
dem Musguertrem sehen wir in den
Abbildungen dieser Seite, einem jun-
gen Mädchen vom Stamme der Bana
imBenuegebiet und einer erwachsenen
Frau aus der Stadt Ngaumdere in
Mittelkamerun. Bei beiden wirken
die Ober- und Unterlippenpflöckchen
beziehungsweise der lange Nasenstift
direkt niedlich. Besonders an den
beiden ersteren kann man erkennen,
aus welch zarten Anfängen sich im
Lauf der Zeit die handtellergroßen
Scheiben der Musguschönheiten ent-
wickelt haben.
Andere Modetyranneien herrschen
im Osten des Erdteils Afrika unter
den Frauen aus dem Stamme der
Vakulia. Dieses fälschlicherweise auch
Musgusrau aus dem Tschadseegebiet
Banamädchen mit Ober- und Unterlippen- sowie Nasenstift