Das B u ch f ü r Tlle
(^.ie Hauptsache für ein Kind ist die Wahl seines Vaters. Es kann darin
cE^rncht vorsichtig genug sein. Je jünger und kräftiger ein Vater ist,
uniso besser kann er verdienen und damit seinen Nachkommen ein be-
quemes Leben sichern. Väter sind dafür da, Zu arbeiten. Das ist die prak-
tische Seite, von der man sie betrachten must. Was den sonstigen Verkehr
mit ihnen betrifft, so ist dieser wechselnd. Manchmal sind sie ganz er-
heiternd, manchmal weniger. Früher, als sie noch Bärte trugen, sollen
sie unterhaltender gewesen sein. Auch die Repetieruhren, die sie anschlagen
ließen, waren lustiger als das einfache Ticktack der modernen Armband-
uhr, mit der sie uns erfreuen wollen.
Leider haben sie eine große Neigung, uns ungeschickt anzufassen und in
der Luft herumzuwirbeln, in dem Glauben, daß uns dies Spaß macht.
Spuckt man bei solcher Erschütterung die Milch aus, die man eben müh-
sam mit der Flasche eingesogen hat, so heißt es gleich, man leide an
schlechter Verdauung, und bekommt irgend eine schreckliche Medizin ein-
gefüllt. Wenn man einen Vater so in der Luft Herumwerfen würde,
spuckte er gewiß auch allen
Wein aus, den er getrunken.
Und dann der Tabaksge¬
ruch, der die Väter umgibt!
Wenn sie küssen, wird einem
ganz übel, und dazu kratzen
noch ihre Borsten im Gesicht,
die man nicht einmal wie bei
einer Bürste ausreißen kann.
Mutter riecht auch nach Zi¬
garetten, aber ihre Haut ist
wenigstens weich wie eine
Puderquaste. Übrigens möchte
ich wissen, warum sie sich so
oft im Gesicht pudert. Ich
werde nur einmal am Tage
und an einer ganz anderen
Stelle gepudert. Ob Vater
die Mutter mit seinen borsti¬
gen Küssen wundreibt und sie
es wohl deshalb tut?
Wozu Mutter für mich not¬
wendig ist, habe ich bisher
noch nicht ganz ergründet. Ich
könnte ohne sie leben, da ich
meine Kinderfrau habe, die
mich mit allem versorgt. Sie
wäscht mich, legt mich trocken, kleidet und nährt mich. Ich finde, daß eine
gute Kinderfrau im Leben eines Säuglings wichtiger ist als eine Mutter.
Das sind meine Erfahrungen, andere Kinder mögen andere haben. Mutter
küßt mich und nennt mich ihren süßesten Liebling. Sie zeigt mich ihren
Freundinnen und erzählt ihnen stolz von meiner Klugheit, von der sie
doch eigentlich nichts weiß. Die kleinen Kunststücke, die ich wie ein junger
Hund machen muß, haben mit meinem Verstände doch nichts zu tun.
Solcher Kleinigkeit wegen unterhält Vater sie gewiß nicht, der immer
über ihre Kleiderrechnungen klagt. Ich glaube, daß er darin unrecht hat,
denn gerade mit Kleidern spart Mutter außerordentlich. Ihre Röckchen
reichen nur bis zum Knie und sind nicht weiter als ein Hosenbein von
Vater. Abends spart sie sogar an den Kleidern noch den Stoff für Hals
und Arme. Vaters lange, weite Hosen und dicke Röcke sind sicher viel
teurer, aber darüber redet er nie.
Mutter ist wunderhübsch anzusehen, und ihre kurzen Haare sitzen fest im
Kopf. Ich kann ihr höchstens mal ein einzelnes ausreißen, worauf sie „au!"
schreit. Sonst ist sie aber nicht so solide wie meine Badepuppe. Die kann
ich, sooft ich will, ins Wasser werfen, und sie bleibt unverändert. Als ich
Mutter neulich beim Baden mit Wasser bespritzte, liefen ihr schwarze und
rote Streifen über das Gesicht. Wenn man sie einmal ganz ins Wasser
steckte, bliebe gewiß keine Farbe mehr an ihr.
Im allgemeinen ist es bequemer, mit Vater zu verkehren als mit Mutter.
Er hat ein bißchen Angst vor mir und ist daher leichter zu regieren als
Mutter. Die läßt sich nichts vormachen, sondern teilt auch mal einen Klaps
aus, der vielfach unverdient ist. Komischerweise legen die Erwachsenen
uns oft als Unart aus, was reiflich erwogene Handlungen zum Wohle
unserer Eltern sind. Ich finde, wir haben diesen gegenüber nicht nur Rechte,
sondern auch Pflichten. Wie sie uns erziehen, müssen auch wir zu ihrer
Erziehung beitragen.
Vater ist zum Beispiel sehr ungeduldig, und ich habe mir vorgenommen,
ihm das abzugewöhnen. Bin ich also allein mit ihm im Zimmer, lasse
ich ihn erst sich gemütlich setzen
und mit seinem Buch oder
Brief beginnen, dann fange
ich an zu schreien. Um seine
Ruhe zu haben, gibt er mir,
was ihm gerade in die Hände
kommt, und es ist ganz lustig,
die Sachen in ihre Urbestand-
teile zu zerlegen. Doch über-
lasse ich mich nicht zu lange
diesem Vergnügen, sondern
fange in seinem Interesse bald
wieder an zu schreien. Jetzt
zieht mich Vater aus, weil er
denkt,'daß er sein Schäfchen
ins Trockne bringen muß. Die-
ser Witz stammt nicht von
mir, sondern von ihm, denn
Vater ist ein ganz kluger,
witziger Mann. Er stellt sich
recht ungeschickt dabei an und
läßt mich halb angezogen lie-
gen. Trotzdem ich das gerne
mag, weil ich mich ganz frei-
strampeln kann, schreie ich
wieder. Nun glaubt er, daß ich
Hunger habe, und ist in dem
Fall netter als Mutter. Er verschont mich mit der faden Milch und gibt
mir Schokolade oder Bleistifte zu knabbern, die viel besser schmecken. So
tue ich, ohne an meine eigene Ruhe und Gesundheit zu denken, alles, was
in meinen Kräften steht, um Vater in der Geduld zu üben und gut in
der Form zu halten. Er klagt über seine sitzende Lebensweise und Fettansatz.
Mit Mutter geht es mir nicht besser. Sie will auch nicht stark werden
und hält auf eine schlanke Hüftlinie. Ihretwegen verzichte ich auf den
Morgenschlaf und schreie von fünf Uhr früh an. Sie must dann alle Viertel-
stunden aufspringen, um mich zu beruhigen. Frühaufstehen und Bewegung
helfen aber besser gegen unnötiges Fett als Massage, Gummiroller oder
eine Badekur. Zudem haben sie den Vorzug, kein Geld zu kosten. Aber
Mütter sind selten so einsichtsvoll, dies zu begreifen. Man verbannt
mich in ein entferntes Zimmer und setzt weiter Fett an.
Kinder, Heisti es, machen Sorgen und Mühe, Eltern jedoch nicht minder.
Leider wird letzteres nie anerkannt.
Wohlbehagen / Nach einer Zeichnung von Larton Moore Park
was mancher nicht weiß
Die englische Regierung zieht noch immer trotz der Opiumkonferenz
des Völkerbundes etwa 200 Millionen Mark jährlich aus ihrem Opium-
monopol, Niederländisch-Jndien 30,9 Millionen Gulden, Französisch-
Jndochina 40,9 Millionen Goldfranken.
In Neuyork wohnen mehr Irländer als in ganz Irland, mehr Deutsche
als in Bremen und mehr Italiener als in Rom.
Der letzte König von Samoa erhielt seinerzeit von der kaiserlich deut-
schen Regierung eine Rente von 45 Mark wöchentlich.
0
Dem französischen Schriftsteller Camille Flammarion vermachte eine
Freundin, deren schöne, weiße Schultern er oftmals bewundert hatte,
ihre kostbare Haut bei ihrem Tode. Der Dichter ließ ein Exemplar seines
Buches „Himmel und Erde" in die ihm hinterlassene Hülle binden.
(^.ie Hauptsache für ein Kind ist die Wahl seines Vaters. Es kann darin
cE^rncht vorsichtig genug sein. Je jünger und kräftiger ein Vater ist,
uniso besser kann er verdienen und damit seinen Nachkommen ein be-
quemes Leben sichern. Väter sind dafür da, Zu arbeiten. Das ist die prak-
tische Seite, von der man sie betrachten must. Was den sonstigen Verkehr
mit ihnen betrifft, so ist dieser wechselnd. Manchmal sind sie ganz er-
heiternd, manchmal weniger. Früher, als sie noch Bärte trugen, sollen
sie unterhaltender gewesen sein. Auch die Repetieruhren, die sie anschlagen
ließen, waren lustiger als das einfache Ticktack der modernen Armband-
uhr, mit der sie uns erfreuen wollen.
Leider haben sie eine große Neigung, uns ungeschickt anzufassen und in
der Luft herumzuwirbeln, in dem Glauben, daß uns dies Spaß macht.
Spuckt man bei solcher Erschütterung die Milch aus, die man eben müh-
sam mit der Flasche eingesogen hat, so heißt es gleich, man leide an
schlechter Verdauung, und bekommt irgend eine schreckliche Medizin ein-
gefüllt. Wenn man einen Vater so in der Luft Herumwerfen würde,
spuckte er gewiß auch allen
Wein aus, den er getrunken.
Und dann der Tabaksge¬
ruch, der die Väter umgibt!
Wenn sie küssen, wird einem
ganz übel, und dazu kratzen
noch ihre Borsten im Gesicht,
die man nicht einmal wie bei
einer Bürste ausreißen kann.
Mutter riecht auch nach Zi¬
garetten, aber ihre Haut ist
wenigstens weich wie eine
Puderquaste. Übrigens möchte
ich wissen, warum sie sich so
oft im Gesicht pudert. Ich
werde nur einmal am Tage
und an einer ganz anderen
Stelle gepudert. Ob Vater
die Mutter mit seinen borsti¬
gen Küssen wundreibt und sie
es wohl deshalb tut?
Wozu Mutter für mich not¬
wendig ist, habe ich bisher
noch nicht ganz ergründet. Ich
könnte ohne sie leben, da ich
meine Kinderfrau habe, die
mich mit allem versorgt. Sie
wäscht mich, legt mich trocken, kleidet und nährt mich. Ich finde, daß eine
gute Kinderfrau im Leben eines Säuglings wichtiger ist als eine Mutter.
Das sind meine Erfahrungen, andere Kinder mögen andere haben. Mutter
küßt mich und nennt mich ihren süßesten Liebling. Sie zeigt mich ihren
Freundinnen und erzählt ihnen stolz von meiner Klugheit, von der sie
doch eigentlich nichts weiß. Die kleinen Kunststücke, die ich wie ein junger
Hund machen muß, haben mit meinem Verstände doch nichts zu tun.
Solcher Kleinigkeit wegen unterhält Vater sie gewiß nicht, der immer
über ihre Kleiderrechnungen klagt. Ich glaube, daß er darin unrecht hat,
denn gerade mit Kleidern spart Mutter außerordentlich. Ihre Röckchen
reichen nur bis zum Knie und sind nicht weiter als ein Hosenbein von
Vater. Abends spart sie sogar an den Kleidern noch den Stoff für Hals
und Arme. Vaters lange, weite Hosen und dicke Röcke sind sicher viel
teurer, aber darüber redet er nie.
Mutter ist wunderhübsch anzusehen, und ihre kurzen Haare sitzen fest im
Kopf. Ich kann ihr höchstens mal ein einzelnes ausreißen, worauf sie „au!"
schreit. Sonst ist sie aber nicht so solide wie meine Badepuppe. Die kann
ich, sooft ich will, ins Wasser werfen, und sie bleibt unverändert. Als ich
Mutter neulich beim Baden mit Wasser bespritzte, liefen ihr schwarze und
rote Streifen über das Gesicht. Wenn man sie einmal ganz ins Wasser
steckte, bliebe gewiß keine Farbe mehr an ihr.
Im allgemeinen ist es bequemer, mit Vater zu verkehren als mit Mutter.
Er hat ein bißchen Angst vor mir und ist daher leichter zu regieren als
Mutter. Die läßt sich nichts vormachen, sondern teilt auch mal einen Klaps
aus, der vielfach unverdient ist. Komischerweise legen die Erwachsenen
uns oft als Unart aus, was reiflich erwogene Handlungen zum Wohle
unserer Eltern sind. Ich finde, wir haben diesen gegenüber nicht nur Rechte,
sondern auch Pflichten. Wie sie uns erziehen, müssen auch wir zu ihrer
Erziehung beitragen.
Vater ist zum Beispiel sehr ungeduldig, und ich habe mir vorgenommen,
ihm das abzugewöhnen. Bin ich also allein mit ihm im Zimmer, lasse
ich ihn erst sich gemütlich setzen
und mit seinem Buch oder
Brief beginnen, dann fange
ich an zu schreien. Um seine
Ruhe zu haben, gibt er mir,
was ihm gerade in die Hände
kommt, und es ist ganz lustig,
die Sachen in ihre Urbestand-
teile zu zerlegen. Doch über-
lasse ich mich nicht zu lange
diesem Vergnügen, sondern
fange in seinem Interesse bald
wieder an zu schreien. Jetzt
zieht mich Vater aus, weil er
denkt,'daß er sein Schäfchen
ins Trockne bringen muß. Die-
ser Witz stammt nicht von
mir, sondern von ihm, denn
Vater ist ein ganz kluger,
witziger Mann. Er stellt sich
recht ungeschickt dabei an und
läßt mich halb angezogen lie-
gen. Trotzdem ich das gerne
mag, weil ich mich ganz frei-
strampeln kann, schreie ich
wieder. Nun glaubt er, daß ich
Hunger habe, und ist in dem
Fall netter als Mutter. Er verschont mich mit der faden Milch und gibt
mir Schokolade oder Bleistifte zu knabbern, die viel besser schmecken. So
tue ich, ohne an meine eigene Ruhe und Gesundheit zu denken, alles, was
in meinen Kräften steht, um Vater in der Geduld zu üben und gut in
der Form zu halten. Er klagt über seine sitzende Lebensweise und Fettansatz.
Mit Mutter geht es mir nicht besser. Sie will auch nicht stark werden
und hält auf eine schlanke Hüftlinie. Ihretwegen verzichte ich auf den
Morgenschlaf und schreie von fünf Uhr früh an. Sie must dann alle Viertel-
stunden aufspringen, um mich zu beruhigen. Frühaufstehen und Bewegung
helfen aber besser gegen unnötiges Fett als Massage, Gummiroller oder
eine Badekur. Zudem haben sie den Vorzug, kein Geld zu kosten. Aber
Mütter sind selten so einsichtsvoll, dies zu begreifen. Man verbannt
mich in ein entferntes Zimmer und setzt weiter Fett an.
Kinder, Heisti es, machen Sorgen und Mühe, Eltern jedoch nicht minder.
Leider wird letzteres nie anerkannt.
Wohlbehagen / Nach einer Zeichnung von Larton Moore Park
was mancher nicht weiß
Die englische Regierung zieht noch immer trotz der Opiumkonferenz
des Völkerbundes etwa 200 Millionen Mark jährlich aus ihrem Opium-
monopol, Niederländisch-Jndien 30,9 Millionen Gulden, Französisch-
Jndochina 40,9 Millionen Goldfranken.
In Neuyork wohnen mehr Irländer als in ganz Irland, mehr Deutsche
als in Bremen und mehr Italiener als in Rom.
Der letzte König von Samoa erhielt seinerzeit von der kaiserlich deut-
schen Regierung eine Rente von 45 Mark wöchentlich.
0
Dem französischen Schriftsteller Camille Flammarion vermachte eine
Freundin, deren schöne, weiße Schultern er oftmals bewundert hatte,
ihre kostbare Haut bei ihrem Tode. Der Dichter ließ ein Exemplar seines
Buches „Himmel und Erde" in die ihm hinterlassene Hülle binden.