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Das Buch für Alle


„Nee, Gina, nee!" beruhigte Trinalheid. „Sei man unbesorgt.
Bei Mudder Rodekamp soll keiner dir was zuleid tun — nicht
Wilm Potter und kein anderer."
Gina legte den Kopf wieder auf das Kissen. Aber sie fuhr fort,
irre Worte vor sich hinzumurmeln.
Mutter und Sohn berieten sich.
„Meine Meinung is," erklärte Mudder Rodekamp, „mit den
Doktor brauchen wir das so eilig nicht zu haben, Jan. Gina liegt
in ein warmes Bett, ich koch' ihr einen heißen Tee und eine
Schleimsuppe — und viel mehr kann vorerst auch kein Doktor
dabei tun. Nach den verwunderlichen Reden, die das arme
Menschenkind führt, mag es für alle Fälle besser sein, daß du
dich zuvörderst umtust und auskundschaftest, was es auf dem
Potthof gegeben hat, aus was für einer Veranlassung die
Bäuerin in einer so schlimmen Nacht aus ihrem Haus gelaufen
is, und wie sie auf den Gedanken kommt, daß ihr Mann sie
ermorden will. Wenn wir das erst wissen, denn werden wir auch
wissen, ob wir ihre Anwesenheit geheimhalten müssen, wie sie
das verlangt, oder ob kein Grund dazu vorliegt."
Also ließ Jan für heute seine Arbeit im Stich und wanderte
über Land, um der Ursache von Einas Flucht nachzuspüren. Er-
halte wenig Mühe. Die Kunde von den unerhörten Vorgängen
der vergangenen Nacht hatte sich schon durch viele Kolonien des
Moores verbreitet. Einer rief sie übers Feld dem anderen zu:
Der Potthofbauer hatte lang schon seine Frau im Verdacht
gehabt, daß sie ihm nicht treu sei. Das war nun an den Tag
gekommen. Sein Bruder Hinnerk hatte ihm den Star gestochen.
In der Wirtsstube in Quelkhorn, vor allen Gästen hatte er ihm
die Wette auf die Untreue seiner Frau angeboten — und hatte
sie gewonnen. Eine ganz besondere Kette, ein altes Erbstück,
sollte die Bäuerin besessen und an ihren Liebsten weggeschenkt
haben. Hinnerk war dahintergekommen. Und als Wilm von
seiner Frau verlangte, daß sie ihm den Schmuck zeige, da konnte
fie's nicht. Irr Wut hatte er sie aus dem Haus gejagt. Und in
der Angst und der Finsternis der Nacht mochte sie wohl in den
Sumpf geraten sein, der Menschen nicht wieder herausgab.
Jedenfalls hatte Timm Clüver ihren Schuh und ihr Tuch am
Rand der Strecke gefunden, wo das Moor alles Lebendige
verschlang. — So berichtete Jan seiner Mutter.
„Und Wilm Potter?" fragte die Witwe. „Was hat Wilm
Potter gesagt, als Timm Clüver ihm den Schuh und das Tuch

brachte und er annehmen mußte, seine Frau hätte so einer:
grausigen Tod gefunden? Ist ihm das woll zu Herzen gegangen?"
„Sein Gesicht is gewesen wie von Stein, so erzählen, die dabei-
gewesen sind, Mudder. Und gesagt hat er: ,Es ist gut, wie es ist/"
„Dann wollen wir keinen Doktor für die Gina rufen," ent-
schied Trinalheid. „Wir wollen keinem Menschen verraten, daß
wir sie Herbergen. Wenn einer fragt, denn ist eine kranke Anver-
wandte bei mir auf Besuch. Zu sehen soll keiner sie kriegen, da
will ich woll für aufpassen. Und wenn die Beekenmoorer in dem
Wahn sind, sie wär' tot, denn wird auch keiner ihr nachspüren.
Auf die Art kann sie in Frieden von ihrer Krankheit genesen,
zu Kräften kommen und sich klar werden, was sie tun soll."
„Mudder — glaubst, daß sie einen Liebsten hat?" fragte Jan.
„Ich weiß nicht, mein Jung. Ich weiß man bloß, daß sie
jetzt ein' arme, verlassene Kreatur is und daß wir ihr beispringen
müssen nach unseren besten Kräften."
„Ich glaub's nicht, Mudder," beteuerte Jan. „Nie und nimmer
glaub' ich was Unrechtes von Gina!"
Wochen gingen hin. Langsam sank das Fieber, milder wurden
die Hustenanfälle, die sie in den ersten Tagen zu ersticken drohten.
Langsam schritt die Genesung vor, ganz langsam. Kein Irre-
reden mehr, überhaupt kaum ein Reden, nur ein stummes
Starren in die Weite aus von Trauer verdunkelten Augen. Die
ungebrochene Jugendkraft heilte den Körper, die Seele wollte
nicht gesunden. Treulich pflegte Trinalheid die Kranke. Die
ersten Schneeglöckchen, die ersten Veilchen legte Jan ihr auf
das Kissen.
„Meine Dochter," sagte die alte Frau eines Tages zu ihr,
als sie matt und schwach im Sessel saß und stumm wie immer,
„meine Dochter, es is nicht gut, sich zu vergraben in seine schwere
Gedanken. Hast ein' Dorn im Fleisch, dann wird der Schmerz
linder werden, wenn du ihn herausziehst. Und sticht dich dein
Dorn in deiner Seele, dann wird der Schmerz auch milder,
wenn du deinen Kummer heroorziehst und ausbreitest vor die
Augen von treuen Menschen. An Stelle von deiner seligen
Mudder, die meine liebe Freundin war, ermahn' ich dich, fass' ein
Zutrauen zu mir, Gina. Sag' mir das Leid, das dir wider-
fahren is — und verschweig auch deine Schuld nicht, wenn du
an Schuld trägst. Verschweig sie nicht aus falscher Scham. Denn
Sünder sind wir alle und sollen ein' dem anderen beistehen,
und nicht uns vermessen, Richter zu spielen."
„Ich trage keine Schuld an dem, was mich
betroffen hat, Mudder Rodekamp!" Gina rang
die Hände. „Glaub' mir doch! Wenn ich jetzt
gleich vor unseren Herrgott treten sollt' — nir
anders könnt' ich bekennen als: ich bin Wilm
Potter allzeit eine rechtschaffene Ehefrau ge-
wesen."
„Wieso is er denn zu seinem schlimmen Ver-
dacht gekommen, Gina?"
Da schlossen sich die halbgeöffneten Lippen
Ginas wieder, ihre Augen sahen von neuem
ins Leere.
„Gina!"
„Frag' mich nicht, Mudder. Das — darf ich
nicht sagen."
„Darfst nicht? — Auch mir nicht? Deiner besten
Freundin? — Deiner zweiten Mudder?"
Gina schüttelte den Kopf. „Ich hab' einen
Schwur getan, Mudder. Weil ich den nicht brechen
wollt', ist über mich gekommen, was über mich
gekommen ist. Wahr ist's: als mein Mann wie
sinnlos auf mich losging, mit Schimpf und schänd-
lichem Verdacht mich überschüttete, da bin ich in
meiner großen Not einen Augenblick lang in Ver-
suchung gewesen, zu verraten, was ich geschworen
hatte, nie zu verraten-Er hat mir das
Wort vom Mund geschnitten in seiner Wut. —
Nun is mein Leben verspielt um meinen Eid.


Ein Schimpanse als Schachkünstler. „Akka", der Schimpansenstar einer großen amerikanischen
Filmgesellschaft, spielt eine Partie Schach. (Atlantic)
 
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