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Das Buch

Nun gibt's keine Verlockung mehr, daß ich ihn —zu keinem
und für keinen. Das mutzt du einsehen, Mudder Rodekamp."
„So willst auch deinem Mann nicht Bescheid geben, wenn du
wieder gesund bist? Willst keinen Versuch machen, ihn von
deiner Unschuld zu überzeugen?"
„Ach, Mudder Rodekamp, er glaubt mir ja nicht! Wie kann
ich je wieder ihm unter die Augen treten?"
„Ja — was soll denn werden? — Wie denkst du dir das?"
„Ich weiß nicht. Ich kann nicht denken. Da inwendig is alles
wie ausgebrannt. Ich seh' nur mein Leid — und keine Hilfe.
Hab' Geduld mit mir, Mudder Rodekamp! Hab' noch ein bitzchen
Geduld mit mir."
Wieder gingen Tage und Tage hin. Mit schwachen Händen
versuchte Gina Trinalheid bei ihrer Schneiderei zu helfen, das
Spinnrad für sie zu drehen. Ihre Lippen blieben dabei stumm,
ihr Blick traurig und nicht frischer und froher, wie bei einer
Genesenden, sondern bleicher und bleicher wurde ihr Gesicht.
Mit tiefem Schmerz sah es Jan.
An einem Sonntag waren die beiden allein in der kleinen
Stube. Da begann er: „Gina — es zerbricht mir das Herz, wenn
ich deinen Kummer anseh'. Gibt's denn gar nir, was ich tun
könnt', dich froher zu stimmen? Hast nicht irgend einen Wunsch,
ein Verlangen, das ich dir erfüllen könnt'?"
Ihre Augen leuchteten plötzlich auf, und dann füllten sie sich
mit Tränen.
„Woll, woll, Jan, ich hab' ein Verlangen, ein Sehnen, das
läßt mir nicht Ruh Tag und Nacht: Wissen möcht' ich, wie es
meinem Kind geht, meinem kleinen Enno. Ob er gesund is?
Ob jemand sich seiner annimmt? — O Gott, ist es denn auszu-
denken, datz eine Mudder nir wissen soll von ihrem eigen Kind?"
Sie brach in wildes Schluchzen aus.
„Gib dich zufrieden," tröstete Jan. „Ich gehe nach Beeken-
moor. Morgen am Tag geh' ich hin und bring' dir Bescheid."
„Das willst für mich tun, Jan?" Sie streckte ihm die Hand hin.
„Oh, du bist gut — gut wie kein anderer auf dieser Welt."
„Es gibt nicht viel, das ich für dich nicht tun würd', Gina,"
versicherte er.
Sie sah ihn an, zögerte einen Augenblick, und dann sprach sie doch.
„Wissen möcht' ich auch, Jan — ja, es brennt mir auf der Seele
zu wissen, wie Wilm Potter sich abfind't mit dem Gedanken
an meinen Tod. Ob er seinen Groll auf mich bewahrt hat über

für Alle

Heft 4

dies Leben hinaus, oder ob-Es könnt' doch sein — nicht
wahr, es könnt' sein, es wär' ihm leid, datz seine Wut mich in den
Tod getrieben hat? — Meinst nicht?"
Jan meinte es nicht, und die Frage tat ihm weh. Er antwortete
aber nur: „Nach all dem, was dein Kind und Wilm Potter angeht,
will ich mich umhören, Gina, und dir wahrhaftigen Bescheid
bringen." —
Am nächsten Tag ging er nach Beekenmoor. Er sprach mit die-
sem, er sprach mit jenem. Auf den Höfen waren fast nur Jung-
mägde und Kinder. Was Kräfte hatte, arbeitete im Torfstich.
Am Nachmittag kam er nach Heppstedt zurück.
„Deinem Enno geht es gut, Gina. Ich hab' ihn gesehen. Ein
strammer Jung. Wöbke, Eure Grotzmagd, nimmt sich um ihn an
wie um ihr eigen Fleisch und Blut."
„Wöbke — — ja, Wöbke ist eine treue Seele. Gott mag's ihr
vergelten. — Und — sein Vadder, Jan? — und Wilm Potter?"
Jan zögerte. „Mannsleute kümmern sich nicht viel um kleine
Kinder, weifst."
Gina presste die Hand auf ihr Herz. Einst hatte Wilm sein
Kind sehr liebgehabt.
„Und — und mein vermeintlicher Tod, Jan — wie trägt er
den? — Verhehl' mir nir. Sag' alles, was du weißt."
„Ich weiß nur, was die Leute erzählen, und die erzählen:
,Wilm Potter ist, als hätte er nie eine Frau gehabt. Wöbke hat
aus Stube und Haus jedes Stück wegnehmen müssen, was dir
zugehört hat — was ihn an dich mahnen könnt'. Er nimmt deinen
Namen nicht mehr auf seine Lippen. Um seinen Hof kümmert
er sich man schlecht. Dahingegen geht er oftmalen zum Wirt nach
Quelkhorn, spielt Karten und singt und lacht-"
„Singt und lacht!"
„Ob ihm so zu Sinn is, das weiß ich ja nicht, Eina. Manch
einer lacht, um nicht zu weinen."
„Ist, als hätt' er nie eine Frau gehabt," wiederholte Gina.
„So unbändige Lieb' — und is bloß Strohfeuer gewesen!"
„Es ist mir leid, datz ich dir keinen besseren Bescheid bringen
kann," entschuldigte Jan. „Aber du warst verlangend, die
Dinge zu wissen, wie sie sind."
„Ja, ja — ich dank' dir, Jan. Es is gut, datz ich's weiß, sehr
gut. Ich bin mir nun ganz klar, was mir zu tun aufliegt. Fort
mutz ich —"
„Fort willst?"

Die Hypnotisierung / Nach einem Scherenschnitt von A. Commichau
 
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