Bewundrern hinüber, da Zweite und Maulkorb ihn hinderten,
sich auf eine ihm erwünschtere Art mit ihnen zu beschäftigen.
„Soll ich dem Biest mal einen Stein an'n Kopf werfen?"
schlug Krischan Potter seinem Bruder Menne vor.
Menne riet ab. „Die olle Zigeunermutter kiekt aus'm Fenster,
Krischan. Wenn sie's sieht, dann verhext sie dir."
Verhexen lassen wollte Krischan sich nicht, und keiner von den
sonst so dreisten Moorbuben. Mit dem Zottelbären selbst hätten
sie es vielleicht ausgenommen, aber die Zauberkünste der Zigeuner-
mutter scheuten sie. So hatte Meister Petz Ruhe vor ihnen.
Wilm Potter schlenderte Zwischen den Viehständen umher.
Wenn er fand, was ihm gefiel, so würde er sich noch ein Pferd
zu seinem Braunen einstellen. Wozu sich einen Wunsch versagen?
Wofür Geld auf die hohe Kante legen? Für Ginas Buben etwa?
— Lächerlich.
Zwischen seinen Brauen hatte sich eine Falte eingegraben, die
auf Clüvers Hochzeit noch nicht dort gewesen war. Aber er trug
ein schier übermütiges Wesen zur Schau, und sein Mund verzog
sich viel öfter zum Lachen als vordem — wenigstens wenn
Menschen um ihn waren. Ihrem gaffenden Mitleid seine Wunde
zeigen? Er nicht. Und wenn er dran verblutete! — Überhaupt,
wozu den Kopf hängen lassen? Das ganze Leben war ja Possen-
spiel, jeder Eid Lüge, Treue, Liebe, Freundschaft Trug und
Schein. Einmal würde der Vorhang über der ganzen Komödie
fallen, gerade wie im Vorstadttheater in Bremen. Solange aber
das Stück spielt, lacht man, lacht auch über die herzzerreißendsten
Geschehnisse. Ist ja alles nur Theater, das Glück, das einer sich
einbildet und der Schmerz auch. Er hatte hinter die Kulissen
geguckt: Pappe und Leinwand. Jetzt war er klug. Ihn freute nichts
mehr, ihn kränkte nichts mehr. Nur, daß durch solche Klugheit
das Leben so tot und farblos für ihn geworden war wie das
Moor unter seiner Schneedecke.
Uber den Markt schlendernd kam er zu dem Zigeunerwagen,
und der blitzblanke Gaul stach ihm in die Augen.
Ein junger Zigeunerbursch stand daneben, zierlich und ge-
schmeidig. Dichtes schwarzes Haar fiel ihm bis auf den Nacken,
große, schwarze Augen brannten unter hochgeschwungenen
Brauen. Er lachte dem mutmaßlichen Käufer entgegen, daß all
seine blendendweißen Zähne unter dem langen Schnurrbart
hervorblitzten.
„Will der große Herr sehen Pferdchen? Glattes Pferdchen!
Fell wie Seide. Starkes Pferdchen! Zieht Wagen, zieht Pflug,
wie großer Herr verlangt. Junges Pferdchen dazu, keine sieben
Jahre alt. Janko schwört bei dem Haupt von seinem Vater.
Wir geben es ganz billig an guten Herrn. Ist zu kostspielig für
armen Mann von Zigeu¬
ner, zu halten mehr
Pferde, als er braucht."
Er band das Tier los.
Es schien kaum zu bändi¬
gen vor jugendlichem
Feuer. Wilm aber, der
sich auf Pferde verstand,
griff schweigend nach dem
Maule.
„Mußt nicht, großer
Herr," suchte der Zigeu¬
ner ihm zu wehren. „Edles
Noß ist empfindlich."
Aber Wilm hatte schon
mit festem Griff den
Unterkiefer des Wallachs
herab gebogen und das
Gebiß gemustert. Lachend
ließ er das Pferd los.
„Seine zwanzig Jahre
mindestenshatdeinSchin-
der auf'm Buckel! Aber
fein hergerichtet hast ihn,
Erzspitzbub du!" Und ohne auf das Schimpfen des Zigeuners
zu achten, wandte er ihm den Rücken.
Er bummelte durch die Budenreihen. Rasseln gab's da und
Hampelmänner, Schätze für einen acht Monate alten Knaben.
Vordem wäre es ihm Glück gewesen, sein Kind zu beschenken.
Sein Kind? — Nein, er brachte Ginas Sohn kein Marktstück heim.
. Mit einigen Bekannten aus Nachbarkolonien setzte er sich in
die Wirtsstube, trank Bier, spielte Karten. Im Laufe des Tages
gesellte sein Bruder Hinnerk sich zu ihm. Seit dem Verschwinden
der verhaßten Schwägerin hatte der keine Gelegenheit vorüber-
gehen lassen, sich Wilm zu nähern.
„Die Veranlassung von unsrem Streit steht nicht mehr zwischen
uns, Wilm," hatte er schon bald gesagt. „So mein' ich, wir
könnten wohl wieder in brüderlicher Eintracht mitsammen ver-
kehren."
Wilm sagte nicht nein, nicht ja dazu. Seine erste rote Wut hatte
sich in eisige Gleichgültigkeit gewandelt. Gelichter alles, was
Menschenantlitz trug! Warum sollte der Snakenbauer besser sein
als die anderen?
„Sieh, Wilm, das mag ich leiden," begrüßte Hinnerk den
Bruder, „daß du auch ohne Geschäft zum Markt gekommen bist
und dir hier einen vergnügten Tag machst."
Und Trautmarei, die mit ihrem Manne gleichzeitig eingetreten
war, fiel lebhaft ein: „Wenn du irgend ein Ding für den Haushalt
benötigst, Schwager, denn bin ich gern erbötig, es mit dir ein-
kaufen zu gehen-Ich meine, wo du doch nu keine Hausfrau
hast-"
Wilm unterbrach sein Spiel nicht, er sah nicht einmal auf.
„Mach' dir keine Müh'. Was meinen Hausstand angeht, den
besorgt Wöbke. Da läßt sie sich nicht dreinreden."
Trautmarei setzte sich neben ihn. „Ja, dein' Wöbke, das ist ein
eigen Kapitel. Ich würde manchmal gern auf deinen Hof
kommen, lieber Wilm, und nach dem Rechten sehen, weil, wie
man sagt, das Auge von einem einzigen Herrn mehr sieht als
die Augen von zwanzig Knechten. Bloß, dein' Wöbke leidet's
nicht. Richtig unfreundlich is ihr Benehmen gegen mich."
„Schippensolo. Wer spielt aus? — Wöbke is an die vierzig
Jahr' auf'm Potthof."
„Das ist es ja. Wenn Dienstboten so lang auf einem Platz
sind, denn werden sie dreist. Du bist zu gut. Du solltest ihre
Übergriffe nicht leiden."
„Meinst, daß ich ihr auf die Straße werfen soll?"
Wilm spielte ruhig weiter und wandte den Kopf nicht.
„Das nu nicht gerade. Aber du könntest die alte Person wohl
in ein Stift in Bremen einkaufen. Die Jahre hat sie. Und auf
deinem Hof ist sie mit
ihren mürben Knochen zu
nichts mehr nütze, als
Ginas Kind zu versorgen.
Das mußt du einsehen."
Jetzt hob Wilm die
Augenvon seinemKarten-
spiel und sah die Schwä-
gerin an. Und Trautmarei
mußte die Lider nieder-
schlagen, sie konnte den
B lick nicht aushalten. Was
der Mensch für Augen
hatte! Vermochte er wirk-
lich ihrer Seele geheime
Gedanken zu lesen, den
brennenden Wunsch, das
Kind, das zwischen ihr
und dem Potthof stand,
von seiner treuen Hüterin
zu trennen?
Hinnerk Potter machte
das allzu plumpe Drauf-
gehen seiner Frau ver-
Habt ihr Hunger? / Nach einer Aufnahme von Paul Bromberger