Hab's gesehen in deinen Augen, als ich auf dem Seil stand
und du mich angeschaut hast. Viele Augen haben das getan, keine
wie deine. Gute Augen, Glücksaugen. Aber sie haben Heller
geglänzt damals. Ich möcht' sie wieder glänzen sehen."
„Möchtest das?"
Sie hatte sich tief über Wilm geneigt, und ihre glutvolle
Schönheit stieg ihm ins Hirn wie ein feuriger Trank. Das Pendel
seines kranken Gemütes, das weit ausgeschlagen hatte nach der
Seite des Schmerzes, schlug ungestüm zurück nach der Seite
der Lust. War er nicht ein Narr, sich einzuspinnen in seinen Trüb-
sinn, statt das Leben zu packen mit beiden Händen, wo es sich
greifen lieh? — Wenn Überwinden unmöglich war — schon
Vergessen bringt Linderung.
„Möchtest das?" wiederholte er. „Dann setz' dich zu mir her,
Dern. Da! Magst trinken?"
Er bot ihr seinen Vierkrug. Aber sie wehrte.
„Lila nicht trinkt Bier."
„Kein Bier? — So'n feines Fräulein bist? — Nun denn,
Wirt! Bring' mal eine Flasche Wein her. — Wein magst, was?
Lila? Oder kennst ihn gar nicht?"
„Wein und Feuerwasser trinken schon unsere ganz Kleinen,
großer Herr."
„Sieh mal! Dann kommt ihr wohl als Prinzen auf die Welt?"
„Wir sind von altem, reinem Stamm, wir Groffos, Herr.
Königsblut fließt in meinen Adern."
„Was du nicht sagst! — Hast denn schon zu Nacht gegessen,
Prinzessin?"
„Noch nicht. Haben langen Weg gemacht. Großmutter Hinka
sagt: erst Geld einnehmen, dann Geld ausgeben."
Frauen von heute: Bogenschützin. (Phot. Schirmer)
für Wlfe e f k 5
„ Scheint eine sehr verständige Frau, deine Großmutter. Na, dann
wirst ein Stück saftigen Schweinebraten wohl nicht verachten."
Er bestellte ein neues Nachtmahl, ein üppiges. Er füllte dem
Zigeunermädchen das Weinglas und trank mit ihr, und sie ließ
sich Trank und Speise schmecken mit einer Unbefangenheit, die
ihn entzückte. Was sie plauderte, hörte er kaum. Er sah nur ihr
nachtschwarzes Haar, ihre samtschwarzen Augen, die Anmut
ihrer Bewegungen. War's möglich, daß es auf der Welt solche
Schönheit gab?
Er merkte es nicht, daß die Beekenmoorer tuschelnd die Köpfe
zusammensteckten, merkte nicht, daß der Sänger des Liedes, das
ihm die Seele umdüstert hatte, in der offenen Tür lehnte und
mit vor Eifersucht flammendem Blick ihn und die Zigeunerin
anfunkelte. Er sah auch nicht das zornige Aufschrecken Traut-
mareis, als sie, von der wahrsagenden Zigeunerin sich abwendend,
den Erbschwager in traulicher Gemeinschaft mit dem Tatern-
mädchen am Tisch sitzen sah.
Sobald Lila ihr Mahl beendet hatte, forderte er sie auf zum
Tanz. Es verlangte ihn, so viel Schönheit in den Armen zu
halten, an sich zu pressen, mit Händen zu greifen, um sich zu
überzeugen, daß sie kein Traumbild war, sondern Wirklichkeit,
lebende Wirklichkeit.
Staunend sahen's die Moorleute. Mit einem Zigeuner-, einem
Taternmädchen tanzen — tolles Stück! — Als Erniedrigung
empfanden es die Burschen, die Bauerntöchter als Beleidigung,
und grün vor Zorn schillerte Trautmareis Gesicht.
„Wieder und wieder muß dein Bruder Wilm sich mit schlechten
Weibern einlassen! — Kannst du seiner Narrheit nicht steuern,
Vater?"
„Nee," erklärte Hinnerk, „das kann ich nicht. Aber mit an-
sehen mag ich die Schande auch nicht."
Er ging hinaus und schirrte den Wagen ein.
Während sie heimfuhren, dachte Trautmarei an der Zigeunerin
Mutmaßung, daß auch ein Weib in ihrem Wege stünde. Die schien
wirklich mehr zu verstehen als Brotessen. Jedenfalls wollte sie
ihren Rat beachten und ihre Hilfe nicht von sich weisen.
Der Wagen mit den Snakenhöfern war kaum fortgerollt, als
ein strammer Zigeuner die Schenke betrat, den Schlapphut
auf dem Kopf, Sporen an den zerrissenen Stiefeln, deren Schäfte
ihm bis über die Knie ragten. Braun war sein Gesicht wie nach-
gedunkelte Bronze, ein Gesicht mit strengen, herrsch gewohnten
Zügen und einem Schnurrbart, dessen Enden bis auf den Pelz-
aufschlag seiner schnürenbesetzten Jacke fielen. Mit harter Stimme
rief er ein paar Worte in fremder Sprache in den Saal.
Da löste die junge Zigeunerin sich aus Wilms Armen.
„Lila muß sagen gute Nacht zu feinem, gutem Herrn."
„Was denn?" wehrte Wilm. „Ist ja noch früh, und zu deinem
Wagen hast du nur einen Katzensprung."
„Kann nicht bleiben. Dad hat gerufen. Lila muß Dad ge-
horchen."
„Dad? — Wer ist Dad?"
„Dad ist Vater. Vater von Lila, Vater von der ganzen Familie.
Ich will sagen, er hat väterliche Hand über uns alle und braucht
zu gehorchen selbst nur dem Hauptmann."
„Einen Hauptmann habt ihr auch?"
„Er hat uns gerufen, der Gako, wie es Brauch ist jedes siebente
Jahr. Auf den Hammewiesen kommen wir zusammen, wir alle
aus dem Pferdeland Hannover, alle, die führen als Wahrzeichen
den Igel mit dem Mehlbaumblatt und schwarz-blau-goldenem
Band. — Das verstehst du nicht, sagst du? — Kann dir es jetzt
nicht ausdeuten, feiner, schöner Herr. Dad wartet. Darfst Lila
nicht halten."
„Willst du mir denn unter meinen Händen verschwinden für
immer?" rief Wilm erschrocken, denn eine Stunde Vergessen,
eine Stunde Freude hatte das braune Mädchen ihm gebracht.
„Nano. Nein. Lila sagt: Auf Wiedersehen!"
Sie warf ihm eine Kußhand zu, und flink und anmutig wie
eine Eidechse glitt sie Zwischen den Tanzenden hindurch zur Türe,
wo der Zigeuner wartete.
und du mich angeschaut hast. Viele Augen haben das getan, keine
wie deine. Gute Augen, Glücksaugen. Aber sie haben Heller
geglänzt damals. Ich möcht' sie wieder glänzen sehen."
„Möchtest das?"
Sie hatte sich tief über Wilm geneigt, und ihre glutvolle
Schönheit stieg ihm ins Hirn wie ein feuriger Trank. Das Pendel
seines kranken Gemütes, das weit ausgeschlagen hatte nach der
Seite des Schmerzes, schlug ungestüm zurück nach der Seite
der Lust. War er nicht ein Narr, sich einzuspinnen in seinen Trüb-
sinn, statt das Leben zu packen mit beiden Händen, wo es sich
greifen lieh? — Wenn Überwinden unmöglich war — schon
Vergessen bringt Linderung.
„Möchtest das?" wiederholte er. „Dann setz' dich zu mir her,
Dern. Da! Magst trinken?"
Er bot ihr seinen Vierkrug. Aber sie wehrte.
„Lila nicht trinkt Bier."
„Kein Bier? — So'n feines Fräulein bist? — Nun denn,
Wirt! Bring' mal eine Flasche Wein her. — Wein magst, was?
Lila? Oder kennst ihn gar nicht?"
„Wein und Feuerwasser trinken schon unsere ganz Kleinen,
großer Herr."
„Sieh mal! Dann kommt ihr wohl als Prinzen auf die Welt?"
„Wir sind von altem, reinem Stamm, wir Groffos, Herr.
Königsblut fließt in meinen Adern."
„Was du nicht sagst! — Hast denn schon zu Nacht gegessen,
Prinzessin?"
„Noch nicht. Haben langen Weg gemacht. Großmutter Hinka
sagt: erst Geld einnehmen, dann Geld ausgeben."
Frauen von heute: Bogenschützin. (Phot. Schirmer)
für Wlfe e f k 5
„ Scheint eine sehr verständige Frau, deine Großmutter. Na, dann
wirst ein Stück saftigen Schweinebraten wohl nicht verachten."
Er bestellte ein neues Nachtmahl, ein üppiges. Er füllte dem
Zigeunermädchen das Weinglas und trank mit ihr, und sie ließ
sich Trank und Speise schmecken mit einer Unbefangenheit, die
ihn entzückte. Was sie plauderte, hörte er kaum. Er sah nur ihr
nachtschwarzes Haar, ihre samtschwarzen Augen, die Anmut
ihrer Bewegungen. War's möglich, daß es auf der Welt solche
Schönheit gab?
Er merkte es nicht, daß die Beekenmoorer tuschelnd die Köpfe
zusammensteckten, merkte nicht, daß der Sänger des Liedes, das
ihm die Seele umdüstert hatte, in der offenen Tür lehnte und
mit vor Eifersucht flammendem Blick ihn und die Zigeunerin
anfunkelte. Er sah auch nicht das zornige Aufschrecken Traut-
mareis, als sie, von der wahrsagenden Zigeunerin sich abwendend,
den Erbschwager in traulicher Gemeinschaft mit dem Tatern-
mädchen am Tisch sitzen sah.
Sobald Lila ihr Mahl beendet hatte, forderte er sie auf zum
Tanz. Es verlangte ihn, so viel Schönheit in den Armen zu
halten, an sich zu pressen, mit Händen zu greifen, um sich zu
überzeugen, daß sie kein Traumbild war, sondern Wirklichkeit,
lebende Wirklichkeit.
Staunend sahen's die Moorleute. Mit einem Zigeuner-, einem
Taternmädchen tanzen — tolles Stück! — Als Erniedrigung
empfanden es die Burschen, die Bauerntöchter als Beleidigung,
und grün vor Zorn schillerte Trautmareis Gesicht.
„Wieder und wieder muß dein Bruder Wilm sich mit schlechten
Weibern einlassen! — Kannst du seiner Narrheit nicht steuern,
Vater?"
„Nee," erklärte Hinnerk, „das kann ich nicht. Aber mit an-
sehen mag ich die Schande auch nicht."
Er ging hinaus und schirrte den Wagen ein.
Während sie heimfuhren, dachte Trautmarei an der Zigeunerin
Mutmaßung, daß auch ein Weib in ihrem Wege stünde. Die schien
wirklich mehr zu verstehen als Brotessen. Jedenfalls wollte sie
ihren Rat beachten und ihre Hilfe nicht von sich weisen.
Der Wagen mit den Snakenhöfern war kaum fortgerollt, als
ein strammer Zigeuner die Schenke betrat, den Schlapphut
auf dem Kopf, Sporen an den zerrissenen Stiefeln, deren Schäfte
ihm bis über die Knie ragten. Braun war sein Gesicht wie nach-
gedunkelte Bronze, ein Gesicht mit strengen, herrsch gewohnten
Zügen und einem Schnurrbart, dessen Enden bis auf den Pelz-
aufschlag seiner schnürenbesetzten Jacke fielen. Mit harter Stimme
rief er ein paar Worte in fremder Sprache in den Saal.
Da löste die junge Zigeunerin sich aus Wilms Armen.
„Lila muß sagen gute Nacht zu feinem, gutem Herrn."
„Was denn?" wehrte Wilm. „Ist ja noch früh, und zu deinem
Wagen hast du nur einen Katzensprung."
„Kann nicht bleiben. Dad hat gerufen. Lila muß Dad ge-
horchen."
„Dad? — Wer ist Dad?"
„Dad ist Vater. Vater von Lila, Vater von der ganzen Familie.
Ich will sagen, er hat väterliche Hand über uns alle und braucht
zu gehorchen selbst nur dem Hauptmann."
„Einen Hauptmann habt ihr auch?"
„Er hat uns gerufen, der Gako, wie es Brauch ist jedes siebente
Jahr. Auf den Hammewiesen kommen wir zusammen, wir alle
aus dem Pferdeland Hannover, alle, die führen als Wahrzeichen
den Igel mit dem Mehlbaumblatt und schwarz-blau-goldenem
Band. — Das verstehst du nicht, sagst du? — Kann dir es jetzt
nicht ausdeuten, feiner, schöner Herr. Dad wartet. Darfst Lila
nicht halten."
„Willst du mir denn unter meinen Händen verschwinden für
immer?" rief Wilm erschrocken, denn eine Stunde Vergessen,
eine Stunde Freude hatte das braune Mädchen ihm gebracht.
„Nano. Nein. Lila sagt: Auf Wiedersehen!"
Sie warf ihm eine Kußhand zu, und flink und anmutig wie
eine Eidechse glitt sie Zwischen den Tanzenden hindurch zur Türe,
wo der Zigeuner wartete.