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m Tage vor Pfingsten rollte der Zigeunerwagen auf die
Beekenmoorer Feldmark. Groffo, das gefürchtete Familien-
haupt, steuerte ihn unter viel Geschrei, Flüchen, Peitschenknallen
und Hundegebell, währenddem Sastereskero, der Eiserne, samt
allen Männern und Weibern der Bande schiebend den keuchenden
Pferdchen Beistand leistete und das Kindergekrabbel, zur Er-
leichterung der Last ausgeladen, auf nackten Füßen durch das
ein halbes Meter hohe Heidekraut watete, auf einen Fleck im
Moor: nur etwa zweimal eines Büchsenschusses Weite von der
Kolonie entfernt lag die Stelle. Ein kleiner Birkenbusch schützte
vor dem steifen Westwind, und ein winziges Bächlein, das langsam
der Hamme zusickerte, verhieß Trinkwasser für Mensch und Lieh.
Nachdem die Pferdchen, losgeschirrt, an den spärlichen Gras-
halmen im Busch zupften und an den jungen Birkentrieben
knabberten, streckten die Männer sich faul in der Sonne aus, die
Weiber holten das Kochgeschirr aus dem Wagen, zündeten ein
Feuer an und begannen einem Igel, den sie unterwegs gefangen
hatten, die Stacheln abzusengen, um ihn zu einem leckeren
Mittagsmahl zu bereiten.
Groffo aber, das Familienhaupt, kramte aus einem Fach im
Wagen eine Handvoll vielfach gestempelter, durch langen Ge-
brauch fettig gewordener Papiere hervor und wanderte mit
ihnen zur Kolonie, um dem Vorsteher ordnungsmäßig die An-
kunft der Bande anzuzeigen, samt der amtlichen Erlaubnis, sich
im Teufelsmoore aufzuhalten.

In der Kolonie war schon alles, was Kräfte hatte, wieder in.
die verschiedenen Torfstiche abgezogen, um, ehe das Pfingstfest
mit zwei Feiertagen die Hände lähmte, noch möglichst viel der
kostbaren Torfernte aus dem Erdschoß zu fördern. Aber Vor-
steher Puvogel, der sich den Siebzigen näherte, weilte daheim,
und von fernher schon sahen seine weitsichtigen Augen das-
Gefährt über das weglose Moor daherholpern. Ungern sahen
sie es.
„Donner noch eins! Frau, müssen die verfluchten Tatern,
sich grad in unsere Kolonie einnisten! Nu paß man auf deine
Küken und Enten, sonst schnappen sie die infamigen Spitzbuben,
dir mit ihren Angelschnüren weg wie die Hechle im Kanal."
Er legte sein Gesicht in die grimmigsten Falten, als Groffo
vor ihm erschien, und prüfte, die Brille auf der Nase, scharf die
vorgelegten Papiere, ob nicht etwa ein Fehler ihm ein Recht
gäbe, den unwillkommenen Gästen den Aufenthalt zu wehren.
Auf den amtlichen Ausweisen trug die ganze Bande gängige,
christliche Namen, nichts von Groffo, nichts von Muta, Lila
oder Hinka. Auf den Zigeuner Friedrich Winter und seine Frau
Karoline lautete der Reisepaß, samt ihren Familienangehörigen,
als da waren Söhne, Töchter, Schwiegertöchter, Enkel, Neffen,
Schwäger. Winter hießen sie alle. Auch der Bärenführer hieß
Wilhelm Winter und durchaus nicht Stamlo Sastereskero.
Obgleich Henning Puvogel der Überzeugung war, daß in
diesen Papieren vieles gefälscht und erlogen sei, fand er doch die



„Der Spielmann durch die Länder zieht..." / Nach einer künstlerischen Aufnahme von Karl Vollmann in Berlin
 
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