Heft 5
io8
Das Buch
Sie antwortete nicht. Eine lange Korallenklunker hängte sie
sich in das linke Ohr und prüfte im Spiegel ihre Wirkung.
„Und dann hast du dich von ihm traktieren lassen mit Braten
und teurem Wein —"
„Du traktierst mich mit so was ja nicht, Janko."
„Mach> mich nicht wild! — Du weißt es gut: wenn ich's
vermöchte, die Sterne vom Himmel würd' ich dir herunter-
holen. Meinst, ich hätt's nicht gemerkt, wie die Freude dir fast
die Brust zersprengt hat, als Dad sagte: ,Die Fahrt geht nach
Beekenmoor'?"
Lila drehte sich vom Spiegel zu dem Burschen herum.
„Es ist wahr, er gefällt mir."
„Gefällt dir? — Verliebt bist du in ihn! Sündhaft verliebt."
Sie zuckte die Achseln.
„Und ich, Lila? Und ich? Hast du's vergessen, daß dein Vater
uns zusammengeben will als Mann und Frau?"
„Hab' ich schon ,ja' dazu gesagt?"
„Du hast dich nicht gesträubt. Ich mußt' mir einbilden, du
hättest mich gern. Und nun — von einem freien Zigeuner, der
sein Vaterland hat in der ganzen Welt, der sein eigener Herr ist
in der ganzen Welt, willst du dich wenden zu einem, der an
seinen Moorschlamm angespießt haftet wie der Käfer an der
Nadel, der gleich seinen Ackergäulen im Joch keucht, schanzt und
werkt, der der Knecht ist von seinen paar Hufen Land, unfrei
von der Wiege bis zum Totenbett?"
für Alle
„Laß mich zufrieden, Janko."
„Liebst du mich denn nicht mehr?"
„Nein, ich lieb' dich nicht mehr, wenn du mit Gewalt eine
Antwort willst."
„Und liebst den andern?"
„Vielleicht. Wer weiß? — Was geht's dich an? — Es steht bei
mir, bei mir allein, wen ich liebhaben will."
„Lila — nimm dich in acht! — Ich seh' dich schon mit dem
Schnitt über der Nase, dem Schandmal unseres Stammes,
verstoßen als eine Unreine, ein schlechtes Weib. Oder bildest
du dir etwa ein, der Klütenpetter nimmt dich zu seiner Frau?"
„Warum sollt' er nicht?"
Der Bursch lachte wild auf.
„Eh einer von dem stinkigen Bauernpack eine Zigeunertochter
freit, du von Vernunft und Scham Verlassene, eher paart der
Dorfbulle sich mit einer Lerche."
Lila antwortete nicht. Sie begann ein Liedchen zu summen.
„Nun denn," rief Janko außer sich, „dann sollst du verflucht sein,
du Abtrünnige! Dann will ich auch von dir nichts mehr wissen.
Und kein reinblütiger Zigeuner soll jemals dich zur Frau nehmen."
Sie machte ihm eine spöttische Verbeugung.
„Laß deine Wut nicht überkochen, Janko. Mit Fluchen gewinnst
du Lila nicht."
Er schmetterte die Wagentür hinter sich zu. Lila aber fuhr
fort sich mit Bedacht zu schmücken. (Fortsetzung folgt)
JA» IT TT Dr / V sTT IWT rr.'c ir n NnickLI
Heimkehr / Nach einem Gemälde von Prof. Richard Müller
man das Wort
die Gemeinheit
gestoßen. Diese
/^r war ein Sonnenbruder: einer, der auf der Landstraße alt wurde,
^^mal hier und dort arbeitete, dann wieder bettelnd vor den Türen stand
und weiterging. Einer, der kein Ziel
hatte. Er hatte nur einen Weg. —
Aber dieser Wanderer durch Sonne,
Regen, Schneeund Wind hatte einen
Freund. Und dieser Freund war ein
struppiger, spielerischer Hund: ein
Spitz. Es war, als ob der Land¬
streicher seine ganze Liebe an diesen
Hund verschwendete. Und der Spitz
gab sie ihm zurück. Er haschte ihm
die grauen Sorgen von der Stirn
und spielte und tanzte damit. Er¬
kannte auf den Vorderfüßen gehen
und konnte auch auf den Hinter¬
füßen herumstolzieren. Er konnte
tanzen und sich überschlagen. Ja, er
war ein Künstler, dieser Spitz.
Und eines Tages war Schluß.
Der Feldgendarm griff den Land¬
strei ch er w e g en H ausb ett elei, tr ennt e
ihn von seinem Hund und führte den
Sonnenbruder in das Kreisstadt¬
gefängnis. Ein Leben war entzwei¬
gerissen: hier der Hund und dort
der Handwerksbursche. Beide ge¬
trennt. —
Und der Hund saß da, in sich ge¬
kehrt, schmerzlich in sich gekehrt. Er
fraß nicht mehr. Alle Lockungen zu
Spiel und Tanz waren vergebens.
Der Hund sah kaum auf. Wie ein
totgehetzter Seefahrer lag er da, dem
das Schiff versank. Wie einer, dem
das Herz vom Heimweh langsam
in blutige Scherben zerschlagen
wird. Manchmal zuckte er auf,
lauschte, horchte und fiel dann wie¬
der zusammen. Hob ihn ein freu¬
diger Gedanke an seinen Herrn
hoch? Oder hörte er, weit, so weit,
die Füße seines Herrn, die immer
auf und ab durch die Gefängniszelle
wanderten? — Der Dorfgendarm kam, sah sich den Hund eine Weile an,
dann schüttelte er den Kopf, nahm den Hund in seinen Rucksack, fuhr auf
dem Fahrrade zur Stadt und ließ
den Hund in die Gefängniszelle des
Handwerksburschen.
Nun geschah etwas tief Mensch-
liches.
Der Hund saß in der Zelleutür,
blickte lange seinem Herrn ins An-
gesicht und zitterte vor Glück am
ganzen Körper. Wie ein Mensch
kauerte er, der plötzlich von einer
unsäglichen Freude überfallen wird
und kein Wort herausbringt.
Uber das verwehte, zerrissene
Landstreichergesicht zog ein Glanz
wie tiefes Sonnenleuchten, das aus
seinen beiden Augen aufging. Und
nun formier: sich seine alten Lippen
zu einem Pfiff. Kaum aber hatte
sich der Pfiff an den Zellenwänden
gestoßen, da sprang der Spitz, wie
losgeschossen, an die Brust seines
Herrn. Und wie er sich an die
Sonnenbruderbrust klammerte und
krallte, da jaulte und winselte er so
seltsam, als ersticke ihm die Stimme
vor lauter Wiedersehensglück. Und
der Handwerksbursche stand da,
schüttelte, wie ungläubig, immer
wieder den Kopf, und ein seltsames,
tränennahes Lächeln zuckte um sei-
nen Mund. —
Wie tief hat
„Hundeseele" in
und Verachtung
kleine Geschichte, die nicht erlogen
ist, zeigt mit ergreifender Deutlich-
keit, daß der heilige Franziskus tau-
sendmal recht hatte, als er die Tiere
wie seine Brüder und Schwestern
anredete und für sie betete, wie
man für einen Menschen betet, den
man aus tiefstem Herzen liebt.
io8
Das Buch
Sie antwortete nicht. Eine lange Korallenklunker hängte sie
sich in das linke Ohr und prüfte im Spiegel ihre Wirkung.
„Und dann hast du dich von ihm traktieren lassen mit Braten
und teurem Wein —"
„Du traktierst mich mit so was ja nicht, Janko."
„Mach> mich nicht wild! — Du weißt es gut: wenn ich's
vermöchte, die Sterne vom Himmel würd' ich dir herunter-
holen. Meinst, ich hätt's nicht gemerkt, wie die Freude dir fast
die Brust zersprengt hat, als Dad sagte: ,Die Fahrt geht nach
Beekenmoor'?"
Lila drehte sich vom Spiegel zu dem Burschen herum.
„Es ist wahr, er gefällt mir."
„Gefällt dir? — Verliebt bist du in ihn! Sündhaft verliebt."
Sie zuckte die Achseln.
„Und ich, Lila? Und ich? Hast du's vergessen, daß dein Vater
uns zusammengeben will als Mann und Frau?"
„Hab' ich schon ,ja' dazu gesagt?"
„Du hast dich nicht gesträubt. Ich mußt' mir einbilden, du
hättest mich gern. Und nun — von einem freien Zigeuner, der
sein Vaterland hat in der ganzen Welt, der sein eigener Herr ist
in der ganzen Welt, willst du dich wenden zu einem, der an
seinen Moorschlamm angespießt haftet wie der Käfer an der
Nadel, der gleich seinen Ackergäulen im Joch keucht, schanzt und
werkt, der der Knecht ist von seinen paar Hufen Land, unfrei
von der Wiege bis zum Totenbett?"
für Alle
„Laß mich zufrieden, Janko."
„Liebst du mich denn nicht mehr?"
„Nein, ich lieb' dich nicht mehr, wenn du mit Gewalt eine
Antwort willst."
„Und liebst den andern?"
„Vielleicht. Wer weiß? — Was geht's dich an? — Es steht bei
mir, bei mir allein, wen ich liebhaben will."
„Lila — nimm dich in acht! — Ich seh' dich schon mit dem
Schnitt über der Nase, dem Schandmal unseres Stammes,
verstoßen als eine Unreine, ein schlechtes Weib. Oder bildest
du dir etwa ein, der Klütenpetter nimmt dich zu seiner Frau?"
„Warum sollt' er nicht?"
Der Bursch lachte wild auf.
„Eh einer von dem stinkigen Bauernpack eine Zigeunertochter
freit, du von Vernunft und Scham Verlassene, eher paart der
Dorfbulle sich mit einer Lerche."
Lila antwortete nicht. Sie begann ein Liedchen zu summen.
„Nun denn," rief Janko außer sich, „dann sollst du verflucht sein,
du Abtrünnige! Dann will ich auch von dir nichts mehr wissen.
Und kein reinblütiger Zigeuner soll jemals dich zur Frau nehmen."
Sie machte ihm eine spöttische Verbeugung.
„Laß deine Wut nicht überkochen, Janko. Mit Fluchen gewinnst
du Lila nicht."
Er schmetterte die Wagentür hinter sich zu. Lila aber fuhr
fort sich mit Bedacht zu schmücken. (Fortsetzung folgt)
JA» IT TT Dr / V sTT IWT rr.'c ir n NnickLI
Heimkehr / Nach einem Gemälde von Prof. Richard Müller
man das Wort
die Gemeinheit
gestoßen. Diese
/^r war ein Sonnenbruder: einer, der auf der Landstraße alt wurde,
^^mal hier und dort arbeitete, dann wieder bettelnd vor den Türen stand
und weiterging. Einer, der kein Ziel
hatte. Er hatte nur einen Weg. —
Aber dieser Wanderer durch Sonne,
Regen, Schneeund Wind hatte einen
Freund. Und dieser Freund war ein
struppiger, spielerischer Hund: ein
Spitz. Es war, als ob der Land¬
streicher seine ganze Liebe an diesen
Hund verschwendete. Und der Spitz
gab sie ihm zurück. Er haschte ihm
die grauen Sorgen von der Stirn
und spielte und tanzte damit. Er¬
kannte auf den Vorderfüßen gehen
und konnte auch auf den Hinter¬
füßen herumstolzieren. Er konnte
tanzen und sich überschlagen. Ja, er
war ein Künstler, dieser Spitz.
Und eines Tages war Schluß.
Der Feldgendarm griff den Land¬
strei ch er w e g en H ausb ett elei, tr ennt e
ihn von seinem Hund und führte den
Sonnenbruder in das Kreisstadt¬
gefängnis. Ein Leben war entzwei¬
gerissen: hier der Hund und dort
der Handwerksbursche. Beide ge¬
trennt. —
Und der Hund saß da, in sich ge¬
kehrt, schmerzlich in sich gekehrt. Er
fraß nicht mehr. Alle Lockungen zu
Spiel und Tanz waren vergebens.
Der Hund sah kaum auf. Wie ein
totgehetzter Seefahrer lag er da, dem
das Schiff versank. Wie einer, dem
das Herz vom Heimweh langsam
in blutige Scherben zerschlagen
wird. Manchmal zuckte er auf,
lauschte, horchte und fiel dann wie¬
der zusammen. Hob ihn ein freu¬
diger Gedanke an seinen Herrn
hoch? Oder hörte er, weit, so weit,
die Füße seines Herrn, die immer
auf und ab durch die Gefängniszelle
wanderten? — Der Dorfgendarm kam, sah sich den Hund eine Weile an,
dann schüttelte er den Kopf, nahm den Hund in seinen Rucksack, fuhr auf
dem Fahrrade zur Stadt und ließ
den Hund in die Gefängniszelle des
Handwerksburschen.
Nun geschah etwas tief Mensch-
liches.
Der Hund saß in der Zelleutür,
blickte lange seinem Herrn ins An-
gesicht und zitterte vor Glück am
ganzen Körper. Wie ein Mensch
kauerte er, der plötzlich von einer
unsäglichen Freude überfallen wird
und kein Wort herausbringt.
Uber das verwehte, zerrissene
Landstreichergesicht zog ein Glanz
wie tiefes Sonnenleuchten, das aus
seinen beiden Augen aufging. Und
nun formier: sich seine alten Lippen
zu einem Pfiff. Kaum aber hatte
sich der Pfiff an den Zellenwänden
gestoßen, da sprang der Spitz, wie
losgeschossen, an die Brust seines
Herrn. Und wie er sich an die
Sonnenbruderbrust klammerte und
krallte, da jaulte und winselte er so
seltsam, als ersticke ihm die Stimme
vor lauter Wiedersehensglück. Und
der Handwerksbursche stand da,
schüttelte, wie ungläubig, immer
wieder den Kopf, und ein seltsames,
tränennahes Lächeln zuckte um sei-
nen Mund. —
Wie tief hat
„Hundeseele" in
und Verachtung
kleine Geschichte, die nicht erlogen
ist, zeigt mit ergreifender Deutlich-
keit, daß der heilige Franziskus tau-
sendmal recht hatte, als er die Tiere
wie seine Brüder und Schwestern
anredete und für sie betete, wie
man für einen Menschen betet, den
man aus tiefstem Herzen liebt.