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Heft 5

Das Buch für Alle

Im australischen Wald: Farnbäume auf dem Weg zu den Belmorefallen in Neusüdwales


kommt, so kann man sich, vom
Frühstück angefangen, jeweils
unter acht bis zehn Speisen aus¬
wählen, was man zu essen Lust
hat. Auf dem Tisch stehen ein für
allemal große Dosen mit frischer
Butter und Orangenmarmelade,
mittags und abends auch Früchte
und grüner Salat oder Stangen¬
sellerie, die nach Belieben dem
Käse zugefügt werden können,
dazu weißes und braunes Brot
und Toast, soviel man haben
will.
Natürlich ist die Küche englisch,
das heißt nur für den englischen
Magen angenehm und wohl¬
schmeckend. Aber innerhalb dieser
Einschränkung muß man zuge¬
stehen, daß die Speisen gut zu¬
bereitet sind, vor allem ohne
jedes übliche billige Ersatzmittel,
sondern von durchaus bester
Qualität. Schließlich verträgt es
wohl auch die konservativste
englische Eßlust nicht, jeden
Tag „roÄ8t1arnd", „kmiu" und
„rrnwtou" zu genießen, wenn
dies alles nicht in so hervor¬
ragenden: Zustand wäre. Die
Bedienung geht lautlos, flink,
mit jener schweigsamen Sach¬
lichkeit, die sich einzig auf die je-
weilige Beschäftigung konzen¬
triert. Diese Sachlichkeit zeichnet
aber auch die Reisenden aus, die
nicht durch überflüssige Wünsche
die schnelle Abwicklung der Rei¬
henfolge erschweren. Geschieht
es, daß der Zug ausnahmsweise
besetzt ist, so daß der Speise¬
wagen nicht alle zugleich auf
einmal fassen kann, so sammelt
sich der andere Teil allmählich
vor seiner Türe und wartet, bis
einer um den anderen Platz fin¬
det. Viele junge Leute, die ge-
rade in die Weihnachtsferien
nach Hause, das heißt meist an
den anderen Rand des Konti-
nents fuhren, vertrösteten ihren
hungrigen Magen mit ein paar
lustigen Gesängen, die sie in
solchem Eifer im Chor sangen,
daß ihre blanken Augen fun¬
kelten und die gebräunten Ge¬
sichter noch dunkler wurden.
Das Schönste an dieser Bahn
ist aber die Strecke zwischen der
Goldgräberstadt Kalgoorlie und
dem blumenumblühten Adelaide.
Sie ist der längste Teil, den
man, ob mit oder gegen seinen
Willen, in einem bewältigen muß. Es liegt nämlich außer einigen win-
zigen, buchstäblich nur aus ein paar Wellblechhäusern bestehenden Sied-
lungen auf eine Entfernung von fünfundfünfzig Stunden Fahrt nichts da-
zwischen als die unermeßliche Nullarborwüste, die mit ihren vielen hundert
Kilometern Ausdehnung wohl die größte Wüste der Welt überhaupt ist. Diese
durchfährt man an ihrem unteren Rand in ihrer ganzen Breite und bei
einer Temperatur, die zu jeder Jahreszeit sich zwischen dreißig und vierzig
Grad Celsius trockenster Gluthitze bewegt. Diese Strecke hat die Oonnriori
V^srcktla, also die gesamtaustralische Regierung, gebaut (in die anderen
teilen sich die jeweiligen Länder), und sie ist die modernste, nicht nur mit
ihren zu jeder Zeit funktionierenden kalten Duschen, sondern auch durch
ihren doppelten, riesengroßen Salonwagen.
Draußen brennt Stunde um Stunde ein Sonnenfeuer, das schattenlos

die unbegrenzte Ebene erfüllt und mit blendendweißer Lohe übergießt.
Der Boden, gelb bis ziegelrot, scheint in Glut zu stehen. Dunkel wirbelt
mit trägen Spiralen da und dort am Himmelsrand eine Staubtrombe
dahin oder schüttet einen braunen Nebel über die großen Fenster der
Wagen. Der Vlaubusch starrt wie aus irgend einem fremdartigen, mond-
bleichen Metall. Wächsern ragen die Salzbüsche in ihrem trostlosen Grau.
Dazwischen Gestein von allen Farben und Formen, meist scharf gekantet,
von der Hitze der Tage und der fast eisigen Kälte der Nächte zersprengt.
Kein Tier, höchstens dann und wann ein Emu, der wie eine schwarze
Silhouette dahintrabt. Kein Grün, denn mehr als ein halber Tag vergeht,
ehe schüchtern, wie ein zaghafter, vergessener Pionier, der erste Eukalyptus-
strauch auftaucht — nichts als die sagenhafte Einsamkeit dieses durst-
starrenden Bodens, die schreckensvolle Verlassenheit einer Landschaft,
 
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