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vor der verriegelten Tür seines Arbeitszimmers, aus dem sie aus-
geschlossen war und in dem entstand, was sie ersehnte. Wie glück-
lich muhte Erik in seinem Schaffen sein! Einem Baume gleichend,
dem im Frühling der Saft in alle Zweige schießt! Die Wurzeln
aber hatte er in ihr Sein gesenkt und nährte sich von ihrem Blut.
Tropfen um Tropfen gab sie für ihn. —
Sie hütete sich, ihn zu stören, ihn zu reizen, und würgte
schweigend und mit einem Lächeln auf den Lippen den Schmerz
des Alleingelassenseins und der Verarmung ihrer Tage hinunter.
Denn einmal würde die Stunde anbrechen, wo Erik ihr tausend-
fach alles ersetzen würde, was sie jetzt entbehrte. Im Vorgefühl
dieser Erfüllung litt sie, mit Inbrunst fast, was jetzt seine Ver-
sunkenheit ihr auferlegte.
Auch daß er allabendlich beinahe ausging, ertrug sie ohne Vor-
wurf, nicht ahnend, daß er ihre
Liebe verriet und vor ihrer schwe¬
ren Seele flüchtete zu jener Frau,
die zum Tanz gemacht und zum
Genuß geboren schien. Im Gegen¬
teil trachtete sie schon jetzt danach,
dem werdenden Werke ihres Gat¬
ten die Wege zu bahnen. Zu die¬
sem Zweck erschien ihr auch eine
Aussöhnung mit dem noch immer
grollend abseitsstehenden Albert
geboten.
Albert Schröder war unmittel¬
bar nach Claudias Heirat aus dem
Geschäft ihres Vaters ausgetreten
und hatte eine moderne Bücher¬
stube eröffnet, welche der alten,
mit dem Schröderschen Verlag
verknüpften Buchhandlung ernste
Konkurrenz machte. Albert ent¬
wickelte eine umsichtige Tätigkeit,
die mit größtem Erfolg gekrönt
war. Die ersten Dichter der Zeit
hatte er zu Vorträgen verpflichtet
und war so zu einer literarischen
Macht in der grauen Stadt ge¬
langt. Diesen Mann des Aufstiegs
für das Werk ihres Gatten zu ge¬
winnen, schienClaudia notwendig,
und so betrat sie denn eines Abends
kurz entschlossen die Bücherstube,
um ihren Vorsatz auszuführen.
Albert Schröder stieg alles Blut
zu Kopf, als er die zierliche Ge¬
stalt seiner einstigen Angebeteten
plötzlich vor sich stehen sah. Er kam mit gemessenen Schritten
hinter seinem Pult hervor und trat ihr entgegen.
Claudia lächelte harmlos: „Ich wollte doch mal sehen, wie du
dich hier eingerichtet hast, Albert!"
Er griff zögernd nach ihrer dargebotenen Hand.
„Große Ehre!" sagte er. „Wenn du gestattest, will ich selbst
dein Führer sein."
In seinem Laden war nichts Besonderes zu sehen, und Claudia
war fast ein wenig enttäuscht. Ein moderner Buchladen, vielleicht
etwas geschmackvoller eingerichtet als andere. Hohe Bücherregale
bis an die Decke, Verkaufstische, junge Männer, die geschäftig
hin und her glitten und ein wählerisches Publikum bedienten.
Albert führte seinen East in einen mit schweren Vorhängen
abgeteilten Raum hinter dem Laden.
Da bot sich Claudias erstaunten Blicken ein intimes Gemach,
mit feinem künstlerischem Geschmack eingerichtet, mit Klubsesseln
und kleinen Tischen ausgestattet, auf denen Bücher und Zeit-
schriften aller Art ausgelegt waren. Niemand befand sich zu dieser
Stunde in diesem Raum mit Ausnahme der beiden Eintreten-
den. Albert nötigte Claudia in eine behagliche Nische in einen
für Älle Hkst 19
tiefen Sessel, ließ sich ihr gegenüber nieder und knipste eine schöne
Stehlampe an.
„Hübsch, daß du gekommen bist, Claudia."
„Ich wollte schon längst mal bei dir eingucken. Reizend hast
du es hier, das muß man sagen. Wie läuft das Geschäft?"
„Gut, und es wird immer besser. Jetzt vor Weihnachten ist
natürlich überall Hochbetrieb — so auch bei uns. Überdies sind
die Dichterabende ein großer Erfolg für uns."
„Ja, das ist wahr, Albert. Ich wundere mich aber, daß du
Erik noch nicht aufgefordert hast, zu lesen."
Albert Schröder zog die Brauen hoch und faltete die Hände
über seinem Magen. „Findest du das wirklich so verwunderlich
nach dem, was vorgefallen ist, Claudia?"
Sie zuckte die Achseln. „Ach, Albert, eines Tages wirst du ja
Gott auf den Knien danken, daß
du mich nicht gekriegt hast! Aber
— muß es denn die ganze Stadt
wissen, daß wir in Unfrieden leben
— und warum?"
Hier hatte Claudia eine wunde
Stelle berührt. Er fürchtete nichts
mehr, als die öffentliche Aufmerk-
samkeit auf seine Angelegenheiten
gelenkt zu sehen.
„Es war ja schon ziemlich auf-
fallend, daß du sofort nach meiner
Heirat aus dem Geschäft austra-
test," fuhr sie unbarmherzig fort.
„Aber immerhin konnte man an-
nehmen, daß Erik nun in die Firma
eintreten würde und du dich selb-
ständig machen wolltest. Aber nun
dies — das muß ja die Leute auf
den wahren Sachverhalt bringen.
Und das ist doch nun wirklich eine
Familienangelegenheit, die nie-
mand etwas angeht als dich und
mich!"
Albert wand sich. Es war ja wirk-
lich keine schöne Sache, öffentlich
als abgewiesener Freierdazustehen
und noch obendrein eine dauernde
Gekränktheit zur Schau zu tragen.
Man könnte am Ende meinen, er
traure noch immer diesem kleinen
Mädel nach — und wer weiß, ob
sie es sich nicht selbst einbildete.
„Ich werde mich zu Weihnach-
ten wohl mit Cousine Magda
verloben," sagte er, weil ihm im Augenblick gar nichts anderes
einfiel. Gleichzeitig aber überkam ihn die Furcht, dieses leicht-
sinnig heraufbeschworene Schicksal könnte ihn wirklich ereilen, und
er fügte schnell hinzu: „Es ist aber tiefstes Geheimnis. Schweige
gegen jedermann, und wenn du Magda zufällig sehen solltest,
so tu, als ob du von nichts wüßtest!"
„Aber selbstverständlich," sagte Claudia lächelnd, welche dieses
löcherige Lügengespinst sofort durchschaute. „Ich wünsche dir von
Herzen Glück. Magda ist gerade die geeignete Frau für dich.
Aber nun sehe ich auch eigentlich nicht ein, warum wir zwei
das Kriegsbeil nicht begraben und eine Friedenspfeife mitein-
ander rauchen sollten."
„Bitte!" Er griff in die Tasche, holte sein Zigarettenetui her-
vor, bot es ihr an, und bald ringelten sich die blauen Rauch-
wölkchen um die Versöhnten.
Claudia stellte als geschickter Diplomat sogleich ihre Friedens-
bedingungen.
„Als ersten Beweis deiner aufrichtigen Abrüstung mußt du
Eriks Buch in dein Fenster legen, und zwar mitten hinein. Morgen
bringe ich dir sein Bild, das stellst du auch aus."
Die Heimat
Fu Kem Kunstblatt ausSeitep
Denkst bu bes Schlosses noch aus stiller Höh'?
Das Horn lockt nächtlich kort, als ob's bich riese,
Am Abgrunb grast bas Beh,
Es rauscht ber Walb SerLirrenb aus ber Diese. -
G stille, Lecke nicht, es Lar als schlisse
Da brunten ein unenbbar Weh.
Kennst bu ben Garten?^ Wenn sich -Lenz erneut,
Geht bort ein München aus ben kühlen Gangen
Still burch bie Einsamkeit
Ank Leckt ben leisen Strom Son Aauberklangen,
Als ob bis Blumen unb bie Baume sangen
Bings Son Ker alten schönen Aeit.
Ihr Wixsel unb ihr Bronnen, rauscht nur zu!
Wohin bu auch in Lilber Dust magst bringen,
Du finbest nirgends Buh',
Erreichen Lirb bich bas geheime Singen, -
Ach, bieses Bannes zauberischen Bingen
Entsliehn Lir nimmer, ich unb bu!
Joseph Freiherr Son Sichenkorff
vor der verriegelten Tür seines Arbeitszimmers, aus dem sie aus-
geschlossen war und in dem entstand, was sie ersehnte. Wie glück-
lich muhte Erik in seinem Schaffen sein! Einem Baume gleichend,
dem im Frühling der Saft in alle Zweige schießt! Die Wurzeln
aber hatte er in ihr Sein gesenkt und nährte sich von ihrem Blut.
Tropfen um Tropfen gab sie für ihn. —
Sie hütete sich, ihn zu stören, ihn zu reizen, und würgte
schweigend und mit einem Lächeln auf den Lippen den Schmerz
des Alleingelassenseins und der Verarmung ihrer Tage hinunter.
Denn einmal würde die Stunde anbrechen, wo Erik ihr tausend-
fach alles ersetzen würde, was sie jetzt entbehrte. Im Vorgefühl
dieser Erfüllung litt sie, mit Inbrunst fast, was jetzt seine Ver-
sunkenheit ihr auferlegte.
Auch daß er allabendlich beinahe ausging, ertrug sie ohne Vor-
wurf, nicht ahnend, daß er ihre
Liebe verriet und vor ihrer schwe¬
ren Seele flüchtete zu jener Frau,
die zum Tanz gemacht und zum
Genuß geboren schien. Im Gegen¬
teil trachtete sie schon jetzt danach,
dem werdenden Werke ihres Gat¬
ten die Wege zu bahnen. Zu die¬
sem Zweck erschien ihr auch eine
Aussöhnung mit dem noch immer
grollend abseitsstehenden Albert
geboten.
Albert Schröder war unmittel¬
bar nach Claudias Heirat aus dem
Geschäft ihres Vaters ausgetreten
und hatte eine moderne Bücher¬
stube eröffnet, welche der alten,
mit dem Schröderschen Verlag
verknüpften Buchhandlung ernste
Konkurrenz machte. Albert ent¬
wickelte eine umsichtige Tätigkeit,
die mit größtem Erfolg gekrönt
war. Die ersten Dichter der Zeit
hatte er zu Vorträgen verpflichtet
und war so zu einer literarischen
Macht in der grauen Stadt ge¬
langt. Diesen Mann des Aufstiegs
für das Werk ihres Gatten zu ge¬
winnen, schienClaudia notwendig,
und so betrat sie denn eines Abends
kurz entschlossen die Bücherstube,
um ihren Vorsatz auszuführen.
Albert Schröder stieg alles Blut
zu Kopf, als er die zierliche Ge¬
stalt seiner einstigen Angebeteten
plötzlich vor sich stehen sah. Er kam mit gemessenen Schritten
hinter seinem Pult hervor und trat ihr entgegen.
Claudia lächelte harmlos: „Ich wollte doch mal sehen, wie du
dich hier eingerichtet hast, Albert!"
Er griff zögernd nach ihrer dargebotenen Hand.
„Große Ehre!" sagte er. „Wenn du gestattest, will ich selbst
dein Führer sein."
In seinem Laden war nichts Besonderes zu sehen, und Claudia
war fast ein wenig enttäuscht. Ein moderner Buchladen, vielleicht
etwas geschmackvoller eingerichtet als andere. Hohe Bücherregale
bis an die Decke, Verkaufstische, junge Männer, die geschäftig
hin und her glitten und ein wählerisches Publikum bedienten.
Albert führte seinen East in einen mit schweren Vorhängen
abgeteilten Raum hinter dem Laden.
Da bot sich Claudias erstaunten Blicken ein intimes Gemach,
mit feinem künstlerischem Geschmack eingerichtet, mit Klubsesseln
und kleinen Tischen ausgestattet, auf denen Bücher und Zeit-
schriften aller Art ausgelegt waren. Niemand befand sich zu dieser
Stunde in diesem Raum mit Ausnahme der beiden Eintreten-
den. Albert nötigte Claudia in eine behagliche Nische in einen
für Älle Hkst 19
tiefen Sessel, ließ sich ihr gegenüber nieder und knipste eine schöne
Stehlampe an.
„Hübsch, daß du gekommen bist, Claudia."
„Ich wollte schon längst mal bei dir eingucken. Reizend hast
du es hier, das muß man sagen. Wie läuft das Geschäft?"
„Gut, und es wird immer besser. Jetzt vor Weihnachten ist
natürlich überall Hochbetrieb — so auch bei uns. Überdies sind
die Dichterabende ein großer Erfolg für uns."
„Ja, das ist wahr, Albert. Ich wundere mich aber, daß du
Erik noch nicht aufgefordert hast, zu lesen."
Albert Schröder zog die Brauen hoch und faltete die Hände
über seinem Magen. „Findest du das wirklich so verwunderlich
nach dem, was vorgefallen ist, Claudia?"
Sie zuckte die Achseln. „Ach, Albert, eines Tages wirst du ja
Gott auf den Knien danken, daß
du mich nicht gekriegt hast! Aber
— muß es denn die ganze Stadt
wissen, daß wir in Unfrieden leben
— und warum?"
Hier hatte Claudia eine wunde
Stelle berührt. Er fürchtete nichts
mehr, als die öffentliche Aufmerk-
samkeit auf seine Angelegenheiten
gelenkt zu sehen.
„Es war ja schon ziemlich auf-
fallend, daß du sofort nach meiner
Heirat aus dem Geschäft austra-
test," fuhr sie unbarmherzig fort.
„Aber immerhin konnte man an-
nehmen, daß Erik nun in die Firma
eintreten würde und du dich selb-
ständig machen wolltest. Aber nun
dies — das muß ja die Leute auf
den wahren Sachverhalt bringen.
Und das ist doch nun wirklich eine
Familienangelegenheit, die nie-
mand etwas angeht als dich und
mich!"
Albert wand sich. Es war ja wirk-
lich keine schöne Sache, öffentlich
als abgewiesener Freierdazustehen
und noch obendrein eine dauernde
Gekränktheit zur Schau zu tragen.
Man könnte am Ende meinen, er
traure noch immer diesem kleinen
Mädel nach — und wer weiß, ob
sie es sich nicht selbst einbildete.
„Ich werde mich zu Weihnach-
ten wohl mit Cousine Magda
verloben," sagte er, weil ihm im Augenblick gar nichts anderes
einfiel. Gleichzeitig aber überkam ihn die Furcht, dieses leicht-
sinnig heraufbeschworene Schicksal könnte ihn wirklich ereilen, und
er fügte schnell hinzu: „Es ist aber tiefstes Geheimnis. Schweige
gegen jedermann, und wenn du Magda zufällig sehen solltest,
so tu, als ob du von nichts wüßtest!"
„Aber selbstverständlich," sagte Claudia lächelnd, welche dieses
löcherige Lügengespinst sofort durchschaute. „Ich wünsche dir von
Herzen Glück. Magda ist gerade die geeignete Frau für dich.
Aber nun sehe ich auch eigentlich nicht ein, warum wir zwei
das Kriegsbeil nicht begraben und eine Friedenspfeife mitein-
ander rauchen sollten."
„Bitte!" Er griff in die Tasche, holte sein Zigarettenetui her-
vor, bot es ihr an, und bald ringelten sich die blauen Rauch-
wölkchen um die Versöhnten.
Claudia stellte als geschickter Diplomat sogleich ihre Friedens-
bedingungen.
„Als ersten Beweis deiner aufrichtigen Abrüstung mußt du
Eriks Buch in dein Fenster legen, und zwar mitten hinein. Morgen
bringe ich dir sein Bild, das stellst du auch aus."
Die Heimat
Fu Kem Kunstblatt ausSeitep
Denkst bu bes Schlosses noch aus stiller Höh'?
Das Horn lockt nächtlich kort, als ob's bich riese,
Am Abgrunb grast bas Beh,
Es rauscht ber Walb SerLirrenb aus ber Diese. -
G stille, Lecke nicht, es Lar als schlisse
Da brunten ein unenbbar Weh.
Kennst bu ben Garten?^ Wenn sich -Lenz erneut,
Geht bort ein München aus ben kühlen Gangen
Still burch bie Einsamkeit
Ank Leckt ben leisen Strom Son Aauberklangen,
Als ob bis Blumen unb bie Baume sangen
Bings Son Ker alten schönen Aeit.
Ihr Wixsel unb ihr Bronnen, rauscht nur zu!
Wohin bu auch in Lilber Dust magst bringen,
Du finbest nirgends Buh',
Erreichen Lirb bich bas geheime Singen, -
Ach, bieses Bannes zauberischen Bingen
Entsliehn Lir nimmer, ich unb bu!
Joseph Freiherr Son Sichenkorff