Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
8

Das Buch für Alle


Heft 2Z

^Lroße, blendend erleuchtete Räume durch zwei Stockwerke — ein kleines,
^/leises Orchester im runden Tanzsaal mit Tischen und Logen: der Klub
des Westens. Man tanzt... Willi wird dem neuesten Filmstar vorgestellt,
angeblich ungarische Aristokratin, dann der Signora Ina Bertalda, einer
sehr bekannten Kabarettistin, angeblich aus Italien, ferner einer „Aus-
drucks-Tänzerin aus 17.8.^. — vermutlich aber aus Pirna oder Plauen,
wie man ihm zuflüstert. Dazu lernt er noch schnell zwei hervorragende
Schauspieler, einen Karikaturisten, ferner den Zuniorchef einer großen
Bankfirma und sonst noch einige Leute kennen, von denen er nicht einmal
die Namen versteht.
Jetzt sitzt er mit Norgall an einem großen, runden Tisch schwatzender
und lachender Menschen, hört Anspielungen, die er nicht alle versteht,
aber pflichtmäßig mitbelacht ... Er stößt an — Sekt — Euisinier — Bur-
gunder — Frauenlachen — auch Frauenaugen, die ihm lockend winken.
„Herr Baron sind schon lange in Berlin? — wie gefällt Ihnen Berlin?"
— Oie ewige Klischeefrage, auf die er natürlich eine Klischeeantwort gibt.
Er schwatzt — er tanzt — er flirtet ... halb träumend — wie unwirk-
lich. Zuletzt, von der Musik, vom Wein, dem grellen Licht und Geräusch
schon etwas betäubt, findet er sich plötzlich in einem Gespräch mit der
Kabarettistin über Amerika, wo auch sie gewesen. Er hört lächelnd zu, läßt
sich in drei Sprachen anprosten und von der Brettldiva zu ihrem „intimen
§ive-o-clock" einladen, — „nur ganz wenige, auserwählte Gäste".
Norgall lächelt, flüstert ihm boshaft zu: „Oie Berühmtheit müssen Sie
mitbezahlen. Nettes Narkotikum, diese Brettldame ! Aber bei noch größerer
Intimität Leidenschaft! Mutter sitzt an der Kasse, wie man mir erzählt hat."
„Solch kostbare Beute reizt mich wenig," lächelt Willi zurück. — Dann
gehen beide die Marmortreppe ins höhere Stockwerk hinauf. Konversations-
und Speisezimmer — Billards — eine echte holländische Tee- und Kaffee-
stube. Überall „Betrieb", wie es der Berliner stilvoll nennt. Dahinter die
Spielzimmer, durch einen Vorhang getrennt. An kleinen Tischen Karten-
partien — gedämpftes Sprechen — hauptsächlich Herren.
„Glückspiele sind verboten," lächelt Norgall — „hier vorne wenigstens.
Diese Doppeltür" — er öffnet die äußere zu einem kleinen Vorraum —
„führt zum grünen Roulette- und Bacparadies."
Ein Diener erhebt sich. Norgall zeigt eine Karte vor. Der Diener sieht
Willi fragend an, und Norgall flüstert etwas ... Der Diener schließt mit
einem merkwürdigen Schlüssel eine Tür auf. Dahinter eine zweite, die
Norgall selbst öffnet. Ein großer dunkelgetäfelter Raum mit einem lang-
gestreckten Spieltisch, an dem etwa acht Herren und drei Damen sitzen.
Daneben eine Roulette, die fetzt nicht benutzt wird.
Willi wird flüchtig vorgestellt. Oer Bankier nimmt einen frischen Talon,
läßt mischen, gibt aus dem „Schlitten" Karten. Er sieht übrigens mit seinem
zerzausten, grauen Vollbart, mit der roten Nase und der zerknitterten
Hemdbrust wie ein älterer Tischlermeister aus. Norgall flüstert Willi zu:
„Graf Vuschhagen, bekannter Magnat — sieben Güter und so ..." — Es
wird klein gesetzt; nur ein sehr eleganter Herr — Monokel, Diplomaten-
kopf ohne haare — setzt hoch, verliert — gewinnt — setzt höher — sagt

schließlich „Banko" an — gewinnt alles. Das gleiche wiederholt sich noch
einmal. Oer Graf steht auf — der „Diplomat" übernimmt die Bank.
„Doktor krech, ehemaliger Anwalt, jetzt Häusermakler und anderes
mehr," flüstert Norgall Willi zu. Und auf dessen fragende Miene: „Man
ist hier nicht so wählerisch — Mischung von Brettl, Film und Bühne, von
Geschäfts- und Lebewelt! wer einen gutsitzenden Smoking hat, kann Mit-
glied werden."
plötzlich schlägt das Glück des Maklerdoktors um — er verliert fortgesetzt.
Eine große Pechsträhne, die alle zum Mitspielen verlockt. Norgall setzt hoch,
verdoppelt, gewinnt einige tausend Mark, blickt Willi ermunternd an. Oer
riskiert schließlich ein paar Hunderter, verdoppelt die Sätze, läßt stehen,
hat im Nu fünftausend Mark gewonnen. Dann schlägt das Glück plötzlich
wieder um. Die Bank gewinnt — Norgall verliert, auch Willi wieder
die Hälfte seines Gewinnes. Er hört auf. Norgall will es ertrotzen,
forciert — Banko! plötzlich ist er „blank". Willi leiht ihm auf sein Ersuchen
tausend Mark, wenige Minuten später sind sie wieder fort. Schließlich hört
Norgall auf Willis Rat zu spielen auf. — Eine weile sehen sie bloß zu. —
Oer Oiplomatenkopf lächelt Und fragt ironisch: „Nun, meine Herren —?
Schon kalte Füße? Das Glück ist eine Dirne."
Norgall bittet Willi um dessen großes Geld. Willi zuckt die Achseln.
„Sie haben heute kein Glück. Ich sehe Ihnen das an."
„Geben Sie nur, Baron, wir spielen auf halbpart zusammen."
„Gut — es ist erspieltes Geld," lächelt Willi, indem er ihm die Scheine
zuschiebt, wenn es verspielt wird, denkt er, besteht ein Band mehr
zwischen dem Erben der Bremer Großfirma und mir.
Aber nun, seitdem Willi daran beteiligt, lächelt Norgall das Glück aufs
neue. — Alle anderen verlieren: zunächst die Bank, die Doktor krech abgibt
und die vom Grafen, dann noch von zwei anderen Herren übernommen
wird. Oie gewagtesten Zukäufe glücken Norgall. Schließlich duelliert sich
der letzte Bankier hitzig mit ihm, muß aber weichen. Niemand will gegen
Norgall weiterspielen oder die Bank übernehmen. Als er Kasse macht
—auch einige „Gutscheine"liegen dabei—sind es gegen sechzigtausend Mark,
von denen er seinem Partner Willi die Hälfte in Banknoten zuschiebt. Mit
dem Norgall vorher Geliehenen sind es über dreißigtausend für Willi, dessen
Herz vor Freude klopft, der sich aber nichts merken läßt und kaum lächelt.
Norgall bietet nochmals Revanche an, niemand nimmt sie an. Oer
Klubvertreter eröffnet dann den Roulettetisch, als noch einige lärmende
Gäste, Herren und Damen, ins Zimmer einfallen. Man setzt mit Fünf-
und Zehnmarkscheinen. Das Geld hat plötzlich wieder wert. Willi verliert
noch einige Hunderter an der Roulette — Norgall gewinnt sie. Dann gehen
sie beide hinunter, wo sie von der Ina Bertalda und ihrer Gesellschaft
mit hallo begrüßt werden, denn irgend jemand hat von dem Riesen-
gewinn erzählt, und wie immer übertreibt das Gerücht.
Mit seinem kleinen vermögen und dem Börsengewinn hat er jetzt fast
fünfzigtausend Mark beisammen, die er gleich morgen mit Doktor Kiefer-
felds Hilfe gut anlegen will.
Als er am anderen Nachmittag aufwacht, besinnt Willi sich nur dunkel
des Nachtvergnügens.
Aber er muß sich §a-
chinger und starken
schwarzen Kaffee kom-
men lassen.
osemarie Froh-
wein läßt sich in
ihremSchlafzimmer den
hübschen, dunkelblon-
den Lockenkopf wellen.
Sie ist sehr stolz auf ihre
Modernität und Ahr
leicht entzündliches und
bewegliches Herz ist ent-
zückt von Berlin, das
sie nur einmal flüchtig
als Schulmädel — da-
mals lebte die Mutter
noch — kennengelernt
hat. Sie genießt es
gründlich und beschwatzt
das eben mit der Zofe
Friedelchen, die nicht
viel älter ist und Mitten-
steiner Eigengewächs.
Beide bedauern lebhaft,
daß man nicht überall
hingehen kann.

Hui, wie kalt! / Nach einer Photographie von Fritz ClajuS, Schwarzenberg
 
Annotationen