Heft 27
Das Buch für Alle
Wie man wilde
Tiere bändigt
Von Or. x>fäil. Alexander Sokolowsky
(^^ie Zeiten sind vorbei, in denen man mit Gewalt und
Grausamkeit die Seele der Tiere zu beeinflussen suchte,
um gefügige Sklaven des menschlichen Willens aus ihnen zu
machen. Man erreichte damit gerade das Gegenteil von dem,
was man wollte. Nicht gelehrige und willige Schüler erzielte
man, sondern gehässige, rachsüchtige Bestien, die keine Ge-
legenheit vorbeigehen liehen, um ihren Foltermeister hinter-
rücks zu überfallen, oder aber eingeschüchterte, furchtsame
Geschöpfe, die in hündischer Unterwürfigkeit die verlangten
Schaustücke ausführten. Von der Idee ausgehend, dah die
wilden Tiere nur durch Gewalt zu bemeistern seien, wandte
man allerlei Gewaltmittel an, um die Kinder der Wildnis
zahm zu machen. Mit Holzprügel und Eisenstangen wurden
sie bearbeitet, ja, man schreckte selbst davor nicht zurück, glühende
Eisenstangen als Schreckmittel zu verwenden, legte den Tanz-
bären heiße Metallplatten unter oder blendete die armen
Oer Tierbändiger Reuben Castang mit seinem Schimpansen Moritz
Tiere, damit sie hilflos ihren Peinigern ausgeliefert waren. War es auf
der einen Seite maßlose Roheit und Überheblichkeit von feiten des Herrn
der Schöpfung, so herrschte anderseits große Unkenntnis über das Tier
und über seine Seele, denn fremdländische Tiere gelangten nur sehr selten
nach Europa. Erst mit der Entwicklung des Tierhandels mehrten sich die
Kenntnisse von der Tierwelt, man wurde mit den Tieren vertrauter, lernte
ihre Eigenart kennen, fand Gelegenheit zur Zähmung durch liebevollere
Behandlung und zur Zucht, die dem Menschen größere Anteilnahme an
seinen tierischen Pfleglingen abnötigte. Mit der Entwicklung des Tier-
handels ist der Name Carl Hagenbeck für alle Zeiten verbunden. Von
den kleinsten Anfängen als Tierhändler und Schausteller hat dieser seltene
und hochbegabte Mann es verstanden, den Tierhandel zu hoher Ent-
wicklung zu bringen und durch Eröffnung und zweckmäßige Einrichtung
seines „Tierparks" in Stellingen bei Hamburg eine „Mustertierschaustel-
lung" einzuführen, welche allen neuzugründenden Tiergärten in Aufbau
und Einrichtung als Vorbild diente. Er war es auch, der der Tierdressur
ganz neue Bahnen wies. Entgegen der früheren gewaltsamen Methode
führte Hagenbeck einen völlig anderen Weg bei der Zähmung wilder Tiere
ein. Er verfolgte dabei eine erzieherische Methode, die sich auf der Kennt-
nis des Seelenlebens der Tiere aufbaut und in der Zähmung wilder
Tiere teils durch Belohnung, teils durch gerechte Strafe, wenn sie ver¬
dient ist, ihre Aufgabe sucht. Diese von Carl Hagenbeck eingeführte
Form der Tierdressur wird von ihm als „zahme Tierdressur" bezeichnet.
Anstatt der Anwendung von Gewalt- und Schreckmittel werden die
Tiere nur mit Leckerbissen zur Ausführung von Aufgaben gelockt, die
ihnen durch äußerst mühselige und geduldige Arbeit vom Bändiger
beigebracht wurden. Handelt es sich um Löwen, Tiger oder Leoparden,
so müssen als Lockmittel kleine Fleischstücke herhalten, sind es Bären,
so leisten Mohrrüben oder Brot die gleiche Rolle, Seelöwen und See-
hunde werden mit kleinen Fischen zur Arbeit gebracht.
Wem es vergönnt ist, einmal eine solche Dressurstunde zu belauschen,
der wird sich wundern über die große Geduld des Dompteurs. Welche
aufopfernde Geduld gehört allein dazu, die Tiere so weit zu bringen,
daß sie beim Eintritt in die Dressurmanege sofort ihren Platz auf einem
bestimmten Holzsockel einnehmen! Die Zuschauer staunen über die
schönen, von verschiedenen Raubtieren gebildeten Pyramiden und
ahnen kaum, welche
Blühe und Arbeit es
gekostet hat, um die
Löwen, Tiger und
Bären zur Ausfüh¬
rung solcher Kunst¬
stellungen zu bringen.
Hinzu kommt noch die
verschiedene Veranla¬
gung der Tiere. Schon
der Tiger unterschei¬
det sich erheblich in
seinem Charakter von
dem Löwen, der Leo¬
pard vonbeiden, wäh¬
rend hinwiederum die
Links: Elefantenfuß-
und -nagelpflege
Rechts: Zunger
Braunbär mit Roller
Das Buch für Alle
Wie man wilde
Tiere bändigt
Von Or. x>fäil. Alexander Sokolowsky
(^^ie Zeiten sind vorbei, in denen man mit Gewalt und
Grausamkeit die Seele der Tiere zu beeinflussen suchte,
um gefügige Sklaven des menschlichen Willens aus ihnen zu
machen. Man erreichte damit gerade das Gegenteil von dem,
was man wollte. Nicht gelehrige und willige Schüler erzielte
man, sondern gehässige, rachsüchtige Bestien, die keine Ge-
legenheit vorbeigehen liehen, um ihren Foltermeister hinter-
rücks zu überfallen, oder aber eingeschüchterte, furchtsame
Geschöpfe, die in hündischer Unterwürfigkeit die verlangten
Schaustücke ausführten. Von der Idee ausgehend, dah die
wilden Tiere nur durch Gewalt zu bemeistern seien, wandte
man allerlei Gewaltmittel an, um die Kinder der Wildnis
zahm zu machen. Mit Holzprügel und Eisenstangen wurden
sie bearbeitet, ja, man schreckte selbst davor nicht zurück, glühende
Eisenstangen als Schreckmittel zu verwenden, legte den Tanz-
bären heiße Metallplatten unter oder blendete die armen
Oer Tierbändiger Reuben Castang mit seinem Schimpansen Moritz
Tiere, damit sie hilflos ihren Peinigern ausgeliefert waren. War es auf
der einen Seite maßlose Roheit und Überheblichkeit von feiten des Herrn
der Schöpfung, so herrschte anderseits große Unkenntnis über das Tier
und über seine Seele, denn fremdländische Tiere gelangten nur sehr selten
nach Europa. Erst mit der Entwicklung des Tierhandels mehrten sich die
Kenntnisse von der Tierwelt, man wurde mit den Tieren vertrauter, lernte
ihre Eigenart kennen, fand Gelegenheit zur Zähmung durch liebevollere
Behandlung und zur Zucht, die dem Menschen größere Anteilnahme an
seinen tierischen Pfleglingen abnötigte. Mit der Entwicklung des Tier-
handels ist der Name Carl Hagenbeck für alle Zeiten verbunden. Von
den kleinsten Anfängen als Tierhändler und Schausteller hat dieser seltene
und hochbegabte Mann es verstanden, den Tierhandel zu hoher Ent-
wicklung zu bringen und durch Eröffnung und zweckmäßige Einrichtung
seines „Tierparks" in Stellingen bei Hamburg eine „Mustertierschaustel-
lung" einzuführen, welche allen neuzugründenden Tiergärten in Aufbau
und Einrichtung als Vorbild diente. Er war es auch, der der Tierdressur
ganz neue Bahnen wies. Entgegen der früheren gewaltsamen Methode
führte Hagenbeck einen völlig anderen Weg bei der Zähmung wilder Tiere
ein. Er verfolgte dabei eine erzieherische Methode, die sich auf der Kennt-
nis des Seelenlebens der Tiere aufbaut und in der Zähmung wilder
Tiere teils durch Belohnung, teils durch gerechte Strafe, wenn sie ver¬
dient ist, ihre Aufgabe sucht. Diese von Carl Hagenbeck eingeführte
Form der Tierdressur wird von ihm als „zahme Tierdressur" bezeichnet.
Anstatt der Anwendung von Gewalt- und Schreckmittel werden die
Tiere nur mit Leckerbissen zur Ausführung von Aufgaben gelockt, die
ihnen durch äußerst mühselige und geduldige Arbeit vom Bändiger
beigebracht wurden. Handelt es sich um Löwen, Tiger oder Leoparden,
so müssen als Lockmittel kleine Fleischstücke herhalten, sind es Bären,
so leisten Mohrrüben oder Brot die gleiche Rolle, Seelöwen und See-
hunde werden mit kleinen Fischen zur Arbeit gebracht.
Wem es vergönnt ist, einmal eine solche Dressurstunde zu belauschen,
der wird sich wundern über die große Geduld des Dompteurs. Welche
aufopfernde Geduld gehört allein dazu, die Tiere so weit zu bringen,
daß sie beim Eintritt in die Dressurmanege sofort ihren Platz auf einem
bestimmten Holzsockel einnehmen! Die Zuschauer staunen über die
schönen, von verschiedenen Raubtieren gebildeten Pyramiden und
ahnen kaum, welche
Blühe und Arbeit es
gekostet hat, um die
Löwen, Tiger und
Bären zur Ausfüh¬
rung solcher Kunst¬
stellungen zu bringen.
Hinzu kommt noch die
verschiedene Veranla¬
gung der Tiere. Schon
der Tiger unterschei¬
det sich erheblich in
seinem Charakter von
dem Löwen, der Leo¬
pard vonbeiden, wäh¬
rend hinwiederum die
Links: Elefantenfuß-
und -nagelpflege
Rechts: Zunger
Braunbär mit Roller